Eppan. Der Kölner Jonas Hector hat sich in der deutschen Nationalmannschaft etabliert. Aber er braucht für sein Glück keine große Bühne. Ein Interview.

Vor wenigen Tagen hat Jonas Hector Geburtstag gefeiert. 28 Jahre alt ist er nun. Die Kollegen bei der Nationalmannschaft haben ihm im Trainingslager in Eppan, wo sich Deutschlands beste Fußballer auf die WM in Russland (14. Juni bis 15. Juli) vorbereiten, ein Ständchen gesungen. Hector im Rampenlicht. Ein Gefühl, das er nicht sonderlich schätzt. Seinen Vertrag beim Absteiger 1. FC Köln hat er bis 2023 verlängert. Mit dieser Zeitung sprach er über die überraschende Entscheidung und seine Beweggründe, die kleinere Bühne gewählt zu haben.

Dürfen wir Ihnen nachträglich gratulieren?

Jonas Hector: Wozu? Zum Geburtstag?

Selbstverständlich. Aber auch dazu, dass Sie den Fans den Glauben an das Gute im modernen Fußball zurückgegeben haben.

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Hector: Die Entscheidung ist nicht gefallen, weil ich ein Statement gegen die Sitten im modernen Fußball setzen wollte. Ich habe aus persönlicher Überzeugung so entschieden.

Was waren Ihre Gründe?

Hector: Meine Freundin, meine Freunde und meine Familie fühlen sich wohl in Köln, ich fühle mich extrem wohl im Verein und in der Stadt. Daran möchte ich derzeit nichts ändern.

Im Fußball geht es – so scheint es – eigentlich immer nur noch um Geld und den eigenen Vorteil. Warum leisten Sie sich diese Art von Romantik?

Hector: Das ist mein Naturell. Das war auf niedrigerer Ebene früher schon so. Ich habe lieber in meinem Heimatverein mit meinen Freunden zusammen gespielt als beim 1. FC Saarbrücken, dem nächst gelegenen großen Verein. Es hat mich nicht gereizt, es mit allen Konsequenzen durchzuziehen. Ich wollte lieber gut behütet mit meinen Freunden kicken.

Wer böswillig ist, könnte Ihnen auch mangelnden Ehrgeiz vorwerfen.

Hector: Das wäre falsch. Ich bin sehr ehrgeizig. Es geht immer um das Gesamtpaket. Und das erscheint mir in Köln passender.

Wie empfinden Sie es, dass es heutzutage Spieler gibt, die sich aus Ihren Verträgen streiken oder mehr als 200 Millionen Euro kosten?

Hector: Jeder hat andere Ansprüche, jeder steckt sich andere Ziele. Aber klar: Spieler, die streiken, stellen sich in ein schlechtes Licht und das wird von der Öffentlichkeit und der Gesellschaft auch entsprechend wahrgenommen. Und die Summen sind extraordinär geworden. Vor 40 Jahren hätte man es für einen Scherz gehalten, dass Spieler einmal so teuer sein könnten. Das Geschäft hat sich verändert. Damit muss man sich arrangieren.

Maximal profitieren wollten Sie von diesem System jetzt offenbar nicht.

Hector: Es steht außer Frage, dass ich bei anderen Vereinen mehr hätte verdienen können. Aber mein Ziel ist nicht, am Ende meiner Karriere 400 Millionen Euro auf der Bank liegen zu haben. Gefühl ist wichtiger als Geld. Für mich ist die wichtigste Frage: Bin ich glücklich in der Situation, in der ich bin, oder nicht? Und wenn ich zu der Antwort komme: Ja, ich bin glücklich, warum sollte ich daran etwas ändern?

Beim Champions-League-Starter Borussia Dortmund war man offenbar zuversichtlich, Sie zu einem Wechsel bewegen zu können.

Hector: Was man so hört, ja (lacht).

Klären Sie uns auf.

Hector: Ich kann das nicht aufklären. Ich habe mich auf die Aufgabe mit dem FC konzentriert und alles weitere erst einmal von mir weggeschoben. Als dann für mich klar war, dass ich in Köln bleiben will, habe ich mich mit allem anderen nicht mehr beschäftigt.

Träumen Sie davon, in der Champions League zu spielen?

Hector: Aktuell brauche ich das nicht unbedingt, sonst würde ich diesen Weg nicht gehen. Aber es kann natürlich sein, dass sich das nach ein oder zwei Jahren noch einmal ändert. Wenn die Möglichkeit dann noch bestünde, würde ich die wohl auch wahrnehmen. Aber das ist Zukunftsmusik.

