Essen. Die Basketball-Stars aus den USA dominierten die Olympischen Sommerspiele 1992 in Barcelona. In wenigen Tagen änderte sich damals alles.

Was wusste ich schon als Elfjähriger über das Leben? Über Geografie? Über Angola? Doch ich ahnte schon damals, dass man Charles Barkley ernst nehmen sollte. Wenn jemand wie Charles Barkley ankündigt, dass Angola ein gewaltiges Problem hat – dann hat Angola ein gewaltiges Problem.

Als Elfjähriger wusste ich auch nicht viel über Basketball. Die ersten Korbleger hatte ich gerade versenkt, den Namen Michael Jordan bei Kabinengesprächen mal gehört. Vorbilder waren trotzdem andere. Sie spielten samstags in Duisburg-Rumeln im Vereins-Herrenteam. Meist wurden sie nur mit ihren Spitznamen gerufen: Siggi und Wolle. Der eine klein und sprunggewaltig, der andere ruhig und abgeklärt. Zusammen spielten sie mit Gerd, dem Bauern, und Helge, der die Trikots angeblich nie wusch, sondern nur mit Deo einsprühte. Sie warfen aus kurzer Distanz, sie machten Korbleger. Wir saßen auf Holzbänken, klatschten und freuten uns.

Brachiale Dunkings der US-Spieler

Dann kamen die Olympischen Sommerspiele in Barcelona. Mit Michael Jordan, den sie nur „Air Jordan“ nannten. Mit Earvin Johnson, genannt „Magic“. Mit Larry Bird, verehrt als „the Legend“. Und mit Charles Barkley, stets achtungsvoll als „Sir“ angesprochen. Lauter Spitznamen in einer Mannschaft, die selbst einen Spitznamen erhielt, der passender nicht hätte sein können: Dream Team. Diese Männer warfen von jenseits der Drei-Punkte-Linie auf den Korb, sie versenkten den Ball mit brachialen Dunkings. Wir saßen vor dem Fernseher, zu ungläubig, um zu klatschen, zu fasziniert, um uns zu freuen.

In wenigen Tagen änderte sich damals alles. Mein Blick auf den Basketball. Angolas Blick auf die eigene Stärke im Spiel mit dem Lederball. Der Blick der ganzen Welt auf diese wunderbarste aller Sportarten. Was das amerikanische Nationalteam 1992 in Barcelona zeigte, war kein normaler Basketball. Es war Sport von einem anderen Stern.

ichael Jordan trifft im Vorrundenspiel gegen Deutschland.
ichael Jordan trifft im Vorrundenspiel gegen Deutschland. © imago

Eine so geballte Ansammlung der besten Spieler, die jemals einen Ball in einen Korb warfen, hatte es zuvor und hat es seitdem nicht gegeben. Das Dream Team war ein Elitekommando in kurzen Hosen. Die größten Showstars des Basketballzirkus in einer Manege. Egal, wie man es beschreiben will, besser als US-Trainer Chuck Daly schafft man es ohnehin nicht: „Als hätte man Elvis und die Beatles vereint.“

Spektakulärstes Turnier der Basketball-Geschichte

Das Turnier selbst war das wohl langweiligste, das es je gab. Es war schon entschieden, bevor es überhaupt begonnen hatte. Trotzdem war es auch das hochkarätigste und das spektakulärste Turnier der Basketballgeschichte. Mit einer scheinbaren Leichtigkeit tanzten die US-Basketballer um ihre Gegner. Sie spielten Pässe, die physikalisch unmöglich schienen. Sie tauchten zwischen Gegenspielern mit Bewegungen durch, bei denen sich andere ganze Muskelgruppen gezerrt hätten. Sie verteidigten in jedem Spiel so hart, als wäre es das Finale. Michael Jordan, nicht umsonst den Spitznamen „Air“ tragend, trotzte mit seinen spektakulären Dunkings der Schwerkraft. Es war ein wahrgewordener Basketball-Traum.

