Oslo. Das Viertelfinal-Aus bei der Handball-WM zeigt, dass die deutsche Nationalmannschaft lernen muss, besser mit Erwartungsdruck umzugehen.

Am Donnerstagmorgen herrschte Aufbruchstimmung. Nur eben nicht diese positiv besetzte. Der Abschied der deutschen Handball-Nationalmannschaft aus Oslo war einer der unfreiwilligen Sorte. Gepackte Koffer in der Lobby des Scandic Fornebu, Augenringe als Zeuge einer viel zu kurzen Nacht, und beinahe greifbare Enttäuschung über das Aus bei dieser Weltmeisterschaft. 

„Wir haben jetzt die Zeit, das alles in Ruhe zu rekapitulieren, zu analysieren“, erklärte DHB-Sportvorstand Ingo Meckes am Morgen nach dem 30:31 nach Verlängerung im Viertelfinale gegen Portugal.  

Handball-WM: Portugal spielt um Finaleinzug, Deutschland reist nach Hause

Während die Südeuropäer am Freitag gegen Dänemark (20.30 Uhr) um den Finaleinzug spielen, fuhr der Tross des Deutschen Handballbundes (DHB) am Donnerstagvormittag in zwei Gruppen zum Flughafen, von dort aus nahm jeder das Flugzeug, das ihn zurück in die Heimat bringen sollte.

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Wenn das Ausscheiden der DHB-Auswahl etwas Gutes hatte, dann die Tatsache, dass die Spieler nun ein paar Tage mehr Zeit haben, die kräftezehrende Turnierphase zu verdauen. Schon in etwas mehr als einer Woche startet die Bundesliga in ihre zweite Saisonhälfte. Das Alltagsgeschäft wartet.

Die Nationalmannschaft kommt erst Mitte März wieder zusammen, zur EM-Qualifikation gegen Österreich in Wien und Hannover. Bis dahin wollen sie im Verband aufgearbeitet haben, was in Herning und Oslo schiefging. Warum die Mannschaft nicht an die Leistungen anknüpfen konnte, die sie im vergangenen Sommer zu Olympia-Silber getragen hatten.

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DHB-Auswahl erreicht das Olympia-Niveau nicht

Es sei ein Turnier gewesen, „in dem wir uns alles erarbeiten mussten“, erklärte Sportvorstand Meckes. Keine Leichtigkeit, keine überzeugenden Auftritte, viel Krampf und Kampf. Sowohl im Angriff als auch in der Abwehr.

„Die Qualität war insgesamt schlechter“, hatte Rückraumspieler Christoph Steinert kurz vor Mitternacht in der Osloer Unity Arena zu Protokoll gegeben. „Wir sind normalerweise besser als das hier.“

Einen Grund dafür, dass die DHB-Auswahl nicht zu ihrem Spiel fand, sehen die Verantwortlichen in der hohen Belastung. „Das Problem, das wir hatten, ist eines, das Mannschaften haben, die sehr viele Bundesliga-Spieler haben“, erklärte Gislason. „Letztendlich hat uns auf gewissen Positionen die Kraft gefehlt.“

Auch andere Mannschaften haben überlastete Bundesliga-Spieler

Viele Profis seien schon angeschlagen oder krank zur Vorbereitung am 3. Januar in Hamburg gekommen. Ein Nachteil, den man in den nachfolgenden Wochen nicht mehr aufholen konnte.

Die Spitzenmannschaft Dänemark hat ebenfalls viele Bundesliga-Spieler im Kader, unter anderem Welthandballer Mathias Gidsel, der bei den Füchsen Berlin in dieser Saison kaum eine Minute verpasst hat. Der 25-Jährige ist eine Ausnahmeerscheinung, keine Frage. Doch auch seine Landsmänner, wie Simon Pytlick oder Emil Jakobsen (beide SG Flensburg-Handewitt) sind bei dieser WM auf allerhöchstem Niveau unterwegs. Trotz der Bundesliga-Belastung.

Zur Wahrheit gehört also auch, dass dem Kader die qualitative Breite fehlte. Nach der Verletzung von Franz Semper (Adduktoren) blieb Renars Uscins die einzige Option für den rechten Rückraum. Der Youngster von der TSV Hannover-Burgdorf bekam kaum Entlastung, wirkte am Ende völlig überspielt und vergab so entscheidende Würfe im Viertelfinale gegen Portugal.

Eine DHB-Achse hat sich gefunden – auch für die Zukunft

„Es war nicht zu übersehen, dass wir heftige Probleme auf der rechten Seite hatten“, erklärte Bundestrainer Gislason. Viele Spieler waren nicht in Topform, zu viel Last lag auf den Schultern von Juri Knorr. Eine Last, die Nachwuchskräfte wie Nils Lichtlein noch nicht auffangen konnten.

Renars Uscins bekam bei dieser Handball-Weltmeisterschaft kaum Entlastung.
Renars Uscins bekam bei dieser Handball-Weltmeisterschaft kaum Entlastung. © AFP | BO AMSTRUP

„Er ist einfach nicht durchgekommen, da hat man den körperlichen Unterschied gesehen“, sagte der isländische Coach über den Profi der Füchse Berlin. Lichtlein ist ein Mann für die Zukunft, ein Spielmacher mit Perspektive. Einer, der bei der Weltmeisterschaft 2027 im eigenen Land eine größere Rolle spielen kann. Dann muss der Titel das Ziel sein – weil sich die Mannschaft im Kern nicht groß verändern dürfte, wenn die Leistungsträger fit bleiben.

Knorr (24), Julian Köster (24), Uscins (22) – sie haben noch viele gemeinsame Länderspiele und Turniere vor sich, sich aber schon jetzt als Achse gefunden. „Wir haben die Möglichkeit, dass das Team komplett zusammenbleiben kann“, sagte Sportvorstand Meckes. „So können wir uns entwickeln und unsere Ziele setzen. Das ist eine große Chance für die Zukunft.“

Die Mannschaft muss besser mit der Erwartungshaltung umgehen

Eine Zukunft, in der die DHB-Auswahl ihr Potenzial geschickter nutzen und mit der Erwartungshaltung besser umgehen muss. Faktoren, die dazu beitragen, dass die Lücke zu den Top-Nationen wie Dänemark und Frankreich weiterhin klafft.

„Wir müssen unseren Platz verteidigen und gleichzeitig nach oben angreifen“, forderte Meckes. „Es ist immer einfach, von wenig auf konkurrenzfähig aufzuholen, im Vergleich zu Platz vier, fünf oder sechs auf eins oder zwei zu kommen. Das wissen wir, daran müssen wir arbeiten.“

Zusammen mit Bundestrainer Alfred Gislason. Der 65-Jährige zog am Donnerstag eine Augenbraue hoch, als er nach seiner eigenen Zukunft gefragt wurde. „Ich habe tierisch Spaß mit der Mannschaft“, so der Coach, der im vergangenen Februar seinen Vertrag bis 2027 verlängert hatte. „Ich mache diesen Job, weil ich Handball liebe.“ Selbst nach dem bitteren Aus bei dieser WM. Und einer viel zu kurzen Nacht.

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