Der Fan-Experte Gunter Pilz erklärt, warum Pyrotechnik ein wichtiges Stilmittel für Fußballfans sind. Im Prozess gegen einen Böllerwerfer trat er als Sachverständiger auf und erläuterte, weshalb sich wahre Ultras nicht einmal durch Stadionverbote aufhalten lassen.
Trotz Verbots ist das Zünden von Böllern in Fußballstadien nach Ansicht des Sportwissenschaftlers Gunter A. Pilz in ganz Europa ein Teil der Fankultur. "Pyrotechnik ist bei Fußballspielen europaweit ein Stilmittel der Ultras", sagte der Fan-Forscher am Mittwoch als Sachverständiger im Bombenwerfer-Prozess vor dem Osnabrücker Landgericht. Ultras würden Fußball-Fans genannt, die sich bedingungslos für ihren Verein engagieren, erklärte er.
Angeklagt ist ein 24-Jähriger, der gestanden hat, beim Drittliga-Spiel VfL Osnabrück gegen Preußen Münster im September 2011 einen Knallkörper geworfen zu haben. Durch den Böller wurden 33 Menschen verletzt. Der Angeklagte hatte zur Begründung gesagt, das Werfen von Böllern gehöre in seiner Heimatstadt Neapel zur Fan-Kultur. Die Verteidigung hatte daraufhin den Experten Pilz als Sachverständigen hören wollen.
"Ultras denken nicht über die Folgen nach"
Der 67-jährige Sportwissenschaftler, der er als Honorarprofessor an der Universität Hannover lehrt, gilt als großer Experte für Fußball-Fans. Bei Ultras, die Pyrotechnik zündeten, herrsche kein Unrechtsbewusstsein, sagte er. "Sie denken nicht über die Folgen nach." Viel mehr führe der Einsatz von Pyrotechnik innerhalb von Ultra-Gruppierungen zu einer Erhöhung des Status'. Erhalte einer von ihnen Stadionverbot, so gelte er in Ultra-Kreisen häufig als "Märtyrer", erklärte Pilz.
Er schilderte vor Gericht die Ergebnisse einer Untersuchung, die er 2005 im Vorfeld der Weltmeisterschaft in Deutschland mit einem italienischen und einem englischen Kollegen unternommen hatte. Demnach stellten die Forscher fest, dass das Verbot von Pyrotechnik zu einer stärkeren Verwendung geführt habe.
"Das Werfen von Böllern und Zünden von bengalischen Feuern ist heute auch ein Mittel zur Eroberung von Territorium im gegnerischen Stadion und zur Provokation", sagte Pilz. Dies sei daran festzustellen, dass Pyrotechnik nur von Auswärtsfans gezündet werde. "So wird den Heimfans gesagt: 'Seht her, wir haben es geschafft, Pyrotechnik in euer Stadion zu schmuggeln.'"
Experte sieht Tendenz zur Randale
Pilz sagte, es gebe eine Tendenz unter jungen Fans, nur zu Auswärtsspielen zu fahren, um dort zu randalieren. "Das hat einen besonderen Reiz und wird von ihnen als reines Gewalt-Event betrachtet", erklärte er.
Die Ultra-Bewegung sei in den achtziger Jahren in Italien aus der linken Szene als Gegenbewegung zur Kommerzialisierung des Fußballs entstanden, schilderte Pilz. Der Einsatz von Pyrotechnik sei dort begründet, aber schon 2001 verboten worden. Fans in anderen Ländern hätten dies kopiert. Die davon ausgehende Faszination sei auch von den Medien transportiert worden. Obwohl die Strafen in Italien 2005 erhöht wurden, sei die Strafverfolgung vor allem in Süditalien eher lasch, berichtete Pilz.
Der Sportwissenschaftler nutzte die Gerichtsverhandlung, um an DFB und DFL zu appellieren, sich mit den Fans an einen Tisch zu setzen und darüber zu sprechen, wie ihr kreatives Potenzial anders genutzt werden könne als durch das gefährliche Abbrennen von Böllern.