Eppan. Die Innenverteidiger haben einen hohen Stellenwert bei Bundestrainer Joachim Löw. Sechs kämpfen um die begehrten Plätze bei der WM 2018.

Antonio Rüdiger brach sich fast die Beine, als er versuchte, ein Tor zu schießen. Beim Training der deutschen Nationalmannschaft in Südtirol lief der Verteidiger zum Schuss an, holte aus und stolperte über einen daneben liegenden anderen Ball, dass er bäuchlings auf dem Rasen landete. Die Reporter hielten den Atem an. Nicht schon wieder Rüdiger. Der hatte sich doch schon beim ersten Training bei der Europameisterschaft 2016 das Kreuzband gerissen.

Rüdiger wechselte 2017 für 38 Mio Euro zum FC Chelsea

Den Atem hielten auch Ilkay Gündogan, Leroy Sané und Julian Draxler an. Beziehungsweise blieb er ihnen weg. Auch sie lagen nach dem verunglückten Schuss nun bäuchlings auf dem Rasen – vor Lachen. Typisch Verteidiger, mögen sie gedacht haben, „diese Holzfüße“. Rüdiger lachte mit.

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In der Vergangenheit wurde der Abwehrspieler ja oft genug belächelt. Früher war er ein reiner Arbeiter, er gehörte zum Fußball-Proletariat, während die Künstler weiter vorn anzufinden waren. Mit Begriffen wie „Manndecker“ oder „Vorstopper“ hielt die Fachsprache sie klein. Sie spielten nicht, sie grätschten. Und wenn sie verehrt wurden wie Jürgen Kohler oder Guido Buchwald, dann für ihre Fähigkeit, das schöne Spiel des Gegners zu zerstören.

Doch das hat sich geändert. Für Verteidiger wie Rüdiger werden heute irre Summen bezahlt. Der 25-Jährige wechselte vor einem Jahr für 38 Millionen Euro vom AS Rom zum FC Chelsea. Im gleichen Sommer kaufte Gladbach Matthias Ginter aus Dortmund für 17 Millionen Euro. Und in München investierten sie 20 Millionen Euro in Niklas Süle aus Hoffenheim.

Der Abwehrspieler an sich hat eine Aufwertung erfahren. Und das schlägt sich nun auch bei Bundestrainer Joachim Löw nieder. In seinem vorläufigen WM-Aufgebot hat der 58-Jährige keine Position so üppig besetzt wie die des Innenverteidigers. Mit Rüdiger, Ginter, Süle, Jonathan Tah sowie Mats Hummels und Jerome Boateng sind es sechs. Das klingt nach Fußball der Vergangenheit. Als plane Löw die Rückkehr des „Ochsenspießes“. So wurde die Viererkette aus Benedikt Höwedes, Per Mertesacker, Hummels und Boateng bei der WM 2014 getauft, alle etwa 1,90 Meter groß oder größer.

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Aber die Vielzahl an Verteidigern in Löws Kader ist eher ein Ausdruck von moderner Flexibilität. Rüdiger, Süle und Ginter haben nachgewiesen, neben der Vierer- auch die Dreier-Abwehrkette zu beherrschen. Süle in Hoffenheim, Ginter vor allem beim Confed-Cup-Sieg 2017 und Rüdiger in Rom sowie bei Chelsea. „Wir haben jetzt ein paar gute Alternativen. Sie sind alle stark“, sagte Hummels am Dienstag. Beruhigend ist das, weil Hummels und Boateng gerade etwas ramponiert daherkommen: der eine mental, der andere körperlich. Er sei nach dem verlorenen Pokalfinale in ein „kleines Loch gefallen“, so Hummels. Boateng kann nach seiner Muskelverletzung immer noch nicht mit der Mannschaft trainieren. „Wir sind aber nicht besorgt. Alles ist bei ihm im Soll“, berichtete Andreas Köpke aus dem Trainerteam. Hummels hätte keine Bedenken, mit einem anderen Nebenmann beim ersten WM-Spiel gegen Mexiko (17. Juni) aufzulaufen, sollte Boateng Zeit brauchen: „Selbst wenn uns drei Verteidiger ausfallen, haben wir immer noch eine gute Auswahl“, sagte der 29-Jährige. Einer der sechs Innenverteidiger aber wird noch aussortiert, wenn Löw am 4. Juni das finale Aufgebot festlegt. Tah könnte es treffen.

Zwei Spieler im DFB-Training Stirn an Stirn

Rüdiger eher nicht. In Löws Plan hat er seinen Platz, weil er wie Süle Geschwindigkeit mit Stärke kombiniert. Und um diesen Platz kämpft er, was ebenfalls am Dienstag beim Training zu sehen war: Nach einem Zweikampf fetzte er sich mit Joshua Kimmich, Stirn an Stirn standen sie sich gegenüber. Die Szene zeigte: Es geht zur Sache, der Wettbewerb läuft.

Ob er sicher sei, dass er zur WM fahre, wurde Rüdiger gefragt. Da machte er ein Gesicht, wie es Verteidiger früher gern ihren Gegenspielern zeigten. Mit finsterer Miene sagte er: „Wir werden sehen.“ Es wird so kommen, solange ihn nicht herumliegende Bälle stoppen.