Tel Aviv. Chris Fleming hört nach der Basketball-EM als Bundestrainer auf. Er hinterlässt einen gereiften Anführer – und konzentriert sich selbst auf die NBA. Das Interview.
Lobby oder Terrasse mit Blick aufs Meer? Chris Fleming kann sich zunächst nicht entscheiden, wählt dann aber die Terrasse für das Gespräch. Schließlich hat der 47-Jährige in den jüngsten Tagen die Sonne in Tel Aviv nicht so häufig gesehen, weil er sich mit den deutschen Basketballern in Israel meist in der Halle oder im Teamhotel aufhält. “Ein traumhafter Blick”, befindet der Bundestrainer, dessen Engagement nach dieser EM in Israel und der Türkei enden wird.
Herr Flemming, nach gutem EM-Start mit zwei Siegen gab es am Sonntag den 82:80-Dämpfer gegen Gastgeber Israel. Was lief schief?
Chris Fleming: So einiges, es gab viel zu besprechen. Wir haben phasenweise mit 16 Punkten geführt, dann nach einer schlechten Phase die Köpfe hängen lassen und dafür bezahlt. Aber dieses Erfahrung bietet uns auch die Möglichkeit, aus den Fehlern zu lernen und wieder aufzustehen. Wenn wir weiter die Köpfe hängen lassen, gewinnen wir auch heute gegen Italien nicht.
Diese EM wird Ihr letztes Turnier als Bundestrainer sein. Ein komisches Gefühl?
Chris Fleming: Da denke ich derzeit nicht groß drüber nach. Aber klar, die Wehmut wird bestimmt hinterher kommen, wenn man in ein paar Wochen zurückblickt. Aber jetzt bin ich mitten drin in diesem Turnier und versuche, das alles hier zu genießen. Bei der laufenden EM kann man nicht über Konsequenzen oder die Zukunft nachdenken. Es zählt das Hier und Jetzt
Diese EM bildet den Abschluss Ihrer fast dreijährigen Arbeit als Bundestrainer. Macht es schon Sinn, ein Resümee zu ziehen?
Chris Fleming: Nein, das kommt noch etwas zu früh (lacht). Derzeit bin ich nicht in der Lage, auf diese drei Jahre zurückzuschauen, diesen Modus bekomme ich im Kopf gerade nicht eingeschaltet. Zumal diese EM ein wichtiger Teil bei der Gesamtzusammenfassung sein wird. Aber ich habe die Zeit als Bundestrainer schon sehr genossen, ich habe mit tollen Leuten zusammengearbeitet. Wie gesagt, nach dieser EM kann man diese drei Jahre besser bewerten.
Macht NBA-Star Dennis Schröder bisher einen guten Job als Anführer des Teams?
Chris Fleming: Ich glaube, dass wir gerade eine andere Version von Dennis sehen als es noch bei der EM 2015 der Fall war. Die zwei Jahre mehr an NBA-Erfahrung, die er seitdem gesammelt hat, haben ihn als Anführer wachsen lassen. Er bringt seine Teamkameraden besser ins Spiel und das hilft uns enorm. Wie er sich am Samstag kurz vor Ende des Spiels gegen Georgien nach einem eigenen Fehlpass auf der anderen Seite einem Spieler in den Weg stellt und ein Offensivfoul angenommen hat, das war ein Zeichen für das ganze Team, dass er sich für sie aufopfert und mit ihnen kämpft. Er hilft uns enorm.
Wer hat Sie in Ihrem Aufgebot noch überrascht?
Chris Fleming: Ich hatte zunächst nicht damit gerechnet, dass unser 19-jähriges Talent Isaiah Hartenstein in Israel dabei sein wird. Aber er hat sich seinen Platz mit einer tollen Vorbereitung verdient und sich als wertvoller Spieler erwiesen. Er hat keine Angst vor dem großen Moment und er hat das Potenzial für eine große Karriere.
Dass Ihr Teamkapitän Robin Benzing in Israel blieb, obwohl seine Frau in Deutschland die gemeinsame Tochter zur Welt brachte, ist doch sehr ungewöhnlich.
Chris Fleming: Dass er geblieben ist, zeigt, was für eine Bedeutung die Nationalmannschaft für ihn hat. Er war immer schon einer, den man gar nicht fragen muss, ob er dabei ist, sondern einer, dem man nur den Termin des ersten Trainings nennen musste. Die Situation hat ihn aber schon sehr stark mitgenommen, es war keine leichte Entscheidung für ihn. Aber seine Frau Katharina hat sicher auch einen großen Anteil, dass er noch hier ist, sie ist eine sehr starke Frau. Auf der persönlichen Ebene bin ich natürlich froh, dass er geblieben ist. Er ist schon extrem wichtig für uns. Aber das ist eben die Nationalmannschaft: Man opfert viel, bekommt aber auch enorm viel vom Team zurück.
