Aachen. . Der Traditionsverein Alemannia Aachen, im Jahr 2007 noch Bundesligist, ist pleite. Vordergründig ist der Stadionbau schuld. Im Oktober tat sich ein Finanzloch von 4,5 Millionen Euro auf.
Fußballfreunde in Aachen lernen derzeit neues Fachvokabular jenseits von Doppelpass, Doppel-Sechs und dem nächsten 0:1: Restrukturierungs-Beauftragter zum Beispiel oder Planinsolvenzverfahren mit Eigenverwaltung. Der Traditionsverein Alemannia, 2007 noch Bundesligist, ist pleiter als jeder Geier. Im Oktober hatte sich plötzlich ein Finanzloch von 4,5 Millionen Euro aufgetan, das bis Juni, so die zerknirschten Klubchefs, auf 12 Millionen anwachsen werde.
Bitte? War nicht mit dem Zweitliga-Abstieg im Sommer der Etat zusammen gestrichen worden, die Stadionmiete halbiert? Hat Aachen nicht mit beneidenswerten 13.500 Zuschauern die mit Abstand meisten Besucher in Liga 3 (und liegt 4.000 über Plan)? Wo ist das Geld hin? Ende Mai noch war mit schönen Zahlenkolonnen, von alemannianischen Wirtschaftsprüfern abgesegnet, umgeschuldet worden. Stadt und Land übernahmen zweistellige Millionen-Bürgschaften. Alles im Lot, rief Geschäftsführer Frithjof Kraemer und ließ sich vom Aufsichtsrat im September seinen Vertrag verlängern.
Belogen, betrogen
Am 31.10. wurde er von den gleichen Räten, die entweder Mitwisser oder Aufsichtsversager sind, zu Fuß vom Hof gejagt. Und Aufsichtsratschef Meino Heyen, 66, der 1983 den TecDax-Konzern Aixtron gründete, stotterte wie ein Erstklässler, der beim Schummeln erwischt wurde: „Wir, äh, stehen vor einem Scherbenhaufen.“
Die Alemannia Aachen GmbH hat Insolvenz angemeldet. Die Stadt fühlt sich „belogen, betrogen und über den Tisch gezogen“ und reichte Strafanzeige gegen Kraemer, die Klubfürsten und die Wirtschaftsprüfer ein. Offenbar wurden Altlasten kreativ versteckt. Der Oberbürgermeister spricht von „krimineller Energie“. Fans weinen öffentlich. Im Stadion weht das Plakat „Totenkraemer“.
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Wegen der „Komplexität und Größe des Falles“ hat die Schwerpunktstaatsanwaltschaft Wirtschaftskriminalität in Köln das Verfahren an sich gezogen. Es geht um Betrug, Untreue, Steuerhinterziehung, Insolvenzverschleppung. Haft droht und Haftung mit dem Privatvermögen. Intern lagen die Probleme schon im April auf dem Tisch. Aufsichtsrat Horst Rambau, als Steuerberater ein offenbar kundiger Zahlenmensch, hatte exakt jene 4,5 Millionen Miese für den Herbst prognostiziert, es drohe „ein Desaster“ mit bis zu 12 Millionen Mitte 2013. Heyen und Miträte mobbten den Querulanten juristisch umstritten umgehend aus dem Amt. Auch die blauäugige Stadt kannte Rambaus Warnungen, sie verließ sich aber auf das Testat der Wirtschaftsprüfer.
Vordergründig ist der Stadionbau schuld
Vordergründig ist der Stadionbau schuld. Mit dem grellgelben „Neuen Tivoli“ für 50 Millionen Euro und 33 000 Zuschauer, eröffnet 2009, wollte man wettbewerbsfähig bleiben (Ziel: dauerhaft Liga 1) - und baute sich sein eigenes Mausoleum. Doch der größenwahne Betonklotz ist nur mittelbar das Problem. Entscheidend waren die Kredite mit bis zu 14 Prozent Zinsen. Man sei so in Eile gewesen, ließ Kraemer einmal wissen, deshalb die miese Verhandlungsposition.
