Essen. Silvia Neid kann Bundestrainerin bleiben, weil der Frauenfußball in Deutschland zwar eine schöne und spannende Angelegenheit ist – aber keine, die unter der höchsten nationalen Dringlichkeitsstufe verhandelt wird. Ein Kommentar.

Auf den Juli und den August des kommenden Jahres sollten sich die deutschen Fußballerinnen vorbereiten. An den Olympischen Spielen in London nicht teilnehmen zu dürfen, bedeutet nämlich: In jeder Berichterstattung, die den Frauenfußball auch nur am Rande berührt, wird erwähnt werden, dass die große Nation nicht dabei ist. Sie werden deshalb noch einmal zurückkehren, die Schmerzen der Niederlage gegen die Japanerinnen, die Schmerzen, die das so frühe Scheitern bei der Weltmeisterschaft im eigenen Land ausgelöst hat.

Diese Schmerzen werden allerdings auszuhalten sein. Und dem kleinen Sturm, der derzeit durch den Blätterwald bläst, wird auch schon bald die Puste ausgehen. Das ist das Glück der Frauen. Das ist das Glück von Bundestrainerin Silvia Neid. Ein Bundestrainer der Männer würde nach einem ähnlichen WM-Schadensfall seit Samstagabend von einem gewaltigen Orkan umtost werden. Und er wüsste, dass dieser Orkan noch über Wochen hinweg mit vernichtender Kraft weiter durchs Land ziehen würde. Und er wüsste, dass die irgendwann folgende Flaute sich spätestens vor dem Start des verpassten nächsten Weltereignisses wieder in ein Katastrophenszenario verwandeln würde.

Zwanziger steht hinter Neid

Dieses Wissen macht den Unterschied. Rudi Völler, der Volks-Rudi, der Beliebtheits-Quotenhit, ist nach der verkorksten Europameisterschaft 2004 zurückgetreten. Gerhard Mayer-Vorfelder, der damalige Präsident des Deutschen Fußball-Bundes, stand hinter ihm, so, wie heute Theo Zwanziger hinter Silvia Neid steht. Völler aber wusste: Der Druck ist zu stark geworden, die Nation wird nicht vergessen, ich belaste die Mannschaft, wenn ich bleibe.

Neid kann also nicht bleiben, weil es keine Alternative zu ihr gibt. Sie kann auch nicht bleiben, weil Zwanziger wünscht, dass sie bleibt. Sie kann bleiben, weil der Frauenfußball in Deutschland zwar eine schöne und spannende Angelegenheit ist – aber keine, die unter der höchsten nationalen Dringlichkeitsstufe verhandelt wird.