Sie hatten in Ihrer Amtszeit mit sehr vielen Absagen zu kämpfen, das deutsche Nationalteam lief nie so stark auf, wie es eigentlich hätte sein können. Gerade nach der mühsamen EM-Qualifikation vor einem Jahr hätten viele andere Trainer wohl entnervt das Handtuch geworfen.
Chris Fleming: Man muss ja auch immer auf die Begründungen für die Absagen schauen. Es gab Jungs, die nicht unbedingt spielen wollten oder etwas anderes zu tun hatten. Die waren aber nie wirklich drin in diesem Team der letzten drei Jahre. Das waren aber die Jungs, die auch hier sein wollten. Klar, es gab Situationen wie die von Dennis Schröder, der in der EM-Qualifikation letztes Jahr auf Wusch seines NBA Klubs Atlanta Hawks nicht dabei war und diesmal ist es so mit Paul Zipser von den Chicago Bulls. Das ist sehr schade, liegt aber eben nicht immer in der Macht des Spielers. Jetzt ist ein Kern von Jungs zusammen, die eine Kontinuität haben und die Zeit miteinander auch genießen. Das macht ihnen Spaß und ich glaube, dass diese Jungs auch noch lange zusammenbleiben werden.
Aber es gibt auch andere schwere Phasen: Wie die, als letzten Spieler Bastian Doreth von Medi Bayreuth aus dem deutschen Aufgebot zu streichen.
Chris Fleming: Basti hatte extrem mit zu tun, dass wir überhaupt hier sind. Er ist einer, der immer alles für den deutschen Basketball geopfert hat. Insofern war es auch so schwer, weil er es verdient hätte, bei der EM zu sein. Aber es gibt nur zwölf Plätze und ich muss schauen, wie die Mannschaft unter den gegeben Bedingungen zusammenpasst. Das ist der Job. Als Erinnerungsstück wollte ich Trikot mit der Unterschrift von allen Spielern. Als ich gefragt wurde, welches Trikot es sein soll, habe ich sofort gesagt: das von Basti. Das macht die Situation für ihn allerdings leider nicht besser. Aber ich respektiere extrem, was er für uns getan hat.
Sie gehen, weil sich Ihre Arbeit als Bundestrainer und als Co-Trainer des NBA-Klubs Brooklyn Nets künftig terminlich nicht mehr vereinbaren lässt. Wäre dies nicht der Fall, hätten Sie dann gerne als Bundestrainer weitergemacht?
Chris Fleming: Darüber habe ich oft nachgedacht. Ich habe mittlerweile drei Kinder, einen achtjährigen und einen vierjährigen Sohn und eine Tochter, die gerade elf Monate alt geworden ist. Meine Frau sorgt derzeit noch dafür, dass ich in der NBA und als Bundestrainer arbeiten kann. Und klar, ich werde es absolut vermissen. Doch es gibt eben Sachen im Leben, die auch ein Stückweit wichtiger sind als Basketball. Ich war lange gesegnet, dass ich beides haben durfte. Nun ist die Zeit gekommen, in der andere übernehmen müssen.
Henrik Rödl wird Ihr Nachfolger als Bundestrainer, er ist jetzt schon als Assistent dabei. Ist das für Sie eine komische Situation?
Chris Fleming: Es ist eine tolle Situation. Es gibt keine bessere Lösung, er wird es gut machen. Als Spieler war er immer für die Nationalmannschaft da, er hat 1993 die EM gewonnen und überzeugt auch als Trainer. Wenn Rödl nicht Bundestrainer wird, dann weiß ich nicht, wer sonst.
In der NBA sind Sie Co-Trainer in Brooklyn. Fällt es schwer, die Rollen wieder zu wechseln, wenn Sie mit Deutschland spielen?
Chris Fleming: Ich glaube, die ursprüngliche Wechsel vom Bundesliga-Cheftrainer zum Assistenten war die wirklich schwere Aufgabe. Ich war 14 Jahre lang der verantwortliche Trainer, jetzt muss ich überlegen, wie ich einem anderen helfe. Zum Glück hatte ich immer sehr gute Co-Trainer, an denen ich mir jetzt ein Beispiel nehme. Aber üben muss ich noch (lacht.)
Das Ziel ist doch bestimmt, irgendwann als Cheftrainer in der NBA zu arbeiten, oder?
Chris Fleming: Erst will ich ein sehr, sehr guter Assistenz-Trainer werden. Wenn das geschafft ist, kommt vielleicht der nächste Schritt.