Essen. „Der Weihnachtsmann ist nicht der Osterhase“,hat Uli Hoeneß einmal gesagt - in Anspielung darauf, dass die Meisterschaft nicht im Winter, sondern erst im Frühjahr entschieden wird. In diesem Jahr könnte nun tatsächlich der Osterhase den Münchenern den Titel bescheren. Die Vorfreude hält sich freilich in Grenzen. Ein Kommentar.
Wer Meister wird, hat das dazu gehörende Szenario in seinen Träumen gewöhnlich schon vorweggenommen. Die wohl aufregendste Vorstellung: in einem dramatischen Schlussakt zu triumphieren. Für den größten Adrenalin-Schub in Bayern Münchens Meisterschaftshistorie dürfte daher das Saisonfinale 2001 gesorgt haben, als in Hamburg das späte Freistoßtor des Dänen Patrik Andersson den FC Schalke 04 zum Vier-Minuten-Titelträger, wahlweise: Meister der Herzen machte.
Kann sich dagegen eine Mannschaft den Zeitpunkt für ihren Meisterjubel quasi aussuchen, ist das entspannend und nervenschonend. Aber auch schöner und erstrebenswerter? Obwohl der FC Bayern nach zwei aus seiner Sicht verlorenen Jahren den 23. deutschen Meistertitel mehr begehrte als andere zuvor, wollte in den vergangenen Tagen bei Spielern, Funktionären und Fans keine rechte Vorfreude aufkommen. Konnten sich doch alle Beteiligten monatelang an den Gedanken gewöhnen.
Juve im Hinterkopf
Ja, zuletzt trieb die Bayern-Macher sogar die Sorge um, ein auch rechnerisch abgesicherter Titelgewinn könne am Karsamstag zu früh kommen. Hintergrund: eine drohende Beeinträchtigung der Vorbereitung auf das Champions League-Spiel gegen Juventus Turin. Eine gewonnene Meisterschaft als Störfaktor? Kommt auch nicht alle Jahre vor. Ist aber dem noch höheren Saisonziel der Münchener geschuldet.
Noch mehr aber sorgt sich der Rekordmeister, der bald entthronte BVB könnte ihm noch die Show stehlen..Denn diesen Albtraum leugnet ernsthaft kein bajuwarischer Fan: Der BVB triumphiert in der Königsklasse – und lässt Bayerns Titelgewinn schlagartig in einem weniger glanzvollen Licht erscheinen, auch wenn dies angesichts der grandiosen Saisonleistung ungerecht wäre.
Dass der FC Bayern diesmal seine nationalen Erfolge (der DFB-Pokal ist ebenfalls zum Greifen nah) erst richtig genießen kann, wenn er auch in der Champions League mindestens weiter als der BVB kommt, ist der Preis eines Anspruchsdenkens, das zweifellos dazu beigetragen hat, ihn zum mit Abstand erfolgreichsten deutschen Fußballklub zu machen. Das aber auch Angst machen kann, weil dadurch selbst Erfolge, die anderswo eine ganze Region ausflippen lassen würden, als selbstverständlich hingenommen werden.