Leicester. Königsblau und trotzdem Meister? Ja, das geht offenbar: Linksverteidiger Christian Fuchs im Gespräch über das englische Fußballmärchen.
Der Mayor of Leicester hat schon eine Idee, wie er sich bei den Helden bedanken will. Sollte Leicester City tatsächlich die Meisterschaft in der Premier League feiern, wird Bürgermeister Peter Soulsby Straßen nach Spielern des englischen Erstligisten benennen.
Drei Spieltage vor dem Saisonende beträgt der Vorsprung sieben Punkte. Am Sonntag kann Leicester die Meisterschaft mit einem Sieg bei Manchester United perfekt machen. Der Titel wäre eine der größten Überraschungen der englischen Fußballgeschichte. Ein Fußballmärchen in Königsblau.
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Einer, dessen Namen bald auf einem der Straßenschilder zu lesen sein könnte, ist Christian Fuchs. Einmal Schalker, immer Schalker, dachte er im Sommer noch. Die Planung von Schalkes Manager Horst Heldt war eine andere. Der Kapitän der österreichischen Nationalmannschaft wechselte ablösefrei zu den „Foxes“ in Mittelengland. Kein Fußball-Experte konnte ahnen, dass Christian Fuchs in England die beste Zeit seiner Karriere erleben wird. „Es ist wahrscheinlicher, das Ungeheuer von Loch Ness zu sehen, als mit Leicester Meister zu werden“, sagt der 30-Jährige heute und lacht.
Fünf Tage vor dem Spiel bei Manchester United ist er völlig entspannt im Gespräch mit dieser Zeitung. Deutlich entspannter als die Buchmacher, die tief in die Tasche greifen müssen. Die Quote auf Leicester in den Wettbüros lag vor der Saison bei 1:5000. Vorige Saison war der Klub Abstiegskandidat.
Ganze Stadt greift nach der Meisterschaft
Die Begeisterung in der 300.000-Einwohner-Stadt in den Midlands sei unbeschreiblich. „Man muss es erleben“, sagt Fuchs. An diesem Freitag sind die Bürger dazu aufgefordert, sich in den Vereinsfarben Blau und Weiß zu kleiden. Während der Heimspiele sind die Sehenswürdigkeiten der Stadt blau angestrahlt – Ideen des fußballverrückten Bürgermeisters.
Fuchs genießt es, mitzuerleben, wie eine ganze Stadt nach der ersten Meisterschaft der Vereinsgeschichte greift. „Jeder will Teil dieses Märchens sein“, sagt Fuchs. Im Supermarkt, im Restaurant, sogar beim Einkaufsbummel in London wünschen ihm die Leute viel Erfolg. „Ganz England steht hinter uns. Jeder gönnt uns den Titel.“
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Leicester City – das ist die Erfolgsgeschichte von Spielern, die nicht immer auf der Sonnenseite des Profifußballs standen. Auch die des Deutschen Robert Huth. Für Fuchs ist klar: „Wenn ich Bundestrainer wäre, würde ich bei der EM elf Robert Huths aufstellen.“ Über den WM-Teilnehmer von 2006 sagt er nicht nur, dass er seinen trockenen Humor liebt, sondern auch, dass er in der Innenverteidigung der Fels in der Brandung ist.
Der Star bei Leicester City ist die Mannschaft, der Superstar aber Jamie Vardy. Vor vier Jahren kickte der Stürmer noch in der Amateurliga und verdiente sein Geld mit der Herstellung von Beinprothesen.
Vardy ist sein Nachbar in der Kabine
Ein halbes Jahr trug Vardy eine elektronische Fußfessel, weil er nach einer Kneipenschlägerei wegen Körperverletzung verurteilt wurde. Heute ist er mit 22 Toren drittbester Torschütze der Liga und Englands Hoffnung für die EM. „Jamie ist immer für Schabernack zu haben“, sagt Fuchs über seinen Nachbarn in der Kabine. „Er kennt aber auch seine Vergangenheit und weiß zu schätzen, welches Leben er jetzt führen kann.“
Cheftrainer ist Claudio Ranieri. In der Vita des Italieners stehen Klubs wie Juventus Turin und FC Chelsea. Auch Ranieri weiß, wie es ist, nicht zu den Gewinnern zu gehören. Wie so viele seiner Profis, die es jetzt besser machen. Vor dem Wechsel erlebte Ranieri mit Griechenland beim 0:1 gegen die Färöer-Inseln den Tiefpunkt seiner Karriere. „Er gibt uns durch seine Erfahrung Sicherheit. Wir vertrauen ihm“, erklärt Fuchs, der vor drei Wochen nicht schlecht staunte, als Ranieri plötzlich auf seiner Geburtstagsparty auftauchte.
Über seine eigene Aufgabe im Team sagt er: „Ich bin hier bloß der linke Verteidiger.“ In England genießt Fuchs die Anerkennung, die er in Deutschland nicht bekam. Er ist Stammspieler, Leistungsträger, Fan-Liebling. Einen Zusammenhalt wie in Leicester habe er noch nie erlebt. Nicht in Bochum, nicht in Mainz, nicht auf Schalke. „Alle stehen mit der größten Freude auf dem Rasen. Und wenn man sich darauf freut, zur Arbeit zu fahren, bringt man automatisch bessere Leistung.“
Manchmal fährt Fuchs sogar an freien Tagen zum Vereinsgelände. Weil ihm das Frühstück so gut schmeckt und weil er liebenswerte Menschen trifft. Menschen, die er am Sonntag richtig glücklich machen kann.