Paris. Schwimmer Lukas Märtens holt in Paris die erste Goldmedaille für Deutschland. In einem Jahr, in dem das für ihn unwahrscheinlich wirkte.
Als die deutsche Fahne emporgezogen wurde und die Hymne erklang, wich die Coolness von Lukas Märtens. Er musste immer tiefer durchatmen, der ganze Körper bebte, die paar kräftige Schluchzer und sogar das eine oder andere Tränchen waren zu sehen. Die Emotionen ergriffen den Schwimmer, der vorher im Becken noch ganz gelassen zur Kenntnis genommen hatte, dass der nun Olympiasieger ist.
Damit gelang dem 22-Jährigen etwas sehr Besonderes. Es war die erste Medaille überhaupt für das gesamte deutsche Team bei den Spielen in Paris. Gleich am ersten Tag der Wettbewerbe beendete Märtens zudem eine lange Durststrecke für die deutschen Beckenschwimmer, die zuletzt 1988 einen Olympiasieg bei den Männern feiern konnten. „Es hat alles gekribbelt, da kommen einem so viele Gedanken, Gefühle und Personen in den Kopf. Das ist wunderschön“, sagte Märtens nach seinem grandiosen Rennen über 400 Meter Freistil.
Schwester Leonie Märtens weint auf der Tribüne
Von Beginn an hatte er die Konkurrenz dominiert, schwamm souverän und baute seinen Vorsprung aus. „Die letzten Meter taten ein bisschen weh, können sie auch“, so der Magdeburger, der sich in 3:41,78 Minuten vor dem zweitplatzierten Elijah Winnington aus Australien und dem Südkoreaner Kim Woomin durchsetzte. Oliver Klemet (Magdeburg) kam auf Rang sieben.
Nach dem Anschlag blieb Märtens erst ohne große Regungen, während seine Schwester Leonie, die im Vorlauf über 400 Meter Freistil gescheitert war, auf der Tribüne der La Defense Arena weinte. Tränen flossen ebenso bei Isabel Gose. „Er kann so stolz auf sich sein, hat es sich so verdient. Er macht im Training so krasse Sachen“, sagte Märtens‘ Ex-Freundin und Trainingspartnerin, die über die gleiche Strecke Fünfte wurde.
Imposante Atmosphäre im Pariser Rugby-Stadion
Märtens selbst musste erst einmal in seinem Kopf sortieren, was ihm da gelungen war. „Die letzten Jahre liefen schon phänomenal, und jetzt die Krönung in diesem wirklich sehr, sehr schwierigen Jahr“, erzählte er. „Da, wo es unmöglich scheint, ganz oben zu stehen, da ist es vielleicht am möglichsten.“
Schon am Vormittag im Vorlauf hatte der Magdeburger ordentlich aufgetrumpft, zog als Schnellster in das Finale ein. Ohne sich dabei voll zu verausgaben in der La Defense Arena. Das riesige Stadion schon bei den Vorläufen mit 17.000 Menschen voll besetzt zu sehen, beeindruckte den Athleten: „Da bin ich noch nichts Besseres gewohnt, außer im Fußballstadion.“
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Tatsächlich verwandelte das Publikum die Rugby-Arena, die ein verschließbares Dach besitzt, auch am Abend in einen Ort, der für Schwimmer eine ungewohnte Atmosphäre erzeugt. Es fühlte sich wirklich wie in einem Stadion an, wenn die Besucher raunten und die Schwimmer vorantrieben. Keinen aber so sehr wie Märtens: „Es war so geil, in diese Halle einzulaufen.“
Der hatte bereits vor seinem ersten Start angekündigt, Geschichte schreiben zu wollen. Lange musste Deutschland eine Abwärtsspirale als Schwimmnation im Becken aushalten. Erst mit Florian Wellbrock kehrten die Erfolge zurück. In seiner Welle aber reiften immer mehr junge Athleten, unter ihnen Märtens, der bei den jüngsten drei Weltmeisterschaften über 400 Meter Freistil bereits einmal Silber und zweimal Bronze gewann.
Nun gelang ihm der Sprung auf den Thron. Ganz souverän ging er mit seiner Rolle als Favorit um, die er spätestens seit dem außergewöhnlichen Rennen in Berlin im April mit einer Zeit (3:40,33 Minuten) sehr nah am Weltrekord von Paul Biedermann innehatte. Obwohl hinter ihm eine gesundheitliche Odyssee lag, die ihn mehrfach ausbremste. Immer wieder musste er sich Antibiotika-Behandlungen unterziehen. „Der Körper wird das in dieser Form wahrscheinlich nicht mehr lange mitmachen und deshalb muss es in jedem Fall angegangen werden“, so Märtens, der das nach Olympia tiefgründig untersuchen lassen will.
Die Medaille soll einen Schub auslösen für das Team
Einen Weg, damit umzugehen, hat er bereits gefunden. Die langen Strecken, die er immer im Programm hatte, erspart er sich nun. „Mein Körper hat sich da vielleicht ein bisschen gegen diese langen Strecken gestellt, auch gegen das Training. Ich habe das immer relativ gern gemacht, aber anscheinend war das zu viel für mich“, so der Magdeburger, der sehr schnellkräftig ist und gut auf Krafttraining reagiert. Damit hat er zuletzt viel für sich herausgeholt.
Vielleicht so viel, dass es für noch mehr reicht. Für ihn, für das Team. Sein großartiger Start bestätigt die Arbeit der deutschen Schwimmer und soll nun in Paris einen Schub auslösen für die Mannschaft des Deutschen Schwimm-Verbandes, die zuvor zuletzt im Becken 2008 durch Britta Steffen Gold verbuchen konnte. „Ich glaube, ich habe noch die eine oder eine andere Chance auf Edelmetall“, sagte Märtens, der schon am Montag über 200 Meter nachlegen will.