Stuttgart. Für Stuttgart-Trainer Bruno Labbadia ist nach dem 2:2-Unentschieden gegen Bayer Leverkusen das “Fass absolut voll“. Nach Pfiffen und “Bruno, raus“-Rufen ließ Labbadia seinem Frust in einer Wutrede freien Lauf. Wolfsburg-Coach Felix Magath pflichtet seinem Kollegen bei. Auch VfB-Sportdirektor Fredi Bobic hat Verständnis für seinen Trainer.
Vielleicht lag es ja daran, dass er Rudi Völler das ganze Spiel als Inspiration vor der Nase hatte. Oder brach doch seine italienische Abstammung heraus? Sie erinnerte schon enorm an Giovanni Trapattoni, die Wutrede des Bruno Labbadia nach dem 2:2 seines VfB Stuttgart gegen Bayer Leverkusen.
Statt "Flasche leer" ist bei "Labbatoni" freilich das "Fass absolut voll". Er stellt sich die Frage "Arsch geleckt?" statt "Was erlauben Strunz?" wie am 10. März 1998 Vorbild Trapattoni. Die Quintessenz seiner 130 Sekunden langen Ausrasterrede in der Pressekonferenz: Die Medien sind schuld an der Misere des VfB. Damit war der Mann mit dem hochroten Kopf wieder ganz bei Rudi Völler, der als Teamchef der deutschen Nationalmannschaft am 6. September 2003 in seiner gleichfalls legendären Wutrede bei "Weißbier-Waldi" Hartmann die Contenance verloren hatte.
Magath: "Es wird respektlos mit Trainern umgegangen"
Wie damals gab es auch diesmal viel moralische Unterstützung. Speziell von Menschen wie Felix Magath, der als Trainer des Tabellen-17. VfL Wolfsburg ähnlich in der Kritik steht wie Labbadia beim 15. VfB. "'Es ist so, wie er gesagt hat: Es hat sich in diesem Geschäft eingebürgert, wenn was schiefläuft, dann geben wir dem Trainer die Schuld. Es wird wirklich respektlos mit den Trainern umgegangen", sagte Magath im "Sportclub" des NDR. Es habe sich in diesem Geschäft eingebürgert, dass man dem Trainer die Schuld gebe, wenn etwas falsch läuft.
Das ist in den letzten Jahren auch in Stuttgart so gewesen, so gesehen haben die Verantwortlichen bei den Schwaben selbst die größte Schuld an dieser Entwicklung. 2008 musste Armin Veh gehen, 2009 Markus Babbel, 2010 Christian Gross und Jens Keller. Bruno Labbadia ist inzwischen seit rekordverdächtigen 22 Monaten im Amt. Das liegt vor allem an Sportdirektor Fredi Bobic, der keine Trainerdiskussion zulässt. So war es dann auch nach der Wutrede von Labbadia.
"Es ist das gute Recht des Trainers, sich Luft zu machen", sagte Bobic, der im hinteren Teil des Pressekonferenz-Raums die mit bebender Stimme und hochrotem Kopf vorgebrachten Ausführungen des Coachs mit angehört hatte. Auf die Palme gebracht hatten Labbadia die "Bruno, raus"-Rufe, als er den von Krämpfen geschüttelten und leicht angeschlagenen Nachwuchsspieler Raphael Holzhauser ausgetauscht hatte. Der hatte zuvor das 2:1 des Doppeltorschützen Vedad Ibisevic mustergültig vorbereitet.
Labbadia: "Totale Grenze erreicht"
Auch interessant
Es waren nur ein paar VfB-Fans auf dem Oberrang, die ihren Frust über den Trainer verbal geäußert hatten, der große Rest der Anhänger pfiff einfach nur. Dennoch schlussfolgerte der 46-Jährige Labbadia, dass die Menschen von den Medien aufgewiegelt worden seien. Es sei eine "totale Grenze erreicht", er könne nicht akzeptieren, dass Trainer "wie der letzte Depp dargestellt" würden und der "Mülleimer von allen Menschen seien". Er sei es schließlich gewesen, so Labbadia, der vor ein paar Wochen mit seinem Veto die Abwanderung des 19 Jahre jungen Hoffnungsträgers Holzhauser verhindert habe.
Labbadia stellte noch einmal seine Verdienste für den VfB heraus, die nach seiner Meinung nicht ausreichend gewürdigt würden. "Als ich kam, war der VfB abgeschlagen am Tabellenende. Keiner hat mehr einen Pfifferling auf diesen Verein gegeben." Er habe danach den Abstieg verhindert und den Verein in die Europa League geführt. Das alles trotz der "Etatkürzung von 20 Millionen Euro, die ich mitgemacht habe".
Bobic froh über Länderspiel-Pause
Es wundere ihn nicht mehr, dass hier alle paar Monate ein neuer Trainer geholt wird. Man frage sich doch: "Gehe ich einen schweren Weg mit? Oder sage ich: am Arsch geleckt." Das klang in diesem Moment fast so, als würde Labbadia den ganzen Kram in Stuttgart hinwerfen wollen. Fredi Bobic sagte dazu nebulös, dass er kein Wahrsager sei und in die Zukunft blicken könne. Zur Zeit mache die Arbeit allerdings manchmal keinen Spaß mehr: "Aber wir können schon einiges verkraften."
