Essen. Claudia Wagner, Chefin der „Deutsche Sport Marketing“, beschäftigt sich mit dem Thema Public Viewing für Olympia. LA 2028 ist herausfordernd.

Die Begeisterung für Olympische Spiele packte Claudia Wagner schon als Kind. Zwar sei sie nie die Erste gewesen, die im Schulsport in eine Mannschaft gewählt wurde. Aber sie liebte die Fernsehbilder und wünschte sich nach jeden Spielen Bildbände, die sie in ihrem Kinderzimmer in Herten verschlang. Aus den einstigen Olympia-Schwärmereien ist mittlerweile ihr Beruf geworden. Seit 2018 arbeitet die 49-Jährige als Geschäftsführerin der Agentur „Deutsche Sport Marketing“ (DSM) eng mit dem Deutschen Olympischen Sportbund und dem Deutschen Behindertensportverband zusammen. Das Deutsche Haus samt Fan Zone im Rugby-Stadion bei Olympia in Paris hätte es ohne sie und ihr Team nicht gegeben. Ihre nächsten Pläne kreisen bereits um die Winterspiele 2026 und die Sommerspiele in Los Angeles 2028.

Frau Wagner, es ist jetzt ein halbes Jahr her, dass im Deutschen Haus Athleten wie Fans ein großes Olympia-Fest gefeiert haben. Wie blicken Sie auf das, was Sie dort kreiert haben?

Claudia Wagner: Ich hatte in Paris jeden Morgen so einen Moment, in dem ich einfach verblüfft war. Es gab in unserem Konzept Zeichnungen, wie das Deutsche Haus einmal aussehen soll. Über drei, vier Jahre haben wir das in unzähligen Konferenzen präsentiert. Und nun fühlte es sich für mich jeden Morgen so an, als würde ich mitten in dieser 3D-Zeichnung stehen. Das war gigantisch. Vor Ort verfliegt die Zeit förmlich. Man nimmt so viele Bilder und Emotionen auf, die jetzt – wo man mal zum Verarbeiten kommt – plötzlich alle wieder hochkommen. Im Team haben wir das jetzt noch häufig, dass wir in Meetings sitzen und irgendwem fällt plötzlich wieder eine skurrile Geschichte ein, die dann wieder bei allen lebendig wird.

Das Deutsche Haus in Paris von oben: Auf dem Spielfeld ist eine riesige Fan Zone mit Bühne und Ausprobierstationen entstanden.
Das Deutsche Haus in Paris von oben: Auf dem Spielfeld ist eine riesige Fan Zone mit Bühne und Ausprobierstationen entstanden. © Team Deutschland / Picture-Alliance | Team Deutschland / Picture-Alliance

Was war Ihr schönster Moment im Deutschen Haus?

Den gab es schon sehr früh. Wir hatten bewusst das Konzert von Clueso relativ nahe an den Anfang gelegt. Und tatsächlich waren wir schon am zweiten Tag das erste Mal ausverkauft. Ich weiß noch, wie ich auf der Terrasse stand und auf diese große Bühne im Stadion blickte, neben der auch eine riesige Leinwand aufgebaut war. Auf dieser zeigten wir die Wettkämpfe. Und während Clueso performte, schwamm gerade Lukas Märtens das 400-Meter-Freistil-Finale. Und wurde immer schneller und schneller. Irgendwie spürten plötzlich alle: Okay, da passiert gerade Geschichte! Auch auf der Bühne bekamen sie das mit, Clueso hörte auf einmal auf zu singen – und dann haben alle zusammen gesehen, wie Lukas Märtens das erste Gold für Deutschland in Paris gewann. Das war so verrückt: Alles, was wir uns mal im Konzept erdacht haben, ist in diesem Moment aufgegangen. Später erstrahlte auch noch ein Regenbogen über der Bühne – das war fast zu kitschig, um wahr zu sein. (lacht)

Schwer, das noch zu toppen.

Der Moment hat eine große Wirkung gehabt. Wir mussten danach gar nicht mehr groß „Werbung machen“: Die Menschen kamen, das Deutsche Haus wurde ganz selbstverständlich zu einem Treffpunkt – für die Athleten, aber auch für die Fans, die Teil ihrer Olympia-Geschichte werden konnten und das Haus mit Leben gefüllt haben. Der Raum für Familien, für Begegnungen war geschaffen.

Wie fällt denn dann ganz nüchtern betrachtet Ihr Fazit aus?

