Berlin. Thomas Bach, als Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) und Vizepräsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) höchster deutscher Sportfunktionär, wendet sich gegen die Doping-Verdächtigungen gegenüber Sprintern wie Usain Bolt.

9,58 Sekunden! Haben Sie Usain Bolts 100-m-Weltrekord mit Freude oder mit Skepsis verfolgt?

Thomas Bach: Mit Begeisterung! Wobei es mir zunächst nicht um die 9,58 Sekunden geht, sondern um das großartige Duell zwischen Usain Bolt und Tyson Gay. Dieses Duell hat den Rekord erst ermöglicht, denn im Gegensatz zum Rennen bei Olympia in Peking ist Bolt in Berlin gefordert worden. Letztlich waren alle im Stadion begeistert von dieser Mischung aus Dynamik und Ästhetik, die Bolt auszeichnet.

Aber hätte vor zwanzig Jahren jemand gesagt, dass ein Mensch 9,58 Sekunden über 100 Meter läuft, wäre er für verrückt erklärt worden. Kein bisschen Skepsis?

Bach: Hätten Sie im Mai 1968 gesagt, es springt mal jemand 8,90 Meter im Weitsprung, hätte Sie auch jeder für verrückt erklärt. Der Sport lebt von Sternstunden, und er lebt auch von ganz besonderen Talenten. Man darf diese Faszination nicht mit einem Generalverdacht ersticken.

In der Geschichte der Sprinter haben aber nun mal viele mit unerlaubten Mitteln nachgeholfen. Lässt sich das tatsächlich so einfach ausblenden?

Bach: Vergleichen Sie doch bitte einmal die Lauf-Typen! Wenn die letzten Weltrekordler vor Bolt ihre 100 Meter runtergetrommelt haben, hat man im Stadion förmlich das Vibrieren auf den Sitzen gespürt, weil das solche Bullen waren. Und nun gibt es mit Bolt einen feingliedrigen Typen mit offensichtlich idealen Hebeln und einem perfekten Laufstil. Das 100-m-Finale von Berlin können Trainer als Lehrfilm für den Sprint einsetzen.

Also nichts auszusetzen?

Bach: Ein guter Trainer würde vielleicht noch fragen: Was ist eigentlich möglich, wenn Usain Bolt den Start verbessern würde? Aber wenn er aus den Blöcken raus ist, fasziniert er nur noch. Ich hätte mir gewünscht, ich wäre in meiner eigenen Sportler-Karriere (Anmerkung der Redaktion: Thomas Bach war 1976 Fecht-Olympiasieger mit der Mannschaft) nur annähernd an dieses Bewegungstalent heran gekommen.

Noch ein Versuch: Wäre es der Super-Gau für die Leichtathletik, wenn außer dem Talent noch etwas anderes hinter Bolts Erfolg stecken würde?

Bach: Auch auf diesem Umweg werden Sie mich nicht überreden, einen Verdacht zu streuen.

In welcher Disziplin wird es bei der WM in Berlin Gold für Deutschland geben?

Bach: Schauen wir mal. Im Hochsprung der Frauen sind sicher gute Chancen da.

Die Stimmung im Stadion ist gut, aber es ist nicht ausverkauft. Woran liegt das?

Bach: Das weiß ich auch nicht, aber es ist schade! Allerdings ist ein Stadion mit einer Größe von 70 000 Plätzen für die Leichtathletik außerhalb Olympischer Spiele eine Herausforderung. Man darf aber auch nicht vergessen, dass in Berlin mehr Eintrittskarten verkauft worden sind als je zuvor bei einer Leichtathletik-WM verkauft wurden. Aber ich hätte mir natürlich auch vom ersten Tag an ein volles Stadion gewünscht.

Die Langlauf-Wettbewerbe liegen wieder fest in afrikanischer Hand. Sind Sie genauso erstaunt wie IOC-Präsident Jacques Rogge, dass es in Afrika beim Kampf gegen Doping überhaupt keine Blutkontrollen gibt?

Bach: Das ist in Teilen schon erstaunlich, aber es ist auch eine Frage des Reglements. Ich bin allerdings sicher, dass der Leichtathletik-Weltverband IAAF und die Wada als zuständige Stellen dieses Problem angehen werden.

Ist das nicht viel zu spät?

Bach: Das IOC kann diesen Vorgang nicht beeinflussen, ich werde mich jedoch kundig machen. Ich will wissen: Welche Gründe gibt es dafür? Nur ein Beispiel. Die IAAF hat angeführt, dass es die Bluttests in Afrika nicht gibt, weil die Tests nur in akkreditierten Labors durchgeführt werden dürfen, in Afrika gibt es aber kein einziges Labor, und die Transportwege für die Proben auf einen anderen Kontinent wären zu lang, die Zeitfristen können nicht eingehalten werden.

Klingt das nicht nach einem formal-juristischen Problem, das der Praxis im Weg steht?

Bach: Richtig, ein Bluttest ist nicht so hochwissenschaftlich. Sie brauchen doch gar kein Labor zu eröffnen, sie gehen einfach in jedem Land in die drei besten Krankenhäuser, suchen eins davon für die Tests aus und geben dem Krankenhaus eine Teilakkreditierung. In diesem Fall muss die Wada an die Praktikabilität denken und nicht den Kampf gegen Doping in Regularien ersticken.

Muss man im Kampf gegen Doping nicht juristisch denken?

Bach: Das ist die Neigung unseres verrechtlichten Sports, der jeden Einzelfall juristisch regeln will und in Vorschriften auf hunderten von Seiten jede Eventualität berücksichtigen will. Klare Bedingungen sind hilfreich und richtig. Auf der anderen Seite dürfen wir die Effektivität nicht aus dem Sinn verlieren. Wir kämpfen schließlich nicht gegen Doping, um Juristen zu beschäftigen, sondern um die sauberen Athleten zu schützen.

Haben Sie eigentlich gelächelt, als in Berlin nach den ersten WM-Tagen schon von einer erneuten Kandidatur für Olympische Sommerspiele gesprochen wurde?

Bach: Das Interesse an Olympische Spielen freut mich immer. Aber alle Konzentration für eine deutsche Olympiabewerbung liegen auf der Bewerbung um die Winterspiele 2018 mit München.

Daran ändert sich durch die WM in Berlin nichts?

Bach: Nein.