London. . Am Mittwoch starten in London die Sommer-Paralympics. Für den Präsidenten des Deutschen Behindertensport-Verbandes, Friedhelm Julius Beucher, geht es für Deutschland jedoch nicht nur um Medaillen. Es ginge vor allem darum, eine “Barrierefreiheit in den Köpfen“ zu schaffen.
Friedhelm Julius Beucher ist noch Politiker durch und durch. Vor wenigen Tagen sitzt er beim Tag der offenen Tür im Kanzleramt auf einer Bühne und streichelt eine einäugige Plüschfigur, das Maskottchen der Paralympics. Der Moderator fragt ihn nach Medaillenchancen deutscher Behindertensportler, Beucher geht kurz darauf ein und spannt dann einen größeren Bogen: „In einem Land, das weitgehend nicht barrierefrei ist, müssen wir dazu beitragen, dass die Barrierefreiheit in den Köpfen erstmal geschaffen wird.“ Soll heißen: Was nützen Medaillen, wenn behinderte Menschen woanders ausgegrenzt werden?
Am Mittwoch beginnen die vierzehnten Sommer-Paralympics in London, mit 4200 Athleten aus 166 Ländern, aus Deutschland werden 150 Sportler teilnehmen. Traditionell hat der Deutsche Behindertensportverband, der DBS, knapp zwei Wochen Zeit, um seine Wunschbotschaften unter das Volk zu bringen: mehr Aufmerksamkeit, mehr Sponsoren, mehr Respekt.
Behinderte Sportler stehen immer noch vor einigen Barrieren
Der ehemalige SPD-Bundestagsabgeordnete Friedhelm Julius Beucher, der dem DBS seit 2009 als Präsident vorsteht, möchte die klassischen Themen um eine politische Frage erweitern: Wie sehr symbolisiert die kleine paralympische Elite die Basis des Sports, und vor allem: die Integration von behinderten Menschen? In Deutschland leben dreizehn Millionen mit einer Einschränkung.
Geht es nach den Vereinten Nationen, so müssten Sportler mit und ohne Behinderung in denselben Verbänden und Vereinen organisiert sein, denn die UN fordern statt Integration mittlerweile Inklusion: eine Veränderung des Systems, die eine volle Teilhabe für alle möglich macht. In Deutschland trat dieses Übereinkommen 2009 in Kraft. Und wie sieht die Wirklichkeit aus? „Wir haben heute noch Hallen und Plätze, wo unsere Sportlerinnen und Sportler die Barrieren nicht überwinden können“, sagt Beucher. „Das gilt für viele öffentliche Bereiche.“ Die große Mehrheit der 620.000 Mitglieder des DBS in 5800 Vereinen nutzt Sport für Rehabilitation, für eine bessere Beweglichkeit. Die Gesellschaft wird älter, und so dürften diese Zahlen weiter steigen.
Inklusion im Sport scheitert an fehlender Bereitschaft der Fachverbände
In Großbritannien oder Kanada werden behinderte und nichtbehinderte Sportler von denselben Trainern in einem gemeinsamen Umfeld betreut, sie unterliegen der gleichen Förderung. In Deutschland hat ein Paralympics-Sieger von der Stiftung Deutsche Sporthilfe bislang eine Prämie von 4500 Euro erhalten, für Olympia-Gold ohne Handicap war die Auszahlung mehr als dreimal so hoch. Der DBS und die Stiftung haben eine Angleichung diskutiert, doch selbst wenn an diesem Dienstag eine finanzielle Gleichstellung verkündet werden sollte: Die Ungleichheit bleibt tief in den Strukturen verankert.
„Viele Nichtbehinderte haben nie gelernt, mit behinderten Menschen umzugehen“, sagt Hubert Hüppe, der Beauftragte der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen. „Das liegt daran, dass man sich nie begegnet. Weil wir gesonderte Sportarten, gesonderte Arbeitsbereiche, gesonderte Wohnbereiche haben.“ Inklusion scheitert im Sport oft an fehlender Bereitschaft der Fachverbände. Mit wenigen Ausnahmen: Die Rollstuhlfahrerin Manuela Schmermund darf sich in der Bundesliga mit Schützen ohne Behinderung messen. Die paralympischen Schwimmer Berlins trainieren am Olympiastützpunkt mit nichtbehinderten Athleten. Beim Rollstuhlbasketballclub Köln spielen auch Nichtbehinderte, um Klischees abzubauen.
Für Friedhelm Julius Beucher ist zunächst die Arbeit an der Basis wichtig
Friedhelm Julius Beucher ist sich bewusst, dass Inklusion im Sport vorerst ein Wunsch bleiben wird – und auch nicht überall sinnvoll wäre. Er hält das Ziel einiger Aktivisten, Olympia und Paralympics zusammenlegen zu wollen, für logistisch unmöglich: „Wir sollten erstmal an der Basis die Lücken füllen.“