Wir haben sehr viel positive Rückmeldung erhalten – von Athleten und auch von den Gästen. Auch die Bundesinnenministerin hat die Plattform gelobt. Dass aus dieser Aufgabe und ihrer professionellen Durchführung jetzt auch ein langanhaltendes Positivgefühl entstanden ist, ist großartig. Aber wir haben mittlerweile auch Klarheit darüber, dass es wirtschaftlich ein erfolgreiches Projekt war. Wir waren etliche Male ausverkauft. An alle Bausteine des Konzepts konnten wir nach und nach dicke grüne Haken machen. Wir haben mit einem tollen Team für ein nachhaltiges Erlebnis gesorgt und tolle Bilder und Geschichten abseits der Wettkampfstätte nach Deutschland transportiert.

Nach den Spielen ist vor den Spielen: Motiviert der Erfolg für das nächste Projekt oder erzeugt er Druck?

Er beflügelt. Wir hatten jetzt den nötigen Abstand, um uns auszuruhen und wieder Kraft zu tanken. Man muss sehen: Alle Spiele sind anders – und das macht es so spannend. Wir hatten in Paris durch die Lage in der Nachbarschaft die Riesenchance, die vielen angereisten Fans aktiv abzuholen, sie teilhaben zu lassen. In Los Angeles wird das 2028 ganz anders sein. Dazwischen liegt ein Langstreckenflug – da werden bei weitem nicht so viele Fans aus Deutschland vor Ort sein. Wir müssen jetzt schauen, was sich vor Ort wie darstellen lässt. Der Erfolg von Paris motiviert aber auf jeden Fall auch, kreativ und mutig zu denken. Wir wollen etwas aufbauen, das für das Team Deutschland ein Treffpunkt ist, auf den es stolz sein kann, der Menschen vereint, der aber auch die Brücke schlägt zwischen den Spielen in LA und der Heimat.

Olympia 2028: Eher ein Netz an Events als ein großes Public Viewing

Wie kann das aussehen?

Wir wollen die Begeisterung in die Wohnzimmer bringen, erreichen, dass Familien sich an den Bildern berauschen, gemeinsam wieder Sportgeräte rausholen und die olympische und paralympische Idee weitertragen. Das wird uns sicherlich in Los Angeles auch wieder gelingen, aber wahrscheinlich ganz anders. Ein Stadion zu kopieren, wäre zu einfach. Es wird etwas sein, was zu LA und was dann auch in vier Jahren in eine neue Zeit passt.

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An was denken Sie da konkret? Rudelgucken, wie man es von Fußballturnieren kennt?

Public Viewing für Olympia – das wäre tatsächlich ein Traum. Mit diesem Gedanken beschäftigen wir uns auf jeden Fall. Wir wollen eine Anlaufstelle schaffen, wo die Menschen gemeinsam die Spiele feiern können – auch wenn sie eben nicht in den USA vor Ort sind. Wir wollen etwas konzipieren, dass das gleiche Gefühl von gemeinsamem Erleben schafft, das wir in der Fan Zone hatten, aber bis in die Heimat reicht. Das schaffen wir aber nur mit Mut, der Unterstützung unserer Partner und dem gemeinsamen Glauben, dass es gelingen kann.

Welche Gedankenspiele finden derzeit statt?

Wenn man diese Träume beschreibt, dann denken wir eher an ein Netz an Events, nicht an ein großes zentrales Public Viewing. Aber wer weiß: Vielleicht bringt der Weg auch noch eine Wende. Wichtig ist uns, dass die Begeisterung, das Erleben von 0 bis 99 Jahren im Fokus steht, dass der olympische/paralympische Gedanke weitergetragen wird und am Ende der Vereinssport davon profitiert.

Erleben Sie seit Paris größere Unterstützung?

Wir erfahren schon großen Respekt. Auch geben jetzt, da alles perfekt gelaufen ist und wir so ein Referenzprojekt haben, einige zu, dass sie zwischendurch auch mal Sorgen hatten, ob das alles so funktionieren wird. Aber genau dadurch haben wir noch mehr Vertrauen geschaffen und können auf viele Wegbegleiter zählen, die mit uns Ideen in die Umsetzung bringen. Was uns natürlich in die Parade fährt, ist die wirtschaftliche Situation in Deutschland. Die vielen Unwägbarkeiten sind für einige Unternehmen eine große Herausforderung.

Über welche Alternativformate denken Sie nach?

