München/Berlin. . Bundestrainer Joachim Löw nannte die Pleite gegen England eine “Lehrstunde“. Gegen Italien will sich das DFB-Team geschlossener präsentieren.

Der Ausblick auf der Pressekonferenz hätte gestern nicht schöner sein können. Aus dem 13. Stock eines Münchner Autohauses an der Arnulfstraße konnte Sami Khedira die Frauenkirche bestaunen, den Olympiaturm, natürlich die Allianz Arena, und ganz hinten am Horizont lugten die schneebedeckten Alpen hervor. „Schön hier“, sagte der Italien-Legionär am Tag vor dem Fußballklassiker heute gegen Italien.

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Seit dem 2:3 am Samstag gegen England wirken die EM-Aussichten weniger prächtig. „Es ist gut, dass uns in so einem Spiel wie gegen England gerade noch rechtzeitig die Augen geöffnet wurden“, sagte der Profi von Juventus Turin. „Die Geschlossenheit der ganzen Mannschaft hat gegen England nicht gestimmt. Das müssen wir ändern.“

Die Geschlossenheit also. Im Fußballjargon wahlweise auch als Kompaktheit, Ordnung oder Abstimmung bezeichnet. Es sind Schlagwörter, mit denen man für sich wahrscheinlich nur wenig anfangen kann, die Joachim Löw aber nicht nur an Ostern heilig sind. Der Bundestrainer sprach nach dem wilden 2:3 gegen England, als seine Mannschaft nicht zum ersten Mal eine 2:0-Führung aus der Hand gegeben hatte, von einer „Lehrstunde“ und präzisierte mit gefrorenen Gesichtszügen: „Das war sehr ärgerlich. Unsere Organisation war nicht gut, und es sind viel zu große Lücken entstanden.“ Dem Weltmeister ist in Berlin genau das passiert, was der DFB-Auswahl vor vier Jahren beim legendären 4:4 gegen Schweden schon einmal in Berlin passiert war: Deutschland hatte die Kontrolle über das Spiel verloren.

Kein Sieg gegen Italien seit 21 Jahren

Dummerweise gehört zur ganzen Wahrheit auch, dass Ähnliches der deutschen Mannschaft gerade nach der WM in Brasilien nicht nur in Berlin passiert ist. In Warschau zum Beispiel, als Deutschland vogelwild im zweiten EM-Qualifikationsspiel 0:2 gegen EM-Gruppengegner Polen verlor. Oder in Dublin, als Irland dem Weltmeister mit 1:0 die Grenzen aufzeigte. Von 16 Spielen nach dem WM-Finale in Rio hat Deutschland sechs verloren. „Uns muss klar sein“, so Stürmer Mario Gomez, „dass so ein Spiel beim Turnier die Heimreise bedeutet.“

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Sonntag mussten Löws Assistenztrainer Thomas Schneider und Marcus Sorg die Pleite nachbereiten, um sie Montag gemeinsam in München zu analysieren. „Wir hätten eigentlich Ruhe ins Spiel bringen und auf Ballbesitz spielen müssen“, bilanzierte Löw. Er will heute Abend nicht nur diesen irrationalen Italien-Komplex besiegen (kein Sieg seit 21 Jahren), sondern im letzten Spiel vor der Benennung des vorläufigen EM-Kaders Antworten auf immer noch zu viele offene Fragen finden. So gab Ersatzkapitän Khedira unumwunden zu, dass dieser Kontrollverlust auch den Spielern während der Partie in Berlin aufgefallen war, man aber keine Lösung parat hatte. „Wir haben das auf dem Spielfeld gemerkt und haben das auch angesprochen. Aber wir haben es einfach nicht mehr geschafft, das zu kompensieren. Wir hatten ein viel zu großes Loch im Mittelfeld.“

Das Bermudadreieck im Zentrum missfiel Thomas Müller: „Die, die vorne waren, wollten drauf gehen. Die, die hinten waren, wollten nicht drauf gehen. Und so sind dann ein paar Lücken entstanden.“ Gegen Italien sollen nicht nur die Lücken im Mittelfeld geschlossen, sondern auch die nächste Abwehrformation ausprobiert werden. Noch hat Löw im Abwehrzentrum keine Alternative zu Mats Hummels und zum verletzten Jerome Boateng. Noch weniger Auswahl gibt es auf den Außenpositionen. Links dürfte Kölns Jonas Hector aus Mangel an Ersatz gesetzt bleiben, die rechte Seite ist vakant. In 16 Spielen seit der WM probierte Löw sechs Kandidaten aus; überzeugen konnte keiner. „Alles, was vor der EM ist, ist Testmodus“, relativierte Müller. „Wichtig ist, dass wir vor allem in der direkten Vorbereitung gut sind. Da können wir inhaltlich arbeiten.“