London. Die „Glückskinder“ Miriam Welte und Kristina Vogel holen Gold im Bahnrad-Teamsprint - und profitieren dabei von gleich zwei Disqualifikationen. Die deutschen Männer rasen trotz des kurzfristigen Ausfalls von Stefan Nimke zu Bronze.
Miriam Welte und Kristina Vogel schauten sich ungläubig an und konnten ihr Glück kaum fassen. Nach der wohl glücklichsten Goldmedaille bei olympischen Bahnrad-Wettbewerben sind die beiden deutschen Sprinterinnen am Ziel ihrer Träume angelangt. Welte und Vogel holten sensationell die Goldmedaille im Teamsprint, nachdem sie gleich zweimal von der Disqualifikation der haushoch überlegenen Chinesinnen und Britinnen profitiert hatten.
Arm in Arm standen die beiden Nesthäkchen mit Tränen in den Augen auf dem Podium und sangen leise die deutsche Nationalhymne mit. Als wenige Minuten später auch noch die deutschen Männer zur Bronzemedaille im Teamsprint rasten, hatte sich für die deutschen Bahnrad-Asse ein gleichermaßen chaotischer wie spektakulärer Auftakttag endgültig zum Guten gewendet, nachdem alles mit der tragischen Verletzung von Stefan Nimke (Lendenwirbelverletzung) so schlecht begonnen hatte.
„Wir sind jetzt Olympiasieger. Ein Traum ist wahr geworden. Und das aufgrund von zwei Wechselfehlern, das ist Wahnsinn“, sagte Welte und Vogel ergänzte: „Auf der einen Seite ist es nicht der Weg, wie man gewinnen möchte. Auf der anderen Seite sind die Regeln für alle da. Weltmeister ist man nur einmal, Olympiasieger bleibt man für immer. Wir haben ein Stück Geschichte geschrieben.“ Wohl wahr, es war die erste olympische Goldmedaille für den deutschen Frauen-Radsport überhaupt.
Sechs Weltrekorde im Velodrom
Was die gut 6.000 Zuschauer, darunter auch die Prinzen William und Harry im ausverkauften Velodrom zuvor zu sehen bekommen hatten, war an Dramatik, Spannung und Spektakel kaum zu übertreffen. Gleich sechsmal flimmerte auf der Anzeigentafel die Aufschrift „World Record". Und als zum krönenden Abschluss auch noch die britischen Teamsprinter auf dem ultraschnellen Holzoval mit einer Fabelzeit zu Gold gerauscht waren, glich die Halle schier einem Tollhaus.
Gold hatten sich ursprünglich auch die deutschen Teamsprinter vorgenommen, doch das Unterfangen war schon zum Scheitern verurteilt, bevor es überhaupt begonnen hatte. Ausgerechnet Nimke, der im letzten Rennen seiner Karriere noch einmal nach Gold greifen wollte, musste wegen einer Rückenverletzung eine halbe Stunde vor dem Beginn passen. „Das ist total bedauerlich, dass so etwas kurz vor dem Start passiert. Stefan ist am Boden zerstört“, sagte Patrick Moster, der Sportdirektor des Bundes Deutscher Radfahrer (BDR).
Förstemann sprang für Nimke ein
Innerhalb kürzester Zeit musste Bundestrainer Detlef Uibel umdisponieren und Ersatzfahrer Robert Förstemann ins Team einbauen. Das Unterfangen gelang: Die deutsche Mannschaft in der Besetzung Rene Enders (Erfurt), Förstemann und Maximilian Levy (Cottbus) steigerte sich nach Platz fünf in der Qualifikation und fuhr schließlich zu Bronze.
Mehr wäre für Vogel und Welte unter normalen Umständen auch nicht möglich gewesen. Nachdem aber die Britinnen „Queen“ Victoria Pendleton und Jessica Varnish wegen eines Wechselfehlers disqualifiziert worden, rückte das deutsche Duo mit der drittschnellsten Zeit ins Finale. Und dort passierte den überragenden Chinesinnen Jinjie Gong und Shuang Guo das gleiche Malheur, und plötzlich waren die deutschen Weltmeisterinnen auch Olympiasieger.
Krefelder Philip Hendes ist Olympiasieger
Zuvor hatten die Chinesinnen und Briten ein Weltrekordfestival abgeliefert. Zunächst pulverisierten Pendleton und Varnish in 32,526 den am 4. April dieses Jahres von Vogel und Welte aufgestellten Weltrekord, danach toppten die beiden Chinesinnen die Fabelzeit noch zweimal auf schließlich 32,422 Sekunden.
Dann waren die britischen Männer mit Weltrekorden an der Reihe. Erst fuhren Edward Clancy, Geraint Thomas, Steven Burke und Peter Kennaugh in 3:52,499 Minuten in der Qualifikation Weltrekord, dann legten die britischen Teamsprinter nach und übertrafen gleich zweimal die alte Bestmarke der Deutschen und fuhren im Finale gegen Frankreich schier unglaubliche 42,600 Sekunden über die drei Runden.
Dabei hatte auch ein Deutscher mitgewirkt. Der Krefelder Philip Hendes, einst in Deutschland chancenlos, hatte sich dem Geburtsland seines Vaters angeschlossen und ist nun Olympiasieger zusammen mit Jason Kenny und Chris Hoy, der seine fünfte Goldmedaille einfuhr und damit neben dem Ruderer Sir Steve Redgrave der - gemessen an den Goldmedaillen - der erfolgreichste Brite bei Olympischen Spielen ist. (dapd)