Bochum. Der Bochumer Hans Walitza war einer der besten Torjäger der Bundesliga. Er schoss den VfL in die Bundesliga, rettete die Lizenz – doch die Spielsucht katapultierte den Stürmer ins soziale Abseits. „Wie sich der Verein da verhalten hat, war erbärmlich“, erinnert sich Walitza. „Die Enttäuschung war unglaublich.“
An seinem 50. Geburtstag bat Hans Walitza seinen alten Bochumer Kumpel Jürgen Köper: „Hol mich hier raus, sonst passiert was.“ Kurze Zeit später ist der spielsüchtige Goalgetter gemeinsam mit seiner Frau Marlies aus Nürnberg zurück ins Revier gezogen.
Inzwischen hat der frühere Torjäger des VfL die Sucht im Griff. Doch seine Liebe zum VfL ist daran gescheitert. Denn ihm, der den Klub mit seiner Ablösesumme einst am Leben hielt, wollte man in Bochum keine Hilfe gewähren.
Dabei hatte Walitza, der den Klub 1971 in die Bundesliga schoss und dort nicht minder erfolgreich war, in seiner Glanzzeit ganz andere Möglichkeiten. Nicht nur Feyenoord Rotterdam und die Grasshopper Zürich wollten ihn verpflichten, zwischenzeitlich zeigte Real Madrid Interesse an dem Torjäger. Dessen Stürmerstar Santillana drohte das Karriereende, weil er nur eine Niere hatte. Walitzas Pech: Bei genauerem Hinsehen entdeckten die Ärzte doch noch eine zweite Niere, Real hatte keinen Bedarf mehr.
Hans Walitza, sind Sie ein geborener Torjäger?
Hans Walitza: Eigentlich ja. Ich konnte gut schießen und hatte ‘nen sehr guten Kopfball. Aber ich hätte auch ganz gerne in der zweiten Reihe gespielt. Früher hattest du einen, der mit dir auf die Toilette gegangen ist, manchmal auch zwei. Wenn man 90 Minuten gegen Schwarzenbeck spielte, wusste man gar nicht mehr, was los ist.
Sie waren nicht nur bei Ihren Gegenspielern ziemlich gefragt.
Walitza: Als ich Schwarz-Weiß Essen 1969 verließ, hatte ich Angebote von fast allen Bundesligavereinen. Und ich hatte schon beim 1. FC Köln unterschrieben. Trotzdem rief mich Bochums Präsident Ottokar Wüst an und fragte: „Hans, können wir Sie noch einmal kontaktieren?“ Die haben mich so lange beredet, bis ich zugesagt habe.
Wie haben die Kölner reagiert?
Walitza: Meine Frau und ich haben uns mit dem FC-Vorstand getroffen. Da musste ich zum ersten Mal in meinem Leben Schildkrötensuppe essen. Ich habe ihnen gesagt, dass ich es mir in Köln nicht zutraue. Daraufhin haben sie den Vertrag zerrissen, weil sie mich gut leiden konnten. Heute würden sie einem 18 Anwälte auf den Hals hetzen.
Und dann kam auch noch ein Angebot aus Mönchengladbach.
Walitza: Aber das war Trinkgeld. Unter Manager Helmut Grashoff musste man Kohle mitbringen. So bin ich nach Bochum gekommen.
War es die richtige Entscheidung?
Walitza: Die fünf Jahre waren die schönsten meines Fußballer-Lebens.
Walitza war „kein Osterhase, der vorne auf die Eier wartet“
Wie haben Sie es geschafft, zum Publikumsliebling zu werden?
Walitza: Ich habe Tore geschossen! Und ich habe gearbeitet. Die Leute wussten, dass ich kein Osterhase bin, der vorne auf die Eier wartet.
So wurden Sie zum Rekordtransfer Ihrer Zeit, als Sie 1974 von Bochum nach Nürnberg wechselten.
Walitza: Die Ablösesumme betrug 666.000 D-Mark. Der Einzige, der teurer war, war Jupp Kapellmann bei seinem Wechsel von Köln zu den Bayern. Die Leute in Nürnberg haben gedacht, jetzt kommt der liebe Gott. Beim ersten Training habe ich mich schwer verletzt. Da hatte ich schon eine dreifache Depression. Und dann kamen noch Briefe: „Du westdeutsches Schwein, gib die 600.000 zurück.“ Dabei wollte ich ja eigentlich gar nicht weg aus Bochum.
