Essen. Hertha BSC gegen Union Berlin - ein Stadtderby, eine Premierenpaarung in der Bundesliga und eine Begegnung von Ost und West. Eine Kolumne.
Wer irgendwann in seinem Leben mal nach Berlin zieht, Fußballfan ist und die emotionale Nähe zu seinem Heimatverein mit in die Umzugskartons packt, muss in der Hauptstadt nicht lange alleine bleiben. Für beinahe jeden Bundesligaverein gibt es mindestens eine Kneipe, in der Fan-Herzen im gleichen Takt schlagen. Die Fußballkneipenvielfalt in der Hauptstadt ist zwingend notwendig. Schließlich spült es Menschen aller Regionen, Anhänger aller Klubs nach Berlin, und die wenigstens wollen im Exil beim Fußballgucken neben einem Menschen sitzen, der dem falschen Verein anhängt.
Einen ernstzunehmenden Titel gab es in Berlin zuletzt 1968
Eines aber eint die zugezogenen Fußballfans. In Berlin gehen die meisten nur dann ins Fußballstadion, wenn „ihre“ Mannschaft zu Besuch ist. Dass Neu-Berliner selbst nach zehn oder mehr Jahren Zuneigung zu einem der ortsansässigen Vereine entwickeln, darf als so gut wie ausgeschlossen angesehen werden. Wenn überhaupt, werden Hertha BSC oder Union Berlin von Neu-Berlinern in einer Mischung aus Häme und Mitleid betrachtet. Das hat seine Gründe: Herausragende sportliche Leistungen, ernstzunehmende Titel? Seit langem Fehlanzeige. Hertha BSC war 1930 und 1931 Deutscher Meister. Union 1968 DDR-Pokalsieger.
Wer mit „Ureinwohnern“ in den Sozialen Medien verbunden ist, wird zudem von Hertha-Fans regelmäßig Bilder vom Olympiastadion gezeigt bekommen, das darauf trotz ordentlicher Besucherzahlen oft halbleer und vollkommen trist wirkt, während der Union-Anhänger über Jahre hinweg mit ähnlich zähem Beharrungsvermögen aus der Alten Försterei Bilder von bombastischer Stimmung und – das Aufstiegsjahr mal ausgenommen – mäßigen sportlichen Leistungen übermittelt. Das Leben als Fußballfan erfordert für den Berliner ein hohes Maß an Leidensfähigkeit.
Auch wenn mittlerweile einige Hipster in Innenstadtbezirken von Union schwärmen, stehen beide Klubs eher für das alte Berlin. Dass der eine Klub im Westen, der andere im Osten beheimatet ist, spielt dabei in der Kneipe, so nach der vierten oder fünften Runde, ernsthaft eine Rolle, wenn Freunde aus West und Ost gemeinschaftlich bierselig vor Jahrzehnten verlorenem Heimatgefühl nachtrauern.
Begegnung von Ost und West
Wenn an diesem Samstag (18.30 Uhr/Sky) Hertha BSC zum ersten Bundesliga-Spiel zu Union „reist“, ist das also einerseits normal und andererseits schwer symbolträchtig: Das Spiel ist ein Stadtderby, eine Premierenpaarung in der Bundesliga und eine Begegnung von Ost und West. Es ist zudem eine Ansetzung mitten hinein in die Vorbereitungen zu den Feierlichkeiten zu 30 Jahren Mauerfall ein Wochenende später. Da mag der zugereiste Berliner sich noch so sehr über zu den erwartenden sportlichen Durchschnitt des Spiels mokieren, auch für ihn wird es wohl eine hochemotionale Angelegenheit.