München. Weil sich die DFB-Offensive zuletzt zu harmlos präsentierte, kehrt ein alter Bekannter zurück. In der Türkei hat Mario Gomez zu alter Form gefunden.

14 Monate der Abwesenheit sind eine lange Zeit, in denen Mario Gomez einiges vergessen hat und so manches bestimmt verdrängen wollte. Ganz sicher aber nicht den 13. Juni 2012, „an den kann ich mich noch sehr gut erinnern“. Es war der Abend, an dem der breitschultrige Knipser aus Riedlingen der Fußballwelt endgültig seine Klasse bewiesen haben wollte. Beim 2:1-EM-Sieg über die Niederlande in Charkow hatte Gomez zweimal spektakulär zugelangt. „Aber kurz danach“, gerät der 30-Jährige nun beim Blick zurück ins Stocken, „wirst du gefragt, ob man einen Spielertypen wie mich nicht mehr benötigt.“ Die Antwort darauf schien unwiderruflich Ja zu sein.

Vor etwas mehr als einem Jahr erhielt Gomez letztmals eine Einladung zu einem Länderspiel. Verletzungen und Formtiefs hatten zuvor dazu geführt, dass Deutschland im Sommer 2014 ohne ihn Weltmeister wurde. Nach der Rückkehr aus Brasilien lief er noch beim 2:4 gegen Argentinien zum 60. Mal für die Nationalmannschaft auf, das war’s dann. Bis zu den bevorstehenden Testspielen in Frankreich am Freitag (21 Uhr, live in unserem Ticker) und gegen die Niederlande am Dienstag (20.45 Uhr, live in unserem Ticker). Weil im Weltmeisterland heftig über die Stürmer debattiert wird, kam mal wieder der Anruf von Bundestrainer Joachim Löw. „Plötzlich wird dann wieder nach diesem Spielertypen gerufen“, sagt Gomez bei der Vorbereitung der Mannschaft in München mehr amüsiert als voller Häme.

Erster Adressat für Kritik

Denn trotz seiner 200 Tore in 330 Spielen für den VfB Stuttgart und Bayern München sowie seiner Verlässlichkeit (25 Treffer), wenn der DFB-Adler auf der Brust prangte, war Gomez im Falle des Scheiterns stets erster Adressat für Kritik. Manchmal warteten die Fans förmlich nur darauf, ihn mit ihrem Pfeifkonzert zu belegen. Das Stigma des rumpelfüßigen Chancentods hatte der Champions-League-Sieger und mehrfache Deutsche Meister für sich reserviert, seitdem bei der EM 2008 gegen Österreich der Ball aus kurzer Distanz hoch über die Latte in den Wiener Abendhimmel geflogen war. Und als leichtes Opfer, das sich nicht allzu sehr wehren vermochte, galt er seit Mehmet Scholls Verbalohrfeige, er habe sich vier Jahre später bei der nächsten EM gegen Portugal trotz des Siegtreffers womöglich wund gelegen. Gomez war der Mittelstürmer, den dann aus eigenen Reihen niemand so richtig verteidigen wollte.

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Die Suche nach Anerkennung führte Gomez 2013 von Bayern München, wo ihm Mario Mandzukic vorgezogen wurde und für die neue Saison schon Robert Lewandowski bereit stand, in die Toskana. Nach zwei verlorenen Jahren beim AC Florenz, in denen sein ehemaliger Trainer Vincenzo Montella ihm gar das frühzeitige Karriereende ans Herz gelegt hatte, scheint er seine alten Qualitäten bei Besiktas Istanbul wiedergefunden zu haben.

Schmucklos vollenden

„Die Entscheidung war nicht einfach, aber ich wusste, sie muss sitzen“, sagt Gomez, ohne das Temperament der Südosteuropäer aufgesaugt zu haben, „es ist nicht die stärkste Liga, aber ich bin froh, dass es so gekommen ist.“ Dank wieder gewonnener Fitness ist er mit acht Toren zweitbester Torjäger der türkischen Süper Lig.

Weil nach Miroslav Kloses Abgang die falschen Neuner Mario Götze, Marco Reus oder Thomas Müller in der EM-Qualifikation nach feinsten Ballstafetten oftmals das Toreschießen vergaßen, soll das einstige Auslaufmodell Gomez nun auch mal ihre Vorlagen schmucklos vollenden. „Er hat sich die Chance verdient“, findet Joachim Löw, dem seine Offensive zuletzt nicht mehr „tödlich genug“ war. Gomez mag diesen Begriff nicht, „aber an guten Tagen bin ich das bestimmt“. Gut möglich, dass beim erneuten Anlauf in der Nationalelf ja auch bei der EM im Sommer in Frankreich noch einmal einige Tage herausspringen, die Mario Gomez auch nicht so schnell vergessen wird.