Warum sind Sie trotzdem gegangen?
Walitza: VfL-Präsident Ottokar Wüst kam zu mir: „Hans, wir müssen Sie verkaufen.“ Ich wollte nicht, aber was sollte ich machen? Neben Nürnberg konnten mich aber nur Hertha BSC und – jetzt lachen Sie nicht – Fortuna Köln bezahlen. Finanziell waren die alle eine ganz andere Kategorie als Bochum, aber das hat mich nie richtig interessiert.
Dann kam der Anruf von Fortuna-Präsident Jean Löring.
Walitza: Er hatte mich zu sich nach Hause eingeladen. Das war ein Traumschloss in einem Waldstück – da liefen sogar Löwen herum. Nachts haben wir Tennis gespielt, da sagte er mir: „Hömma, wat willste denn?“ Ich sagte: „Schlagen Sie mal was vor.“ Er: „Du kriegst kein Geld von mir. Ich stell dir ein Vier-Familienhaus hin und für deine Frau eine Kinderboutique. Dann ist gut.“ Warum der das wusste, weiß ich nicht.
Warum wurde es nichts?
Walitza: Bei 400.000 Mark Ablöse sind sie ausgestiegen. Und vor 3000 Zuschauern wollte ich nicht wirklich spielen. Da hätte er mir acht Hochhäuser hinstellen können.
So ging es nach Nürnberg.
Walitza: Das war einer meiner größten Fehler. Nicht, weil es so schlimm war. Aber was ich da mitgemacht habe, war schon krass. Es fing gleich mit dem Start an: Ich hab nicht dran gedacht, nur einen Vertrag für die Bundesliga zu unterschreiben. Am Ende fehlte ihnen ein Tor zum Aufstieg und ich war schon wieder in dieser scheiß Zweiten Liga.
Haben Sie das verdoppelte Gehalt, das Sie im Vergleich zu Bochum kassierten, als Schmerzensgeld empfunden?
Walitza: Die Moneten haben mich nie interessiert, das war der Fehler. Nürnberg war wie Schalke: Wenn die kamen, passte keine Maus mehr ins Stadion. Und überall gab es Hass. Ich habe immer über 20 Tore geschossen, aber nie mehr meine Bochumer Form erreicht.
Walitza ist beim 1. FC Nürnberg „nie glücklich geworden“
Im vierten Jahr mit dem FCN gelang doch der Klassensprung.
Walitza: Danach ging meine Misere mit einem Achillessehnenriss weiter. Es hatte keinen Zweck mehr. Auch deshalb bin ich beim FCN nie glücklich geworden.
Leiden Sie heute mit Bochum?
Walitza: Nein. Früher habe ich nach den Partien mit Nürnberg immer als Erstes gefragt, wie der VfL gespielt hat. Ich war Bochumer durch und durch. 1996 sind wir nach Bochum zurückgekehrt. Wissen Sie, wie oft ich seitdem im Stadion war? Einmal 1998 gegen Werder Bremen, und da hat mich Jürgen Köper vergewaltigt, damit ich mitgehe.
Wie kam es zum Bruch mit Ihrem Herzensverein?
Walitza: Das hat viele Gründe. Bei Vereinen wie Bayern und Dortmund sind viele ehemalige Spieler eingebaut, ob es nun Platzwart ist oder was weiß ich. Ich wage zu behaupten: Ohne mich wäre der VfL nicht aufgestiegen. Diese Ablösesumme, die mein Leben radikal verändert hat, hat Bochum am Leben gehalten. Wenn der VfL damals nicht die Lizenz erhalten hätte, glaube ich nicht, dass er noch einmal hochgekommen wäre. An so etwas sollte man sich mal erinnern, wenn einer in Schwierigkeiten steckt.
Und Sie steckten aufgrund Ihrer Spielsucht in Schwierigkeiten.
Walitza: Ich habe viel Mist gebaut im Leben. Aber wie sich der Verein da verhalten hat, war erbärmlich. Ich wollte ja keine 200.000 Euro verdienen. Aber da kam nichts. Mir wurde ein Fließbandjob in einer Recyclingfirma angeboten. Die Enttäuschung war unglaublich.
Wie gehen Sie nun damit um?
Walitza: Ich schaue mir die Spiele im Fernsehen an. Ich freue mich nicht, wenn sie gewinnen, und ich ärgere mich nicht, wenn sie verlieren. Das ist eigentlich traurig.