Auch so eine Wutrede wie die von Bruno Labbadia am 7. Oktober 2012. Er sei froh, dass jetzt erstmal Länderspiel-Pause sei, sagte Bobic: "Danach beginnt die richtig heiße Phase". Da kann man bei "Labbatoni" auf einiges gefasst sein. (dapd/sid)
Die Pressekonferenz mit Fredi Bobic im Wortlaut
"Herr Bobic, bei der Auswechslung von Raphael Holzhauser hatte es Pfiffe und 'Bruno raus'-Rufe gegeben. Wie bewerten Sie den Ausbruch von Trainer Bruno Labbadia nach dem 2:2 gegen Bayer Leverkusen?"
Fredi Bobic (Sportdirektor VfB Stuttgart): "Dafür habe ich absolutes Verständnis. Er hat ein gutes Recht, sich genau so zu äußern. Wir könnten jetzt viele Dinge aufarbeiten, was hier alles war. Insgesamt sind wir immer sehr offen und ehrlich mit der Situation umgegangen, was in den letzten Wochen und Monaten alles passiert ist. Wir wussten, dass es nicht einfach ist. Heute hat im Spiel eine Verletzung stattgefunden. Die Leute werden aufgewiegelt. Sie wissen es nicht besser, und sie können es auch nicht besser wissen. Im Spiel passiert etwas völlig Normales - ein Spieler zeigt an, dass er nicht mehr kann und man nimmt ihn runter."
"Bruno Labbadia hat von den finanziellen Vorgaben des Vereins gesprochen. Das hat die Vereinsführung nie so kommuniziert. Wird Ihnen und dem Trainer der Schwarze Peter zugeschoben?"
Bobic: "Darum geht es nicht. Wir nehmen die Situation an..."
"Aber warum wurde es nicht besser kommuniziert?"
Bobic: "Da müssen Sie den einen oder anderen fragen. Ich kann nur sagen, dass wir immer offen und ehrlich mit der Situation umgegangen sind. Wir haben niemandem erzählt, dass wir dieses Jahr in die Champions League einziehen. Das haben Sie von niemandem gehört. Wir wissen, dass es schwer werden kann, wenn das eine oder andere passiert, und es ist leider früh in der Saison zu viel passiert. Aber wissen Sie, wenn dann geschrieben wird, im Trainerstab stimmt es nicht, mit den Spielern nicht und hin und her, dann reicht es. Es reicht! Ich habe das schon vor einer Woche gesagt. Man braucht niemandem auf die Schulter klopfen, wenn es nicht läuft. Kritik kann man äußern, aber sie muss sachlich sein und darf nicht persönlich werden."
"Sollte der Vorstand nicht hergehen und dem Umfeld klarmachen, dass man kleinere Brötchen backen muss?"
Bobic: "Ich bin nicht im Vorstand, ich bin der Sportdirektor. Ich versuche, das umzusetzen, was man mir vorgibt - was schon schwer genug ist. Die Leidenschaft und die Passion für den Verein stehen an erster Stelle, und das macht ja auch Spaß. Nur momentan macht es manchmal auch keinen Spaß, weil zu viele Sachen dabei sind, die nicht passen. Hier werden viele Dinge vermischt, und plötzlich ist der Trainer Schuld. Der kann gar nix dafür. Er geht den Weg sogar absolut mit."
"Was ist die Konsequenz daraus?"
Bobic: "Die Konsequenz daraus ist, dass auch ein Mensch das Recht hat, sich einmal Luft zu machen."
"Wie lange kann das noch gutgehen, wenn jemand so aufgebracht ist? Haben Sie die Befürchtung, dass Bruno Labbadia hinschmeißt?"
Bobic: "Wir können schon einiges verkraften. Wir arbeiten sehr eng zusammen. Deswegen habe ich auch nie eine Diskussion (um Labbadia, d. Red.) aufkommen lassen. Die Diskussion gab es im letzten Herbst, die fängt jetzt wieder an, das gab's zum Anfang der Rückrunde. Ständig Diskussionen. Das mache ich nicht mit. Es geht mit alle Ruhe weiter."
"Kann es nicht sein, dass der Trainer demnächst sagt: 'Es reicht!'"
Bobic: "Sollen wir jetzt über irgendwelche Dingen in der Zukunft reden, die ich nicht weiß? Ich bin kein Wahrsager. Man muss doch auch einmal den Menschen verstehen. Ich habe vorhin auch auf der Bank gesessen und mich gefragt: 'Was ist denn das jetzt?''
"Die letzten Tage gab es keine Anzeichen für einen Rücktritt des Trainers?"
Bobic: "Wir reden sehr offen und ehrlich. Wir versuchen vieles, um aus dieser schwierigen Situation wieder rauszukommen. Wir haben auch einen Plan, wie man das schaffen könnte. Aber es muss unheimlich viel passen."
"Raphael Holzhauser war bis zu seiner Auswechslung ein Aktivposten. Wie haben Sie seine Leistung gesehen?"
Bobic: "Das war gut. Aber das ist auch so eine Geschichte, die immer wieder vereinfacht wird. Es wird immer gesagt: 'Werft sie (die Talente, d. Red.) früher rein'. Aber der Junge (Holzhauser, d. Red.) braucht seine Zeit. Und er wird seine Zeit weiter benötigen, damit er über 90 Minuten powern kann. Das ist ein junger Bursche."
"Labbadia sagte, er habe verhindert, dass Holzhauser ausgeliehen wird."
Bobic: "Bruno hat sich vehement für ihn eingesetzt und gesagt: 'Den kriegen wir hin.'"
"Wie froh sind Sie, dass jetzt erst einmal die Länderspielpause ansteht?"
Bobic: "Das ist gut, danach haben wir hoffentlich personell mehr Optionen. Nach der Pause beginnt die richtig heiße Phase."
(sid)