Bundestrainer Joachim Löw betont stets, wie wichtig es ist, sich auch im Klub regelmäßig mit den Besten zu messen. Haben Sie die Sorge, dass ihr Zweitliga-Dasein Ihre Karriere in der Nationalmannschaft gefährdet?

Hector: Natürlich hatte ich das im Hinterkopf. Aber es geht um mich.

Haben Sie Ihre Entscheidung vorher mit dem Bundestrainer abgestimmt?

Hector: Nein, gar nicht.

War Ihr neuer Vertrag hier in Eppan bei der Nationalmannschaft ein Thema?

Hector: Natürlich habe ich hier darüber gesprochen, nicht mit dem Bundestrainer, aber mit Mitspielern und Mitarbeitern, die auch wissen wollten, warum ich das gemacht habe. Denen habe ich das gleiche erzählt wie Ihnen (lacht).

Wie fielen die Reaktionen aus?

Hector: Eher anerkennend. Manche haben mir Respekt ausgesprochen. Das hört man gern.

2016 bei der EM haben Sie Ihr erstes großes Turnier erlebt – und avancierten gleich zum Helden, als Sie im Viertelfinale gegen Italien als 18. Schütze den entscheidenden Elfmeter verwandelten. Denken Sie daran gern zurück?

Hector: Ich bin in den vergangenen zwei Jahren immer wieder darauf angesprochen worden. Aber es ist nicht so, dass ich abends im Bett liege und daran denken muss.

Damals waren Sie ein Neuling, in der Zwischenzeit haben Sie so viele Spiele für die Nationalmannschaft gemacht, wie kaum ein anderer. Hat sich Ihre Rolle verändert?

Hector: Zu Beginn habe ich mir immer einen Kopf gemacht: Darf man das? Passt denen das? Ist das richtig? Da entwickelt man über die Jahre ein anderes Selbstverständnis. Und auf dem Platz habe ich das Gefühl, dass das Vertrauen der Mitspieler in mich größer geworden ist. Ich bin ein fester Teil der Mannschaft geworden.

Würden Sie im Elfmeterschießen deshalb wieder antreten? Als einer der ersten Schützen?

Hector: Das muss nicht unbedingt sein, nein (lacht).

Wie nehmen Sie Ihren Konkurrenten auf der Linksverteidiger-Position, den Berliner Marvin Plattenhardt, wahr?

Hector: Marvin hat in den vergangenen Jahren in der Bundesliga gute Leistungen gebracht. Was er mir voraus hat, ist sein Flankenspiel, mit dem er viele Tore vorbereitet. Das ist sehr, sehr gut. Davon versuche ich mir was abzugucken.

Sie schauen sich bei Ihm etwas ab?

Jonas Hector (r.) im Gespräch mit Daniel Berg (l.) und Jörn Meyn (Mitte).
Jonas Hector (r.) im Gespräch mit Daniel Berg (l.) und Jörn Meyn (Mitte).

Hector: Ja, natürlich. Das mache ich bei allen Spielern, die auf meiner Position spielen.

Sie meiden gern das Rampenlicht, inszenieren sich nicht in den Sozialen Medien, Sie fanden erst spät zum Profifußball, nun schlagen Sie einen Teil des Geldes, das er Ihnen bringen könnte, aus. Woher kommt eigentlich der Hang zur Andersartigkeit?

Hector: Man fragt sich natürlich auch selbst mal, warum man nicht diesen oder jenen Weg gegangen ist. Wäre meine Karriere anders verlaufen, wenn ich früh in ein Nachwuchsleistungszentrum gegangen wäre? Aber ich habe meine Kindheit und Jugend bei meinen Freunden verbracht, habe es geschafft, Profi zu werden und in der Nationalmannschaft zu spielen. Viel besser hätte es für mich nicht laufen können.

Es macht fast den Anschein, als suchten Sie nicht nach den Dingen, die Sie für Ihr Glück finden.

Hector: Es kommt eben, wie es kommen soll. Natürlich setze ich mir Ziele. Den Druck, für mein persönliches Glück in der Nationalmannschaft und in der Champions League spielen zu müssen, habe ich mir aber nicht auferlegt. Ich war immer zur rechten Zeit am rechten Ort, ob das jetzt in Köln war, als der Umbruch nach dem Abstieg erfolgte, oder bei der Nationalmannschaft, als Philipp Lahm aufgehört hatte.

Wenn Sie irgendwann auf Ihre Karriere zurückblicken: Wann wäre es eine gelungene Karriere?

Hector: Da ich mit 20 Jahren erst zu einem großen Verein gegangen bin, ist es für mich ehrlicherweise jetzt schon eine gelungene Karriere. Das bedeutet nicht, dass ich mich jetzt zurücklehne. Sondern ich arbeite weiter an mir – und dann schauen wir mal, wo es noch hingeht.