Es gibt verschiedene Konzepte und andere Nationale Olympische Komitees, die diese schon umsetzen. Da führen wir zum Beispiel Gespräche, hören uns verschiedene Ansätze an und loten aus, was passen könnte. Und irgendwann steht dann ein fertiges Konzept. Das ist auch schon angelaufen. Parallel stehen aber auch die Planungen für Mailand und Cortina 2026 an.

Olympia 2026: Deutsches Haus ist gefunden, Vertrag vor Finalisierung

Wie ist da der Stand der Dinge? Haben Sie schon ein Deutsches Haus gefunden?

Wir haben ein Haus gefunden und sind gerade bei der Finalisierung des Vertrages. Das wollen wir bis Ende Januar abschließen und dann auch kommunizieren. Es werden ja auch sehr besondere Spiele, weil sie dezentral organisiert sind und es fünf Austragungsorte gibt. Wir müssen da eine kommunikative Brücke schlagen und trotzdem einen gemeinsamen Treffpunkt schaffen. Es gibt keine Schablone.

Die nächsten Sommerspiele finden in Los Angeles statt: Hollywood, die Traumfabrik. Haben Sie sich schon einen Eindruck vor Ort verschaffen können?

Ja, ich war schon zweimal dort. Dabei habe ich wieder erlebt, was diesen Job so spannend macht: Wir arbeiten über einen längeren Zeitraum mit total unterschiedlichen Nationen zusammen. Man muss die jeweilige Kultur, den Habitus in Verhandlungen erst einmal kennenlernen. Wir hatten jetzt zweimal Spiele in Asien. Da saß ich einer Reihe von Männern in schwarzen Anzügen gegenüber und musste erstmal herausfinden, welche Antwort sie mir geben, wenn sie einmal tief atmen. Ist das jetzt ein Ja? Ein Nein? Das finde ich hochspannend, die Welt so kennenzulernen: sich von der Businessseite anderen Kulturen und Nationen anzunähern und sich dann richtig auf sie einzulassen.

Das Deutsche Haus soll auch ein Ort sein, an dem die Athleten sich wohl fühlen und gefeiert werden: Mit den Bronze-Gewinnerinnen der deutschen Sprint-Staffel funktionierte das reibungslos.
Das Deutsche Haus soll auch ein Ort sein, an dem die Athleten sich wohl fühlen und gefeiert werden: Mit den Bronze-Gewinnerinnen der deutschen Sprint-Staffel funktionierte das reibungslos. © Team Deutschland / Picture-Alliance | Team Deutschland / Picture-Alliance

Wie war dann der Kontrast zu den USA?

Dort geht alles unfassbar schnell. Oft haben wir uns eine Location angeschaut und hatten schon auf der Rückfahrt das fertige Angebot im Postfach – das hat bei anderen Austragungsorten schonmal bis zu einem halben Jahr gedauert. Gerade in LA sind sie durch die vielen Veranstaltungen rund um Hollywood mega professionell, sehr vom Verkauf geprägt, haben ein tiefes Event-Verständnis und bieten sehr viele unterschiedliche Möglichkeiten.

Wo stecken abgesehen von der großen Distanz zur Heimat die größten Herausforderungen?

Die Stadt und ihre Entfernungen finde ich sehr faszinierend. Es gibt zwar einen öffentlichen Nahverkehr mit Bussen, am schnellsten ist man allerdings ganz klar mit dem Auto. Da die Spiele aber komplett autofrei werden sollen, fragt man sich schon, wie sich das alles sortieren wird.

Wie werden Sie empfangen? Hat sich das Deutsche Haus von Paris rumgesprochen?

Zuletzt haben wir oft gemerkt, dass aktuell vor allem die Fußball-WM 2026 dort stark im Fokus steht. Oft wurde uns erzählt, dass gerade auch Gespräche mit der Fifa laufen. Aber Olympia hat in dieser Stadt aufgrund der historischen Verbindung mit den Spielen von 1984 natürlich eine besondere Faszination. Aber unser Paris-Konzept hat auch dort das eine oder andere Lob bekommen.

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Hollywood: Der Ort, wo Olympia-Träume wahr werden können

Erzählen Sie.

