Essen. Nach dem Phantom-Tor von Hoffenheim standen Bayer-Stürmer Stefan Kießling und Schiedsrichter Felix Brych am Pranger. Dabei hätten eher die Regelhüter des Fußballs Kritik verdient - wegen unterlassener Hilfeleistung. Ein Kommentar von Reinhard Schüssler.

Noch nie dürften die Tornetze in Fußball-Arenen akribischer überprüft worden sein als an diesem Wochenende. Es darf und wird nicht die einzige Konsequenz aus Stefan Kießlings Phantomtor bleiben.

Ein Wiederholungsspiel dürfte freilich nicht dazu zählen. Hat doch der DFB bereits deutlich gemacht, dass er sich diesmal – anders als 1994 im „Fall Helmer“ - an die Vorgaben der Fifa halten wird. Und die hatte seitdem keine weitere Aufweichung der Tatsachenentscheidung des Schiedsrichters mehr geduldet. Aus gutem Grund.

Wer jetzt – mit Recht – beklagt, eine Bestätigung des Leverkusener Sieges wäre eine himmelschreiende Ungerechtigkeit, sollte sich einmal fragen, ob er auch für ein Wiederholungsspiel plädiert hatte, als den Engländern 2010 im WM-Achtelfinale gegen Deutschland ein klares Tor verweigert worden war.

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Damals sprang der Ball nach einem Lattenschuss von Frank Lampard einen halben Meter hinter der Torlinie auf. Wo, bitteschön, ist der Unterschied zwischen einem gegebenen Tor, das keines war, und einem regulären Treffer, der nicht anerkannt wird? Fußball-Deutschland jedenfalls fand seinerzeit die Tatsachenentscheidung gar nicht so schlecht ...

Videobeweis würde mehr Gerechtigkeit bedeuten

Aber zurück zu den Konsequenzen des Hoffenheimer Eklats: In die Karten spielt Kießlings Kopfball, der durch ein Loch im Außennetz den Weg ins Tor gefunden hatte, allen Befürwortern elektronischer Hilfsmittel. Wobei in diesem Fall gar keine Technik nötig gewesen wäre. Schiedsrichter Felix Brych stand keine fünf Meter von dem Bayer-Stürmer entfernt und hatte die bestmögliche Sicht auf die Szene.

Aber selbst seine gravierende, den TV-Zuschauern in Sekundenschnelle vermittelte Fehleinschätzung wäre nicht ins Gewicht gefallen, würde sich der Fußball – wie andere Sportarten – des simplen Videobeweises bedienen. Dabei fielen nicht einmal Kosten an wegen der ohnehin vorliegenden Fernsehbilder. Und solange diese allein zur Überprüfung der elementaren Frage Tor oder kein Tor genutzt werden, ist auch die Sorge vor zu häufigen Spielunterbrechungen hinfällig.

Der Effekt: Mehr Gerechtigkeit und weniger Gewissensnöte bei Spielern wie Schiedsrichtern. Vor allem Stefan Kießling, der sich – anders als 2010 Manuel Neuer, der ebenfalls nicht zur Aufklärung des Sachverhalts beigetragen hatte – an den Pranger gestellt sah, war eher Opfer denn Täter. So widersprüchlich seine Reaktionen – erst Ärger, dann verhaltener Jubel – auf den ersten Blick auch erscheinen mochten, sie passten zur Irritation aller Beteiligten, die mit ihren Zweifeln allein gelassen wurden. Auf die Anklagebank gehören eher die Fußball-Regelhüter – wegen unterlassener Hilfeleistung.