Dortmund. Während andere essbare Knete verputzten, dribbelten wir im Kindergarten. Hier entwickelte sich die Leidenschaft zum Ball - und eine Freundschaft.

Erstmal hinknien, im Bücherregal kramen, Staub wegpusten. Schon blättere ich in dem Fotoalbum, das so viele, viele Kindheitserinnerungen beheimatet. Blutige Knie, Siege, Pokale.

Ich, ganz klein, wie ich einen großen Plastikball umarme. Ich, deutlich größer, wie ich vor einen kleinen Lederball trete.

Fünf Jungs auf der grünen Wiese

Und dann klebt da dieses Bild.

Wir, fünf Jungs, posieren gemeinsam auf der grünen Wiese hinterm Kindergarten. Vor uns ruht ein Lederball. Hinter uns steht ein Tor, das unsere Väter selbst zusammengezimmert haben. Weil wir, so mein Vater, sowieso nur eine Sache machen wollten: Fußball spielen!

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Also schlürften wir pflichtbewusst unseren Bärentee, puzzelten Bauernhof-Bilder zusammen, malten Mangas. Aber sobald wir durften, rannten wir raus auf die grüne Wiese, um endlich vor den Ball zu treten.

So stehen wir da.

Die Keine-Windel-Mehr-Braucher. Die Länger-Aufbleiber. Die Sehr-Hoch-Schaukler.

Aber vor allem: die Kindergarten-Fußballplatz-Virtuosen. Also: die Helden der grünen Gruppe.

Hier beginnt sie, diese Geschichte über das Sportereignis, das mich geprägt hat. Wenn wir in wilden Partien den Rasen umpflügten. Die Geschichte, die aber auch eine Freundschaft geformt hat. Wenn ich gemeinsam mit Sebi und David den Platz beackerte. Unaufhaltsam. Ohne Pause.

Kunstkurs mit seltsamen Erwachsenen

Dabei versuchte meine Mutter eigentlich, aus mir einen Künstler zu pinseln. Doch schon bei der musikalischen Früherziehung scheiterte ich am dritten Ton. Beim Aktmal-Kurs meiner Mutter lobte mich die Leiterin immerhin für meine gekritzelten Indianerzelte, während um mich herum seltsame Erwachsene eine nackte Frau begutachteten.

Kicken statt kneten

Während andere noch essbare Knete verputzten, trampelten wir wie eine wilde Horde über die Wiese.
Während andere noch essbare Knete verputzten, trampelten wir wie eine wilde Horde über die Wiese. © Privat

Egal. Denn nun war da der Ball. Den ich ja auch kunstvoll schlenzen, kreativ passen, schlitzohrig verwandeln konnte. Immer wieder. Während andere noch essbare Knete verputzten, trampelten wir wie eine wilde Horde über die Wiese. Dribbelten. Grätschten. Zauberten in unserer Vorstellung wie unsere Vorbilder im schwarz-gelben BVB-Trikot. Schließlich waren wir gerade dabei, in Dortmund aufzuwachsen.

So spielten wir sie nach, die Bundesliga-Partien, die uns bewegten. Wir wollten tricksen wie Stéphane Chapuisat. Kämpfen wie Matthias Sammer. Halten wie Stefan Klos. David konnte sich vor unseren neidvollen Blicken nach einem Foul wie ein Profi über den Rasen wälzen. Sebi versuchte sich auch als Roberto Baggio, hätte gerne einen Zopf gehabt. Hauptsache sie wollen nicht wie Diego Maradona sein, dachten vermutlich unsere Eltern, wenn uns die Nase lief.

„Och, ich spiele Fußball.“

Vor allem aber waren sie stolz, wenn sie uns da auf dem Rasen wirbeln sahen. Damals. Später. Als unsere entfachte Leidenschaft für den Fußball weiter glühte, sich unsere Freundschaft weiter festigte. Auf dem Hof der Grundschule skandierten wir kindlich arrogant in jeder Pause „Wir drei gegen den Rest“, bevor wir unsere Mitschüler düpierten (wir waren halt die Besten). Wir wurden Stadtmeister, verpassten Aufstiege, hielten Klassen. Bis sich mit der Zeit unsere Wege entfernten, andere Dinge wichtiger wurden. Um etwas verwegener zu wirken, hätte ich nun ganz gerne mal gesagt: „Ich drücke meine Gefühle in Bildern aus.“ So reichte es gegenüber Frauen aber nur für ein: „Och, ich spiele Fußball.“

Immer noch. Mit Stolz.

Also auf uns, wir Helden der grünen Gruppe.

Sebi arbeitet mittlerweile als Polizist, ich schreibe hier.

Ein letztes Fußballspiel

Auf dem Bolzplatz
Auf dem Bolzplatz © Privat

David habe ich das letzte Mal 2013 gesehen. Aschenplatz. Derby. Ich war schrecklich nervös, während ich mich aufwärmte. Bis ich ihn sah. David hockte auf unserer Ersatzbank, dick eingepackt, geschwächt von der Chemo-Therapie, die seinen Krebs irgendwie bekämpfen sollte. Er konnte kaum sitzen, laufen sowieso nicht. Unser Stürmer weinte vor dem Anpfiff in der Kabine. „Ich wusste nicht, dass es so schlimm ist“, sagte er.

War es aber.

Wir spielten unentschieden. David wurde schon in der Halbzeit von seinem Vater nach Hause gebracht. Dass wir am Ende der Saison aufstiegen, erlebte er nicht mehr. Weil er nur wenige Tage nach seinen letzten 45 Minuten Fußball gestorben ist.