Essen. DFB-Präsident Theo Zwanziger hat seit längerem alles andere als eine glückliche Hand bei der Bewältigung diversen Krisen, die insbesondere das Schiedsrichterwesen betreffen. Auch nach Babak Rafatis Suizidversuch war wieder einmal niemand schneller – und niemand deutlicher als der 66-Jährige.

Es war der Moment, in dem Theo Zwanziger ungeteilte Zustimmung, Anerkennung, Bewunderung gar genoss: „Fußball ist nicht alles“, sagte Zwanziger mit getragener Stimme. „Denkt nicht nur an den Schein, denkt auch an das, was im Menschen ist, an Zweifel und an Schwächen“, mahnte der heute 66-Jährige.

Es war im November 2009, auf der Trauerfeier nach dem Suizid des Nationaltorwarts Robert Enke, als der Präsident des Deutschen Fußball Bundes DFB zum gefühlten Seelentröster der Nation aufstieg.

Diese öffentliche Wertschätzung behagt dem Mann aus Altendiez am Westerwald. Zwanziger sah sich stets in der Tradition seines Vor-Vorgängers Egidius Braun, der ob seines dem Menschen zugewandten, leicht onkelhaften Stils gern „Pater Braun“ genannt wurde. Es war durchaus liebevoll gemeint. Auch Zwanziger, seit 2006 als Nachfolger des eher schneidigen Gerhard Mayer-Vorfelder im Amt des DFB-Präsidenten, punktete mit seiner öffentlich betont ruhigen Art, in der er im staatstragend-pastoralen Tonfall gegen jeden gesellschaftlichen Missstand seine Stimme erhob. Egal, ob Homophobie, Depression, Intoleranz, Fremdenfeindlichkeit oder Rassismus – Zwanziger ist stets mittenmang, um das „Kartell der Tabuisierer und Schweiger“ zu zerschlagen, wie er auf der Enke-Trauerfeier forderte.

Mit schnellen Thesen eine Debatte entfacht

Auch nach dem Suizidversuch des Bundesliga-Schiedsrichters Babak Rafati war wieder einmal niemand schneller – und niemand deutlicher als Theo Zwanziger. Vier Stunden nach dem Vorfall saß Zwanziger in den Katakomben des Kölner Stadions. Es sollte neben echter Bestürzung und Empathie wohl auch Entschlossenheit und Handlungskraft suggerieren. Es wurde ein wunderlicher Auftritt. Er halte es für unangemessen, so Zwanziger, nun über die Motive des Suizidversuchs zu spekulieren – um sofort über den „hohen Druck im Schiedsrichterwesen, im Leistungssport allgemein“ zu fabulieren. „Wir schaffen es einfach nicht, das Ganze in eine richtige Balance zu bringen.“

Es blieb zwar unklar, wer „wir“ sind und was „das Ganze“ beinhaltet – aber die These stand im Raum. die Debatte war eröffnet. Egal, ob das Motiv Rafatis am Ende, wie vermutet, im Privatbereich liegt oder doch im Fußball begründet ist – Zwanziger zumindest vermittelte wieder einmal das Gefühl, die Mechanismen des Profisports neu erfinden zu müssen. Und im Zweifel auch zu können.

Fall Amerell/Kempter beschäftigt längst die Gerichte

Dabei hat der 66-Jährige seit längerem alles andere als eine glückliche Hand im Management der diversen Krisen, die insbesondere das Schiedsrichterwesen betreffen. In der Affäre um die intime Beziehung des jungen Schiedsrichters Michael Kempter zum damaligen Obmann Manfred Amerell schlug sich Zwanziger vorbehaltlos wie vorschnell auf die Seite Kempters. Eine Schwarz-Weiß-Einschätzung, die der Jurist später revidieren musste; der Fall Amerell/Kempter beschäftigt längst die Gerichte, zudem überwarf sich Zwanziger in dieser Causa mit seinem Vize Rainer Koch. Es knirscht hörbar im Gebälk des Verbands.

Als der Spiegel“ jüngst über die Ermittlungen der Steuerbehörden gegen insgesamt 70 ehemalige und aktuelle Schiedsrichter berichtete, die sich die Prämien des Weltverbandes Fifa auf Auslandskonten überweisen ließen, um so der Steuer zu entgehen, brauchte es nicht lange, ehe Zwanziger seine Haltung entwickelt hatte. So groß wäre die Sache nicht, versicherte der DFB-Präsident nach Befragung der Unparteiischen durchaus gelassen. Dabei gestand er zugleich, die Akten der Behörden nicht zu kennen – für einen Volljuristen ein durchaus erstaunlicher Vorgriff auf die Ermittlungsarbeit der staatlichen Stellen.

Und nun also der Fall Rafati, in dem Zwanziger wieder vor allen anderen wissen wollte, was nun zu tun sei. Was davon am Ende übrig bleibt, ist dann ohnehin eine andere Frage. Und zudem nicht so öffentlichkeitswirksam. Der frühere St.-Pauli-Profi Andreas Biermann, der sich unmittelbar nach dem Enke-Tod öffentlich zu seinen Depressionen und einem Suizidversuch bekannte, sagte Anfang 2011 zum Umgang des DFB: „Ich wurde mit kompletter Ignoranz behandelt. Bis heute hat sich niemand bei mir gemeldet.“