Dubai. Schalkes junger Torhüter sollte eigentlich nur den Kreis der Nationalspieler erweitern. Jetzt verschärft er den Konkurrenzkampf.

Auch nach dem 7:2-Sieg der Nationalelf gegen die Vereinigten Arabischen Emirate ist noch einmal über das Wetter geredet worden. Es war nämlich gar nicht so überraschend angenehm, wie es am späten Abend von Tribünenbesetzern im Al-Maktoum-Stadium empfunden wurde. Es war da unten auf dem Rasen, da, wo es zählt, einfach genau so, wie man es sich vor dem Anpfiff in Dubai in glü-henden Träumen vorstellen konnte. Philipp Lahm erstattete rot geschwitzt bis in die Ohrläppchen den Bericht über diese besonders perfide Vorhölle. Ja, es herrschten nur 30 Grad Celsius. Ja, sicher, es waren höhere Temperaturen erwartet worden. Aber „die Luftfeuchtigkeit war einfach schlimm. Wenn man läuft, dann . . . – das ist unglaublich.”

Das Wetter war das zweite große Thema der Asienreise, auf die sich die Nationalmannschaft begeben hat, um für den deutschen Fußball zu werben. Das erste große Thema war die Zeitumstellung, waren die sechs Stunden, die dem heimatlichen Maß nach strapaziösem Flug bei der Ankunft in Shanghai hinzugefügt werden mussten. Schlafentzug durch Jetlag vor dem ersten Auftritt in China (1:1) und Wetterschock beim zweiten in der Wüstenei sind als Erinnerungen an einen Trip in die Fremde, der in den Herzen der Einheimischen enden sollte, nicht schön. Noch weniger schön war, dass das Interesse an den Deutschen sich als verschwindend gering erwiesen hat. Da war es ein Glück, dass Torhüter Manuel Neuer bei seinem ersten Einsatz im Nationaltrikot eine absolut ausgeschlafene Leistung ablieferte und Torjäger Mario Gomez wieder Betriebstemperatur erreichte.

Erleichterung bei Mario Gomez

Das Thema Gomez war schnell abgehandelt. Vier Treffer steuerte der Neu-Bayer nach 829 erfolglosen Minuten im Elitekreis zum Sieg bei (je einen weiteren Heiko Westermann, Piotr Trochowski und Fares Juma Hasan Alsaadi per Eigentor). Gomez selbst erklärte, „Steine” seien ihm von der Brust gepurzelt. Joachim Löw konstatierte, „die Handbremse” habe sich nun beim 23-Jährigen gelöst, und dass man nach der Sommerpause ohne die Begleitung der Minutenzähler in die neue Saison starten könne, sei „für uns alle eine gute Situation”.

Der Fall Neuer ist komplizierter. Der Schalker, ebenfalls 23, sollte ja nur mal in die Aura der Nationalelf eintauchen, dann bei der U-21-EM das Tor hüten und die höheren Weihen nach der WM 2010 empfangen. Er sollte also nur diese eine Partie gegen die Ballsport-Liliputaner absolvieren, von der nicht angenommen werden konnte, dass sie zahlreiche Chancen zur Profilschärfung bieten würde. Weil die deutsche Defensive aber löchriger war als eine Häkelarbeit, durfte Neuer alles demonstrieren, was er kann. Und das ist viel. Er verfügt über eine überragende Physis und damit Präsenz. Er liest das Spiel und leitet Angriffe ein. Er ist auf der Linie reaktionsstark wie ein Handballtorhüter. Schlimmer noch: Er hat, laut Löw, nicht einmal ein bisschen gezittert: „Er war erstaunlich ruhig, erstaunlich selbstbewusst. Ich habe vor dem Spiel nicht den Anflug von Nervosität bemerkt.”

Das Sortiment ist reichhaltiger geworden

Sollte Neuer in Zukunft konstanter als bisher abrufen können, was ihm die Gene mitgegeben haben und was er sich selbst erschuftet hat, dürfte er bald an den Konkurrenten Robert Enke, Rene Adler und Tim Wiese vorbeiziehen. Die Frage ist: wie bald? Im März noch klagte Bundes-Torwarttrainer Andreas Köpke: „Ich beobachte derzeit, dass wir keinen Weltklasse-Torhüter haben.” Zufriedenheit hört sich anders an. Auch dass Seniorhüter Jens Lehmann sich noch frisch genug fühlt, den Kampf um den Posten im Tor wieder aufzunehmen, deutet nicht darauf hin, dass eine einschüchternde Gestalt für ihn nachgerückt wäre. Für Löw ist die neue Situation mit dem neuen Nummer-eins-Aspiranten Neuer einerseits komfortabel. Das Sortiment ist reichhaltiger geworden. Andererseits hat der grundsolide und erfahrene Enke auch im Einsatz gegen die Chinesen tadellos funktioniert. Das gibt Anlass zum Grübeln.

„Wir haben einiges gelernt, einige Erfahrungen gesammelt”, hat Löw sachlich ein Resümee gezogen und flockig angefügt: „Es hat Spaß gemacht.” Genau. Auch letzteres. Philipp Lahm hat nur nicht mitbekommen, dass das Schiedsrichtergespann in Dubai sich mit einem so feinsinnigen Rhythmusgefühl auf die Partie vorbereitet hat, wie es bisher nur von Synchronschwimmerinnen bekannt war. Hohe Luftfeuchtigkeit kann eben auch unglaublich inspirieren.