London. . Seine Angriffe hat David Haye schon vor dem Weltmeisterschafts-Kampf gegen Wladimir Klitschko am Samstag in Hamburg gestartet. Und er trifft. Unter der Gürtellinie.

Wenn die Leute zu vergessen beginnen, wie geschmacklos er sein kann, fällt David Haye wieder etwas Neues ein. Wenige Wochen vor seinem 27. Vergleich hat der 30-jährige Preisboxer daheim in London eine neue Applikation für spielfreudige Handy-User vorgestellt. Im Mittelpunkt steht „ein sehr großer Osteuropäer“, wie er es umschrieb, dem man mit etwas Geschick den gepixelten Kopf abschlagen kann. Er selbst brauche dafür nur zwanzig Sekunden, prahlte Haye, und legte nach: Am 2. Juli werde die Welt sehen, „wer genau dieser Typ ist, dem ich den Kopf wegblase“.

Blutende Köpfe

Selbst mit etwas mehr Zurückhaltung wäre der Champion der World Boxing Association (WBA) noch immer der gegenwärtig lauteste Schwergewichts-Profi des Planeten. Mit Höflichkeit kommt man in diesem brutalen Showsport oft nicht weit – und weit, sehr weit will David Deron Haye es bringen. Am Samstag nimmt er es in der Hamburger Imtech-Arena mit einem gewissen Wladimir Klitschko auf. Das ist ein sehr großer Osteuropäer, der die Gürtel von IBF und WBO sowie den Ruf des weltbesten Boxers seines Limits innehält. Aber das will der 1,91 Meter große Normalausleger Haye bei dieser Gelegenheit ändern.

Wenn es bei dem mit reichlich Animosität gewürzten Showdown in etwa so zugeht wie er es sich vorstellt, kommt es zu einer Wachablösung. Dann wird Genosse Klitschko ausgeknockt am Boden liegen, prophezeit Haye – nicht nach zwanzig Sekunden, aber gegen Mitte des Duells. Hingestreckt von den so weit wie wuchtig hergeholten Treffern, die in der Branche als „Hayemaker“, als Heumacher berüchtigt sind. „Er mag keine Wirkungstreffer und fühlt sich ex-trem unwohl, wenn er unter Feuer steht“, sagt Haye über Klitschko. „Genau in diese Situation werde ich ihn aber sehr schnell bringen.“ Ein Boxkampf als möglichst kurzer, zum Ende brachialer Prozess: Das ist das Kerngeschäft des Emporkömmlings, der schon als Cruisergewichtler mit präpotenten Salven von sich hören machte. Dies werde „so einseitig wie George Foreman gegen Joe Frazier“, tönte Haye im Herbst 2007, als er den amtierenden WBA/WBC-Champion Jean-Marc Mormeck forderte – und dann in Runde 7 stoppte. Das werde so leicht, dass er „nur pünktlich und nüchtern“ erscheinen müsse, wusste er im Frühjahr 2008 vor der Titelvereinigung mit WBO-Champ Enzo Maccarinelli – und demolierte den Waliser in anderthalb Runden. Er hätte Schuldgefühle, wenn er noch einmal so viel Geld für so wenig Mühe erhalte, lästerte der Sieger hinterher.

Danach war „The Hayemaker“ nicht der beliebteste, aber der mit Abstand dominanteste Profi seines Limits – weil seine Fäuste das Tempo seiner Zunge bisher noch jederzeit mitgehen können. Seit dem Wechsel ins Schwergewicht 2008 verfolgt Haye (25 Siege, 1 Niederlage) nun die ehrgeizige Mission, bis zu seinem 31.Geburtstag im Oktober 2011 auch die relevanten Titel in der „Klasse aller Klassen“ in seinen Besitz zu bringen – und dann abzutreten. Das würde ihn in den Augen des britischen Ex-Champions Lennox Lewis zu „einem Muhammad Ali seiner Ära“ machen: „Er hat das Aussehen dazu und das Großspurige, und er hat dem Boxen in der Welt ein frisches Gesicht verpasst.“

So betrachtet, müssten die Klitschkos Haye im Grunde täglich Blumen schicken: Wirklich brisante Gegner sind für WBC-Champ Vitali und seinen Bruder Wladimir in dem um Qualität verlegenen Limit seit Jahren kaum noch auszumachen. Tatsächlich aber zeigen sich die Hünen aus der Ukraine seit zwei Jahren eher beleidigt bis genervt. So lange haben sich die Verhandlungen über die erste Titelvereinigung seit dreieinhalb Jahren hingezogen. Weil Haye lieber große Sprüche klopfe statt sich zu stellen, wie das Klitschko-Lager behauptet? Oder weil er sich die Bedingungen und Klauseln für den Kampfvertrag nicht so brav wie andere aufdrücken lässt, wie die Ecke von David Haye geltend macht?

Scharfe Ausfälle

Mr. Haye hat den Klitschkos schon im Vorfeld die Stirn geboten und ihnen so oft es ging die Zunge herausgestreckt – von einem T-Shirt, auf dem er die blutenden Köpfe der Brüder in die Höhe hält, bis zum selbst vermarkteten Handy-App. Das war nie die feine Art, die sein etablierter Gegner für sich reklamiert. Aber dessen scharfe Ausfälle („respektiere dich als Boxer, nicht als Mensch“) sind ein Hinweis darauf, dass die Hinterhof-Manöver wirken. „Ich versuche alles, um der Stachel im Fleisch meines Gegners zu sein“, hat Haye dem „Spiegel“ verraten. Nun müssen zur Abwechslung ein paar Schläge oberhalb der Gürtellinie folgen. Sonst wäre Haye nur ein ziemlich großer Westeuropäer, der seinen Kopf verliert.