Insolvenzantrag bedeutet laut DFB-Statuten automatisch Zwangsabstieg in Liga 4. Die Alemannia-Fans sind fassungslos, wütend - und tun was? Sie spenden („Liebe kennt keine Liga“) ihre letzten Sparcents auf ein „Rettungskonto“. Einer schickte dem Insolvenzverwalter jetzt 5 000 Euro: „Ich vertraue Ihnen. Kaufen Sie nen Knipser.“ Wie surreal Vereinshingabe ist, belegt ein Aachener Malermeister: Er sagt, Bauunternehmer Walter Hellmich schulde ihm noch 320 000 Euro, Alemannia habe sich an fünfstellige Zusagen nicht gehalten, der Stadionbau sei „ein Wust aus Lug, Trug und Intrigen“. Dennoch bezeichnet er sich weiter als Fan und pilgert brav zu den Spielen.
Vater des Stadions ist Jürgen Linden. Der ehemalige SPD-Oberbürgermeister und damalige Aufsichtsratschef der Alemannia, hatte den Neubau forciert, Strippen gezogen, nimmermüde für Stimmung gesorgt. Er gilt vielen jetzt als Pate des Untergangs.
Gigantische Summen
Die Summen sind gigantisch. Das Land NRW ist bei der Alemannia mit 23 Millionen Bürgschaft in der Pflicht, die Stadt mit fast 19 Millionen. Die Fananleihe über 6 Millionen Euro inklusive Zinsen, rückzahlbar 2013, dürfte untergehen. Fananleihen, vielerorts sehr beliebt als Herzblutgabe, dienen dazu, akute Liquiditätslöcher in die Zukunft zu verschieben.
Alemannia muss irgendwie „den Geschäftsbetrieb aufrechterhalten“, sprich: die Saison zu Ende spielen. Denn wird das Insolvenzverfahren während der Spielzeit eröffnet, steht das sportliche Todesurteil fest: Absturz in die Kreisliga D (11. Klasse). Also geht das Millionenspiel mitten in der Pleite wieder von vorne los: Gebt uns neues frisches Geld, bettelt die Alemannia durch die Stadt, um die Kosten bis Juni schultern zu können. Zwei Millionen fehlen, um Lokalderbys gegen Teams wie DJK Nütheim-Schleckheim zu vermeiden.
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In Aachen helfen jetzt, ganz wie im richtigen Leben, die Superreichen den Gescheiterten per Almosen: Am 20.1. kommt der FC Bayern unentgeltlich zum Rettungsspiel. „Ein Geschenk“, jubelt der Restrukturierungs-Beauftragte Michael Mönig. Klubchef Heyen übrigens hat jetzt abgedankt, tränenreich enttäuscht, überfordert im Chaosklub. Er wartet auf die staatsanwaltlichen Ermittlungen.
Sportlich ist Weitermachen eine Farce. In der Winterpause werden viele Spieler weiterziehen, weil es nur für drei Monate Insolvenzgeld gibt (maximal 5.600 Euro) und Löhne gespart werden müssen. Amateure und A-Jugendliche werden die Profis ersetzen. Dennoch gibt Mönig als Interims-Klubchef den Klassenerhalt der 3. Liga als Ziel aus. „Wenn wir die Insolvenz gut meistern und es sportlich schaffen, darf man doch nicht durch Zwangsabstieg bestraft werden.“ Statut ist Statut, wird der DFB kühl lächelnd sagen und die gesündere Konkurrenz rebellieren.
Und der Trumm von Stadion? Minigolfplatz? Freilichtmessen? Neues Briefverteilzentrum mit einem gelben Sitz für jede Postleitzahl? Eine Nutzung über Konzerte geht nicht, weil es in diesem Schildbürger-Tivoli keine Fluchtwege aus dem Innenraum gibt.