Kristianstad. .
Die Aussage hatte echten Seltenheitswert. Denn Kritik an einzelnen Spielern ist für Handball-Bundestrainer Heiner Brand in aller Regel tabu. Wenn er nach dem 24:26 gegen die Spanier bei der WM in Kristianstad dennoch einen gezielten Giftpfeil in Richtung Michael Kraus abfeuerte, dann lässt dies aufhorchen.
Der Hintergrund: Als das deutsche Team in einem Anfall kollektiver Konfusion einen 21:18-Vorsprung innerhalb von zehn Minuten noch aus den Händen gab, wäre ein Kopf der Mannschaft gefordert gewesen. Doch Kraus, der als Allererster für diese Rolle in Frage kommt, saß auf der Bank und konnte nicht eingreifen. „Der Mimi“, begründete Brand seinen Verzicht auf den Spielgestalter in der Endphase, „hatte sich ja nicht gerade als Führungsspieler geoutet.“ Darauf angesprochen, antwortete Kraus am Tag vor dem Spiel gegen Frankreich (18.15 Uhr/ARD) mit Sätzen, in denen die Kritik am Bundestrainer nicht zu überhören war.
Kritik am Bundestrainer
„Ich bin fest überzeugt davon, dass ich der Mannschaft in dieser Situation hätte helfen können“, lautete zum Beispiel einer der Kernsätze der Kraus-Replik. Allerdings hatte er seinen Platz in der Rückraum-Mitte zuvor nach etlichen tatsächlich haarsträubenden Fehlern räumen müssen. Fehlwürfe, schlechte und überhastete Anspiele, Ballverluste: Der ehemalige Bravo-Boy, der kurz vor WM-Beginn in Testspielen gegen Schweden und Irland noch als Deutschlands Bester geglänzt hatte, spielt bei diesem Turnier erneut wie verwandelt.
Michael Kraus wirkt mit inzwischen 27 Jahren noch immer wie das nicht eingelöste Versprechen der WM von 2007 im eigenen Land: Damals der Jung-Star aus dem Nichts, scheinbar auf dem Weg zur Weltkarriere, blieb er seitdem bei praktisch allen großen Turnieren den Beweis der seinerzeit angedeuteten Klasse schuldig. Vor allem die EM vor einem Jahr in Österreich sah einen Kraus in unterirdischer Verfassung.
„Da hatte ich eine langwierige Verletzung noch nicht richtig auskuriert“, sagt er heute dazu. Außerdem sagte er kürzlich: „Wenn ich Fernsehbilder von damals sehe, erkenne ich mich gar nicht wieder.“ Das war nach dem 28:23 in Hamburg gegen Schweden. Inzwischen gibt’s von der aktuellen WM aber neue Fernsehbilder. Und die zeigen wieder jenen „anderen“ Kraus, den er eigentlich gar nicht mehr kennen wollte. Vor seinem misslungenen Spiel gegen Spanien, in dem ihm kein Feldtor und nur zwei Siebenmeter-Treffer gelangen, war’s beim 38:18 gegen Bahrain sogar noch schlimmer: Da steht er lediglich mit einem verworfenen Siebenmeter in der Statistik des Spiels.
„Ich bin überhaupt noch nicht im Turnier. Das muss ich ganz klar sagen“, gab er sich gestern selbstkritisch. Er sagte aber auch - und das wird Heiner Brand sehr aufmerksam registrieren: „Nach den Island-Spielen hatte ich schon erwartet, bei unserem WM-Auftakt gegen Ägypten in der Anfangsformation aufzulaufen.“ Und: „Wenn ich wenig Spielanteile erhalte, dann fällt es mir auch schwer. Ich bin halt ein Typ, der stark vom Selbstvertrauen lebt.“
Fehler-Analyse
Dem hielt der Bundestrainer seine Fehler-Analyse entgegen, die wie speziell für Kraus formuliert klang. „Wir haben das Spiel im Angriff verloren“, so Brand, „da war unser Spiel geprägt von technischen Fehlern, von schlechtem Timing, von ungenauen Pässen.“ Explizit hielt er dem HSV-Profi vor, taktische Anweisungen nicht eingehalten zu haben. Brand: „Er muss mehr Konzentration mit ins Spiel nehmen.“
Gegen die Franzosen trifft Kraus sozusagen auf seinen Lieblingsgegner. Gegen den aktuellen Weltmeister machte er bei der WM 2007 seine besten Spiele. „Unsere Abwehr war gegen Spanien gut, der Torwart überragend. Wenn wir im Angriff eine normale Leistung bringen, dann sind auch die Franzosen zu packen“, sagt er nun. Und er weiß: Bei einer weiteren Niederlage in Schweden droht nicht nur der deutschen Mannschaft ein WM-Debakel, sondern auch ihm ganz persönlich.