Tourrettes. . Joachim Löw steht dieser Tage vor einer schwierigen Aufgabe: Trotz des eh schon mehr als straffen Vorbereitungsplans für die EM wird der Bundestrainer den Spielern des FC Bayern nach deren bitterer Niederlage im Finale der Königsklasse noch einige Tage frei geben müssen. „Damit sie das alles verarbeiten können.“

Wolken hängen aschgrau und granitschwer über dem hügeligen Hinterland von Cannes und Nizza. Ein kühler Wind weht durch Zypressen. Immer wieder fällt Regen. Dass sich so ein südfranzösischer Sonntag im Mai aufführt, war nicht vorherzusehen. Das Wetter könnte also ein Thema sein im Quartier der Nationalmannschaft, in diesem Quartier in Tourrettes, in dem die Vorbereitung auf die Europameisterschaft stattfindet, auf diese EM in Polen und der Ukraine, für die ein Ziel formuliert ist. Titelgewinn. Endlich. Nach dem denkbar knappen Scheitern am Gipfelsturm bei den letzten Gigantenturnieren, bei der EM 2008 und der WM 2010.

Löw entwickelte zwei Szenarien

Das Thema ist allerdings: denkbar knappes Scheitern. Bereits vor dem Finale in der Champions League hatte der Bundestrainer zwei Szenarien entwickelt. Acht seiner Spieler trudeln spät, sehr spät ein zur Vorbereitung auf die EM, aber sie trudeln ein mit der „super“ Gewissheit, gewichtiges Personal der „besten Mannschaft Europas“ zu sein. Oder: Sie reisen spät, sehr spät an, gefrustet von einer Niederlage im eigenen Haus, in der eigenen Arena, gefrustet von einer Saison, in der sie mit dem im Universum Bavaria schlimmstmöglichen Triple abgespeist wurden: Zweiter in der Meisterschaft, Zweiter im nationalen Pokal, Zweiter in der Königsklasse.

Joachim Löw hatte für das düstere Szenario, für das nach dem Knockout durch Chelsea nun eingetretene Szenario, folgende Linie vorgegeben: „Ich muss ihnen dann wahrscheinlich zwei, drei Tage mehr frei geben, damit sie das alles verarbeiten können.“ Möglich ist damit, dass Philipp Lahm, Bastian Schweinsteiger und der Rest der Deprimierten nicht einmal am avisierten 25. Mai zur Landesauswahl stoßen werden. Sie würden dann erst noch einmal für die Bayern antreten, in einer Juxpartie gegen die Niederlande, die sich allein über ihre Einnahmen rechtfertigt. Sie würden dann den Test der Nationalelf am 26. Mai gegen die Schweiz in Basel verpassen und erst am 27. oder 28., am kommenden Sonntag oder kommenden Montag, da auftauchen, wo sie sehnlich erwartet werden.

Bayern-Spieler sehnsüchtig erwartet

Vor allem von der Führungscrew sehnlich erwartet werden. Der Bundestrainer hatte die EM-Vorbereitung mit dem Blick auf die Bayern-Acht bereits im Regenerationscamp auf Sardinien als „zerrüttet“ gegeißelt. Teammanager Oliver Bierhoff hat am Sonntag noch einmal erklärt, dass er „keinen Sinn“ im Auftritt des FCB gegen den EM-Vorrundengegner Holland erkennen könne. Ins Bewusstsein gehievt wurde dadurch vor allem wieder eines: Allein die 17 Spieler, die derzeit in Frankreich einregnen, könnten so in das Turnier starten, wie es dem im Glauben an die wunderbare Macht der Vorbereitung tief verwurzelten Bundestrainer als ideal erscheint.

Und nicht nur das. Die fünf Dortmunder Mats Hummels, Sven Bender, Marcel Schmelzer, Ilkay Gündogan und Mario Götze haben mit Titelgewinn und Pokalsieg sogar so viel Sonne getankt, dass im Teamquartier trotz allem auf den Einsatz von Kaminfeuer verzichtet werden kann.

Nationalmannschaft: Konkurrenzgesellschaft und Familie

Die Bayern aber bilden den Kern der Nationalmannschaft, einen Kern, der, vergrößert noch durch die Sonntag in Tourrettes begrüßten Madrilenen Mesut Özil und Sami Khedira, so prall ist, dass er bis an die Schale der Frucht heranreicht. Manuel Neuer, die unangefochtene Nummer eins im Tor, Kapitän Lahm, der emotionale Anführer Schweinsteiger und Thomas Müller, Toni Kroos, Holger Badstuber, Mario Gomez, Jerome Boateng: Sie alle werden nicht zu den vier Streichkandidaten gehören, die Löw am 29. Mai benennen muss, dem Stichtag, den Europas Fußballunion festgelegt hat. Sie alle gehören als Stammelf-Aspiranten zu denen, die, wie es Oliver Bierhoff kund tat, bald „aufgebaut“ werden sollen durch „die Empathie“, die ihnen in der „Familie Nationalmannschaft“ entgegen gebracht werde.

Dass die Notwendigkeit zum Wiederaufbau seiner Einschätzung widerspricht, dass lediglich das Resultat in München nicht gestimmt habe, Elfmeterfehlschütze Schweini und Co. aber wegen insgesamt guter Performance „mit breiter Brust aus diesem Spiel hervorgehen“ könnten, wollte dem Teammanager nicht auffallen. Und dass es sich bei der Nationalmannschaft auch um eine Konkurrenzgesellschaft handelt, ließ er pietätvoll unerwähnt. Man muss ja nicht gleich schlecht Wetter machen.