St. Leonhard. Natürlich wird Bundestrainer Joachim Löw den Teufel tun, sich bei der Findung seiner WM-Formation in die Karten schauen zu lassen. Ralf Rangnick, Sportdirektor bei Zweitliga-Aufsteiger RB Leipzig, gibt ihn einer Talkrunde seine persönliche Aufstellung zum Besten - ohne Rücksicht auf Altgediente.

Dass Ralf Rangnick ziemlich weit entfernt ist von der deutschen Nationalmannschaft, konnte man schon feststellen. Der ehemalige Trainer des FC Schalke und aktuelle Sportdirektor des mit Mitteln aus der Milliardärskasse munitionierten Neu-Zweitligisten RB Leipzig präsentierte seine Aufstellung für die Weltmeisterschaft erstens nicht bei einer Veranstaltung von Teamgroßsponsor Mercedes, sondern beim Audi-Star-Talk von Sport 1. Und zweitens müsste Bundestrainer Joachim Löw schon körperliche Gewalt angedroht werden, um ihn dazu zu überreden, nicht erst eine Stunde vor dem ersten Anpfiff in Brasilien seine Formation zu verraten.

Spannend war es aber, was Rangnick auf die Tafel warf. Und frustrierend. Für einen Bastian Schweinsteiger, der auch am Donnerstag wieder voll mit der Mannschaft trainierte, auch für einen Miroslav Klose, auch für einen Toni Kroos, für einen Jerome Boateng. Sie alle fanden keinen Platz in Rangnicks Anfangself. Dass es tatsächlich so kommen wird: Es ist unwahrscheinlich. Löw setzt nicht ohne Grund ausdauernd darauf, dass sich Klose in Bestform spielt und sich Schweinsteiger Stabilität erarbeitet. Von seinen Sorgenkindern waren gestern auch nur noch zwei lediglich im Lauftraining. Philipp Lahm und Marcel Schmelzer. Manuel Neuer, der Torhüter, der sich beim Pokalsieg seiner Bayern gegen Borussia Dortmund eine Kapselverletzung in der Schulter zugezogen hatte, konnte immerhin erstmals wieder einsam üben. Und Toni Kroos? Toni Kroos lobt der Bundestrainer so eifrig wie ein Lehrer nur seinen Lieblingsschüler.

Wird es eng für Boateng?

Für Boateng aber könnte es eine derbe Überraschung geben. Rangnick sieht ihn auf der Bank. Wo sieht ihn der Herr über den Aufstellungsbogen der Nationalmannschaft? Beim Training am Mittwoch positionierte er den 25-Jährigen, der bereits im Oktober 2009 sein Debüt im Elite-Ensemble gab, auf der rechten Seite. Rechts. Wo der Bayer in der Nationalmannschaft schon ebenso gespielt hat wie links. Ankommen wollte er aber stets in der Zentrale. Flanke, das war nicht Passion sondern aufgebürdete Pflicht. Betont hat Boateng das in den vergangenen Jahren oft. Und nach dem Training hat er es bei der Pressekonferenz, die der Deutsche Fußball-Bund im WM-Vorbereitungscamp im Südtiroler St. Leonhard täglich anberaumt, wieder erklärt. Wo möchte er ein Pöstchen übernehmen? Antwort: “In der Mitte.”

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Boateng hat es auch erläutert: “Ich habe die ganze Saison innen gespielt. Ich sehe mich in der Innenverteidigung am stärksten.” Und in den letzten fünf Begegnungen im Rahmen der Qualifikation für die WM durfte er auch für die Nationalmannschaft mittig agieren. Doch mit Blick streng Richtung Brasilien gerichtet, fühlt sich Löw zum Probieren veranlasst. In der Innenverteidigung hat er die Auswahl. Mit Per Mertesacker vom FC Arsenal, mit Mats Hummels von Borussia Dortmund und Jerome Boateng steht ihm ein Trio mit internationaler Erfahrung mit den jeweiligen Vereinen, reichlich Erfahrung im eigenen Kreis und vor allem derzeit gutem Fitnesszustand zur Verfügung. An den Seiten dagegen wird es schattig.

Die Lahm-Fitness-Frage ist ebensowenig beantwortet wie die Lahm-Rollen-Frage: Linksverteidiger oder doch Mittelfeld? Benedikt Höwedes, der Schalker, war zumindest lange nicht fit und wird von Löw ohnehin eher als Alternative für die zentrale Defensive betrachtet. Der Dortmunder Schmelzer trabt wegen seiner Knieblessur nur. Der Dortmunder Kevin Großkreutz gilt zwar grundsätzlich als Option für diverse Positionen, hat sich aber in der Nationalmannschaft über die vergangenen Jahre hinweg nicht etablieren können. Und Erik Durm, ebenfalls vom BVB, ist bei seinem Klub eigentlich nur der Ersatzmann für Schmelzer und hat noch nicht einen einzigen Einsatz im nationalen Trikot hinter sich gebracht.

Für Hummels gibt es nur eine Rolle

Das wird sich am Sonntag, beim Testspiel gegen Kamerun in Mönchengladbach (20.30 Uhr, ARD und live in unserem Ticker) wahrscheinlich ändern. Doch ob einmal hineinschnuppern in die große Welt des Fußballs Durm bereits für WM-Aufgaben qualifiziert? Boateng ist bereits in 37 Länderspielen in den Genuss des Löw-Vertrauens gekommen. Und wenn der Bundestrainer ihn und Hummels auf dem Rasen sehen will (Mertesacker, der 96-Partien-Mann, gehört zum festen Inventar), muss er verschieben. Festgelegt hat sich Löw dabei schon darauf, dass es für Hummels nur eine Rolle geben kann. Könnte der Dortmunder nicht auch im defensiven Mittelfeld auflaufen? Antwort: “Nein.”

Fußballerisch und mathematisch wäre damit nur noch eine Lösung möglich: Boateng weicht. Zähneknirschend, aber dazu bereit, sein (mögliches) Schicksal anzunehmen: “Das entscheidet der Trainer.” Hauptsache, dass es nicht so endet, wie es sich Rangnick ausgedacht hat. Hier übrigens die Mannschaft, die der gern “Professor” genannte Ex-Trainer systemisch in einem offensiven 4-1-4-1 präsentierte: Neuer - Lahm, Mertesacker, Hummels, Schmelzer - Khedira - Schürrle, Götze, Özil, Reus - Müller. Ist aber lediglich: Talk, Fußballgerede.