Essen. Obwohl die Zahl der Betreuer immer größer wird, wird die Zahl der Verletzungen nicht weniger. Experten sagen: Das liegt auch an Fehlern der Vereine.

  • Obwohl die Zahl der Betreuer immer größer wird, wird die Zahl der Verletzungen nicht weniger.
  • Experten sagen: Das liegt auch an Fehlern der Vereine.
  • Viele Verletzungen wären vermeidbar.

245 Minuten – so viel Zeit hat Bastian Schweinsteiger im Jahr 2016 mit Fußballspielen verbracht. Den Rest der Zeit fiel der Nationalspieler aus. Dieses Verletzungspech, so war zuletzt immer wieder zu lesen, könnte ihn nun die Teilnahme an der Europameisterschaft kosten.

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Verletzungspech – ein Begriff, den Thomas Henke nicht mehr hören kann. „Das suggeriert immer, es sei etwas Unvermeidbares, Schicksalhaftes“, sagt der Biomechaniker und Sportwissenschaftler, der an der Ruhr-Universität Bochum zum Thema Verletzungen im Profisport forscht. „Man muss es in die Köpfe hineinkriegen, dass es Gründe für diese Verletzungen gibt und diese Gründe auch angegangen werden können.“ Und im Profifußball, sagt Henke, gebe es da noch viel Luft nach oben.

Diverse Studien zeigen, dass an dem Vorwurf etwas dran ist. So erhebt die Uefa schon seit 14 Jahren die Verletzungen aller sogenannten Eliteklubs, aus Deutschland waren im jüngsten Bericht für 2014/2015 Bayer Leverkusen, Borussia Dortmund und der FC Bayern dabei. Die Studie zeigt: Obwohl die medizinischen Stäbe der Vereine immer größer werden, stagniert die Zahl der Verletzungen in den vergangenen 14 Spielzeiten.

Rund drei Viertel aller Verletzung ohne Fremdeinwirkung

In der Saison 2014/15 kamen rund drei Viertel aller Verletzungen ohne Fremdeinwirkung zustande, über die vergangenen zehn Jahre hinweg waren es etwa 50 Prozent. Bei Knie- und Oberschenkelverletzungen, die zu den teuersten und langwierigsten gehören, ist der Anteil mit 60 bis 80 Prozent noch höher. Henke hat für die deutschen Profiligen ähnliche Untersuchungen durchgeführt und kommt auf ähnliche Zahlen.

Viele dieser Verletzungen ließen sich also vermeiden – das sieht auch Joachim Schubert so. Der Bochumer Sportmediziner betreute schon den VfL Bochum sowie Togo bei der WM 2006 und andere Mannschaften bei Afrikameisterschaften. „Bei einem gesunden Bundesligaspieler, der in professioneller Betreuung ist, sollte eine Muskelverletzung ohne Fremdeinwirkung nicht vorkommen“, sagt Schubert.

Wird ausreichend untersucht?

Schuberts Frage: Kontrollieren die vielen Mediziner und Physiotherapeuten, die sich die Vereine inzwischen leisten, ihre Spieler oft genug? Gibt es muskuläre Disbalancen, also unterschiedlich lange Muskelstränge? Stimmt die Nährstoffversorgung? Oder gibt es gar Probleme mit den Zähnen, die auf andere Körperteile ausstrahlen?

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„Die großen Vereine haben ja vier, fünf, sechs Physiotherapeuten“, sagt Schubert. „Da ist es möglich, dass die sich die Spieler zwei-, dreimal in der Woche angucken. Es gibt Spieler, bei denen man nach einer Weile weiß: Es reicht, wenn ich mir den einmal pro Woche anschaue. Und es gibt Spieler, die muss ich mir öfter anschauen.“ Und auch die Vereinsärzte müssten den Vereinen rund um die Uhr zur Verfügung stehen: „Das halte ich heutzutage für ein Unding, wenn Vereine Millionen-Umsätze haben und der Vereinsarzt ist Oberarzt im Krankenhaus oder hat eine eigene Praxis und quält sich abends zum Training.“

Risikofaktor Gegenspieler

Natürlich lässt sich nicht jede Verletzung durch Prävention verhindern, es bleibt der Risikofaktor Gegenspieler. „Aber auch hier kann man die Spieler fitter machen, dass nicht aus jedem Unfall eine Verletzung resultiert“, sagt Sportwissenschaftler Henke und nennt als Gegenbeispiel zu Bastian Schweinsteiger Thomas Müller, der kaum einmal verletzt ist – obwohl auch er häufig gefoult wird.

Müllers Geheimnis: „Er löst sich mit den Füßen sehr schnell vom Boden, vielleicht auch aufgrund des geringeren Gewichts.“ So kann der Fuß nicht im Boden verkanten, Sprunggelenk und Knie werden deutlich weniger unter Druck gesetzt.

Daran ließe sich im Training arbeiten, genau wie an Koordination, Körperstabilität und dem richtigen Fallen. Müller beherrscht das instinktiv – weshalb er auch ohne jeden Zweifel bei der EM dabei ist.