Dabei hatte Jordan eigentlich einen anderen Traum gehabt. Der wohl beste Spieler, der je ein Basketballfeld betreten hat, wollte den Sommer lieber auf dem Golfplatz verbringen. Er reiste nur mit nach Spanien, weil auch Magic Johnson und Larry Bird zugesagt hatten. Jener Johnson, dessen Spitzname sein Spiel treffend beschrieb: pure Magie. Doch Johnson hatte seine Profi-Karriere bereits beendet. Wenige Monate zuvor wurde er HIV-positiv getestet. In Barcelona wollte er noch einmal dabei sein, um der Welt zu zeigen, „dass ich noch der Gleiche bin“. Zusammen mit Larry Bird, dem treffsicheren Farmjungen aus dem Nirgendwo in Indiana, mit dem sich Johnson in den 80er-Jahren epische Duelle um den NBA-Titel geliefert hatte.

Weltweite Werbung für die NBA

Der Rest des Teams: ebenfalls Spitzenklasse der weltbesten Liga NBA. David Robinson, Patrick Ewing, Scottie Pippen, Karl Malone, Chris Mullin, John Stockton, Clyde Drexler und Charles Barkley. „Die Besten der Besten“, wie Patrick Ewing trocken feststellte. Komplettiert wurde das Team mit Christian Laettner, dem damals zwar besten College-Spieler, angesichts der übergroßen Ruhmestaten seiner Profi-Kollegen aber ein Zwerg. Seine Nominierung war eine Verbeugung vor der Vergangenheit, denn zuvor durften die USA nur ihre besten Amateure zu den großen Turnieren schicken – und die hatten zuletzt enttäuscht. Nun sollten es die Stars richten – und dabei weltweite Werbung für die NBA betreiben.

Vor dem ersten Spiel meldete sich Charles Barkley zu Wort: Er wisse absolut nichts über Angola, „aber Angola hat ein Problem. Ein gewaltiges Problem.“

Wie wahr. Angola hatte beim 48:116 sogar mehrere gewaltige Probleme. Kroatien ging mit 70:103 unter. Deutschland verlor 68:111. Brasilien kassierte ein 83:127. Spanien wurde 122:81 vermöbelt.

Magic Johnson verteilt den Ball im Finale gegen Kroatien.
Magic Johnson verteilt den Ball im Finale gegen Kroatien. © imago

Das Dream Team spazierte durch die Vorrunde, den gegnerischen Trainern blieb nur Galgenhumor (Angolas Victorino Cunha: „Wir haben gut mitgehalten, bis sie einen 46:1-Lauf hingelegt haben“) und die Ersatzspieler machten von der Bank aus Fotos von den Amerikanern. Artig reihten sie sich nach der Demontage in Reih und Glied auf, um Autogramme zu holen. Einige bedankten sich, dass die Niederlage nicht höher ausgefallen war. Es war absurd. „Es war der Basketball-Himmel... Es war Basketball-Poesie“, schwärmte John Stockton vom eigenen Team.

„Aber einmal haben wir geführt“

US-Coach Chuck Daly musste während des ganzen Turniers keine einzige Auszeit nehmen, trotz der vielen großen Egos zeichnete sich seine Mannschaft durch ausgeprägten Team-Basketball aus. Das Dream Team wurde von Fans umlagert, musste aus Sicherheitsgründen in einem Hotel statt im Olympischen Dorf wohnen, auf der Fahrt zu Spielen gab es Polizei-Eskorten.

Noch immer erinnere ich mich an die Überschrift eines Artikels, den ich damals ausgeschnitten und an die Kinderzimmerwand gepinnt hatte: „68:111 – aber einmal haben wir geführt“. Ein Bericht aus der Bild-Zeitung. Denn ja, 1992 war auch Deutschland dabei, mit dem NBA-gestählten Detlef Schrempf und Überflieger Henning Harnisch, der das Haarband auch in deutschen D-Jugendteams salonfähig machen würde. Einmal hatte Deutschland also geführt – 2:0 durch Schrempf. Kroatien schaffte beim Wiedersehen im Finale ein 85:117 – es war das „engste“ Spiel der Amerikaner, die sich bei der Medaillenvergabe trotz aller Dominanz wie kleine Kinder freuten.

Danach war nichts mehr, wie es vorher war. Die Begeisterung für die NBA war geweckt, bei mir und auch in der restlichen Welt. In Sachen Popularität des Basketballsports hatte das Dream Team international einen Urknall ausgelöst. Und doch ging das Leben kurz darauf seinen gewohnten Gang. Samstagabends saß ich wieder in der Halle auf der Holzbank und klatschte. Um Wolle und Siggi anzufeuern.