In einer Location hat uns ein Verantwortlicher für den Vertrieb empfangen, der ein Team-D-Shirt trug und uns ganz stolz seine Akkreditierung von der Fan Zone gezeigt hat. Er wusste, dass wir interessiert sind, und hat sich in Paris gedacht: Da schaue ich doch mal, was die Deutschen in ihrem Stadion so machen. Er war dann so begeistert, dass er sich im Shop erstmal mit der kompletten Garnitur an Merchandise eingedeckt hat. (lacht) Eine Kollegin von mir konnte sich tatsächlich erinnern, mit ihm ein Foto gemacht zu haben. Er hat uns dann in der Location gezeigt, wie sich das, was wir in Paris gemacht haben, auch ähnlich in LA umsetzen ließe. Das ist schon gigantisch, wenn sich unser Deutsches Haus so eingeprägt hat.

Um Träume wahrwerden zu lassen, ist Hollywood ja sicher der richtige Ort.

Diese Attitüde spürt man da auf jeden Fall. Man saugt diese ganze Atmosphäre, die positiven Schwingungen auf – und genau das sollen auch die Athlet*innen im Deutschen Haus spüren. Wir überlegen jetzt, wie wir das ganze California Dreaming ins Konzept übertragen. Es lohnt sich, zu träumen und Gedanken einfach auszusprechen, wenn sie einem an einem bestimmten Ort in den Kopf schießen.

Konzert und Sport: Das Konzept ging in der Fan Zone des Deutschen Hauses auf. Hier spielt die Band Revolverheld.
Konzert und Sport: Das Konzept ging in der Fan Zone des Deutschen Hauses auf. Hier spielt die Band Revolverheld. © Team Deutschland / Picture-Alliance | Team Deutschland / Picture-Alliance

Sie sind seit sechs Jahren DSM-Geschäftsführerin und als solche ständig auf der Suche nach dem perfekten Ort für die Entstehung großer Emotionen. Wie viel vom Sport bekommen Sie bei den Spielen dann eigentlich mit?

Bei den olympischen Wettbewerben sehe ich tatsächlich sehr wenig außerhalb des Hauses. Ich gucke zwar alle Übertragungen, bin aber selten live dabei. Das ändert sich dann bei den Paralympischen Spielen. Die sind eine Herzenssache von mir, da schaue ich ganz viel vor Ort und ziehe daraus sehr viel Motivation für den nächsten Olympia/Paralympics-Zyklus.

Kraftquelle Parlympische Spiele

Hatten es Ihnen die Paralympics schon immer angetan?

So richtig gepackt hat es mich bei meinen ersten Spielen in London 2012. Die Begeisterung hat mich gepackt und von da an nicht mehr losgelassen. Die Leistungen sind beeindruckend. Ich fühle da eine tiefe Verbundenheit zu dem Sport, zu den Menschen. Die Geschichten, die der Sport dort schreibt, sind so unfassbar faszinierend. Und ich sehe einen persönlichen Auftrag darin, sie den Menschen nahezubringen.

Inwiefern?

Das hört sich jetzt vielleicht sehr pathetisch an, aber London war für mich der Anstoß, auch in der Markenbildung das olympische und paralympische Team D auf Augenhöhe zu positionieren. Was seitdem passiert ist, mit welchem Selbstverständnis Kampagnen in beiden Umfeldern gleichberechtigt umgesetzt werden, wie wir eine gemeinsame Einkleidung für alle Athletinnen und Athleten eingeführt haben, wie alle zusammen Medaillen feiern – da bin ich schon sehr stolz, was wir erreicht haben und will noch so viel weiterkommen. Für mich sind diese paralympischen Momente eine Kraftquelle, sie geben mir die Extraportion Energie, um weitere Visionen zu entwickeln und umzusetzen.

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Sie kommen aus dem Ruhrgebiet, sind in Herten aufgewachsen. Welche Eigenschaften helfen Ihnen bei Ihren heutigen Aufgaben, die Sie im Revier mitbekommen haben?

Ich würde sagen, ein gesunder Pragmatismus. Dass man einfach anpacken muss, wenn man etwas erreichen will. Sich aber auch Begeisterungsfähigkeit und Humor zu bewahren, klare Kante zu zeigen und Dinge anzusprechen, die einen bewegen. Und vielleicht auch, dass man es über den eigenen Gartenzaun hinausbringen und trotzdem stolz auf seine Wurzeln sein kann. Ich habe eine tiefe Verbundenheit zu meiner Heimat. Das hat was mit der Mentalität zu tun – die habe ich bewahrt. So konnte das Mädchen aus dem Pott, das Olympia-Bücher verschlang und große Träume hatte, die Chance nutzen, diese nun tatsächlich in die Welt zu tragen.