Essen. Jürgen Klinsmann ist nach nur 76 Tagen als Trainer von Hertha BSC zurückgetreten. Beide kommen nicht gut aus der Posse heraus. Ein Kommentar.
Jürgen Klinsmann möchte nicht mehr weiter als Trainer von Hertha BSC arbeiten. Nach gerade mal 76 Tagen beim Berliner Fußball-Bundesligisten. Das ist insofern konsequent und auch lobenswert, wenn der 55-Jährige nicht mehr die Perspektive für sich erkennt, zumindest in dieser Funktion Positives bewirken zu können. Denn ehrlich: Trainer, die von sich aus die Zusammenarbeit mangels vielversprechender Aussichten beenden, sind ja beinahe ausgestorben. Zum aktuellen Geschäft des Trainerpersonals gehört ja viel mehr, die Situation auszusitzen und auf die Kündigung seitens des Vereins zu warten, damit der Abschied wenigstens noch mit einer Abfindung versüßt wird.
Das war dann aber auch schon alles, was man Jürgen Klinsmann in dieser Angelegenheit zugutehalten kann.
Klinsmann-Rücktritt kommt ganz schön amerikanisch daher
Vielleicht fehlt der breiten Öffentlichkeit noch das Verständnis für die öffentliche Bekanntmache von Klinsmanns Rückzug. Jedenfalls haben nicht nur die Verantwortlichen des Hauptstadtklubs, der die Kernaussage von Klinsmanns Facebook-Botschaft anfangs auch nicht bestätigen vermochte, große Augen gemacht. Der Rücktritt des früheren DFB-Bundestrainers kommt arg inszeniert und daher ganz schön amerikanisch daher, was aufgrund der Kalifornien-Vergangenheit Klinsmanns wiederum weniger überrascht. Die Frage muss daher gestattet sein, ob sich Klinsmann überhaupt als Trainer oder als Projekt-Antreiber verstanden hat.
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Klinsmanns Rücktritt macht nun ihn selbst wie auch die mit großen Ambitionen in die Rückrunde gestartete Hertha zu großen Verlierern. Wenn er selbst nicht die Möglichkeit erkennt, mit dem zweifelsohne bestenfalls mittelklassigen Kader den hohen Ansprüchen des Bundesligisten gerecht zu werden, wer soll es denn dann bitte? So schnell aufzugeben ist zugleich ein Eingeständnis, nicht das erhoffte Optimum aus den Spielern herausholen zu können. Wobei auch Klinsmann klar sein dürfte: Die Hertha liegt gerade mal vier Punkte vor dem Relegationsplatz und zwölf Zähler hinter dem letzten Europa-League-Platz, den Schalke 04 derzeit belegt. In welche Richtung würde die Hertha-Fahrt also eher gehen – nach oben oder nach unten?
Zudem macht sich der Weltmeister von 1990 für seine zukünftige Rolle bei der Alten Dame unglaubwürdig. Denn Jürgen Klinsmann möchte ja weiter Mitglied des Aufsichtsrates sein. Wenn er dann aber in den Sozialen Medien in seiner Begründung „handelnde Personen“ kritisiert, deren Vertrauen er nicht spüre, erschwert dies dem allgemeinen Verständnis nach doch die Basis für die weitere Zusammenarbeit. Es sei denn, nach dem Kader wird bei den Berlinern nun auch die administrative Ebene personell kräftig durcheinander gewirbelt.
Hertha BSC: Big Loser Club statt Big City Club
Hertha BSC kommt allerdings auch nicht gut aus der Posse heraus. Nicht nur weil Klinsmann sich so gerne mit strahlendem Gesicht präsentiert, hatte der Verein in dem 55-Jährigen eine weltweit erkannte sowie anerkannte Fußballikone und damit die vermeintlich ideale Vorzeigefigur für sein ambitioniertes Programm gefunden. Doch aus dem Big City Club ist nach nur vier Rückrundenspielen erst einmal der Big Loser Club geworden.
Man muss akzeptieren, wenn Bundesligisten mithilfe von millionenschweren Investoren dem Graue-Maus-Image entfliehen wollen. Ob das Geld dafür wie im Falle der Berliner von Lars Windhorst kommt oder bei Aktiengesellschaften wie dem FC Bayern und Borussia Dortmund, macht damit keinen großen Unterschied. Die laufende Saison mit allen Unwägbarkeiten zeigt den Hertha-Verantwortlich aber noch einmal schonungslos auf, wie weit der Weg zu nationalem Erfolg und dann erst zu internationalem Renommee ist. Im Übrigen völlig gleich, ob der Trainer dabei Jürgen Klinsmann heißt oder anders.