Herning. Deutschland gelingt mit einem 35:28 über Polen ein guter WM-Start. Renars Uscins glänzt mit zehn Toren. Der Spielmacher knickt um.
Alfred Gislason traute dem Braten noch nicht so ganz. Neben ihm, auf der Bank der deutschen Handball-Nationalmannschaft, sprangen die Spieler auf, reckten die Arme in die Höhe, als Andi Wolff gehalten hatte, Luca Witzke den Vorsprung auf fünf Tore erhöht hatte. Der Bundestrainer aber verschränkte die Arme hinter dem Körper, kratzte sich mal an der Schläfe, legte am Ende aber doch die ganze Anspannung ab. Deutschlands Handballer sind mit einem Sieg in die Weltmeisterschaft in Dänemark gestartet. Mit einigen Defiziten nach Herning gereist, ist der Vierte der vergangenen Heim-EM auch noch längst nicht in Medaillenform. Doch das 35:28 (15:14) zum Auftakt über Polen stellt zumindest vom Ergebnis her das dar, was sich Juri Knorr, Renars Uscins und Co. vorgestellt hatten. Für Juri Knorr hatte der Abend allerdings noch einen schlechten Ausgang.
Handball-WM: Dänemark mit großer Show, Deutschland mit attraktivem Beiprogramm
Auch interessant
Als seine Teamkollegen den gelungenen Auftakt gegen Polen ausgelassen bejubelten, schlich der Spielmacher angeschlagen über das Feld und fasste sich immer wieder ans Bein. Die vermeintliche Verletzung aus der 40. Minute trübte die Stimmung der deutschen Handballer ein bisschen. Arm in Arm mit seinen Mitspielern huschte aber auch dem Publikumsliebling, der gut 20 Minuten vor Schluss raus musste, schließlich ein Lächeln über das Gesicht. Mit Blick auf die Verletzung von Knorr meinte Bundestrainer Alfred Gislason: „Es war nass. Er rutscht ein bisschen aus. Ich habe ihn gefragt. Er meinte, es ist eine Verstauchung. Ich hoffe, dass es nichts Ernstes ist.“
Zum Spiel sagte der 65 Jahre alte Isländer: „Ich fand, dass wir in den ersten zehn Minuten ein bisschen überdreht haben. Wir konnten von Glück reden, dass wir zur Halbzeit geführt haben“, erklärte Alfred Gislason nach dem Spiel und war mit dem Auftritt nur bedingt zufrieden. So sah es auch Keeper Andreas Wolff: „Mit plus sieben können wir mehr als zufrieden sein. Auftaktspiele sind natürlich schwer, aber mit dem Wie müssen wir uns beschäftigen. Letztendlich ist es ein schönes Ergebnis.“
Kann man sich auf der Autofahrt ins mittlere Jütland schon mal verlieren ob der Einöde jenseits der Autobahn, taten sich in der Jyske Bank Boxen zwischen den Zuschauern ähnlich große Lücken wie zwischen dänischen Städten auf. Hatten hier am Vorabend noch 15.000 Zuschauer enthusiastisch das erste rot-weiße Spektakel gefeiert, als Algerien mit 47:22 überrannt worden war, verliehen 3500 Fans am Mittwochabend der highlight-erprobten Arena eine doch recht überschaubare Atmosphäre. Der Oberrang war genauso geschlossen wie die üppige Fanzone, wo am Dienstag noch reichlich Bier nach dem Topauftakt des Titelverteidigers floss, blieb diesmal sogar geschlossen. Die große Show, dafür ist in Herning nach dem ersten Spieltag bisher nur der Co-Gastgeber verantwortlich.
„Jeder Spieler weiß, was man besser machen muss, um gut ins Turnier zu starten“, hatte DHB-Kapitän Johannes Golla noch vorher angekündigt. Bezug nahm er dabei vor allem auf die Abschlussschwäche, die die olympischen Silbermedaillengewinner von Paris in den Testdurchgängen gegen Brasilien in Flensburg und Hamburg gezeigt hatten. Nach den ersten 30 Minuten konnten sich zumindest Deutschlands Rückraum-Asse nicht von sich behaupten, einen gravierenden Fortschritt erzielt zu haben. Vor allem Spielmacher Juri Knorr zeigte sich nach seinem 1:0 zu hastig und zu genau, als er den Pfosten traf. Keines der beiden Teams konnte sich mehr als zwei Tore absetzen. Renars Uscins schoss trotz dreier Treffer zahlreiche Fahrkarten, der im letzten Drittel des Abschnitts eingewechselte Luca Witzke sorgte mit zwei Toren dafür, dass mit dem 11:11 wieder ein Spiel auf Augenhöhe erreicht war. Gollas viertes Tor zum 15:14 bedeutete dann die Halbzeitführung.
Handball-WM: Polen witterten ihre Chance gegen Olympia-Zweiten Deutschland
Die Polen, 2007 mit dem für sie unangenehmen Part, Deutschland in Köln zum Weltmeister gemacht zu haben, schienen sich in Herning von den Jahren der sportlichen Tristesse – 2023 waren sie bei der WM im eigenen Land nur 15. – freigeworfen zu haben. Vor allem Rückraum-Ass Ariel Petriasik (am Ende mit sieben Toren) und Kreisläufer Kamil Syprzak (fünf Tore) machten der Mauer im deutschen Tor zu schaffen. Andreas Wolff mit all seiner Polen-Erfahrung aus den fünf Jahren in Kielce fand nicht wirklich ins Spiel. Alfred Gislason entschied sich für einen Wechsel, und das sollte sich auszahlen.
Auch interessant
David Späth verlieh den Teamkollegen im zweiten Durchgang mit seinen Paraden und seiner Energie mehr Sicherheit. Wolff trug mit zwei parierten Siebenmetern (einen hatte er bereits im ersten Durchgang gehalten) auch dazu bei, dass der zweimalige Weltmeister in der Abwehr intensiver zupackte, seine Angriffe besser zu Ende fuhr. Das 18:15 (33.) durch Julian Köster war die erste Drei-Tore-Führung, auf die Witzke nach einem Ausgleich zum 21:21 noch mal stellte (24:21/42.). Diesen Vorsprung spielte das Gislason-Team auch souverän über die Zeit. Beste Torschützen waren Renars Uscins (10) und der makellose Kreisläufer Johannes Golla (6).
Handball-WM: Wolff glaubt an Potenzial und warnt vor Übermut
Der Anfang ist gemacht, durch das 17:17 der beiden anderen Gruppengegner kann die Auswahl des Deutschen Handballbundes schon am Freitag (20.30 Uhr/ZDF) gegen die Schweiz den Einzug in die Hauptrunde klarmachen. Zum Vorrundenabschluss geht es am Sonntag (18 Uhr/ARD) noch gegen Tschechien. „Ich hoffe, wir wählen die gleiche Herangehensweise wie bei den letzten beiden Turnieren“, so der 33 Jahre alte Andreas Wolff. „Wir leben als Mannschaft davon, dass wir alle an unser Maximum gehen. Ohne auf das EM-Halbfinale und die Olympia-Silbermedaille zu schauen, können wir sagen: Wir haben das Potenzial, ein Topturnier zu spielen. Wir wissen aber auch, dass wir ganz schön abstürzen können.“ Diese Gefahr ist für die Tage in Herning aber zunächst einmal deutlich gesunken.