Paris/Essen. Sonja Greinacher hat mit dem 3x3-Team für eine Olympia-Sensation gesorgt. Über Emotionen und einen Triumph für den Frauensport.

Am Tag, als in Paris die Olympischen Spiele zu Ende gehen, ist Sonja Greinacher zu Besuch bei ihrer Familie in Essen. Mit dabei: ihre Goldmedaille. Die muss die Olympiasiegerin im 3x3-Basketball derzeit überall vorführen, jeder will sie mal anfassen. Das 500 Gramm schwere Souvenir aus der französischen Hauptstadt, in dem ein Stück Eiffelturm verarbeitet ist, steht wahrhaftig dafür, was der 32-Jährigen gemeinsam mit Svenja Brunckhorst (32), Marie Reichert (23) und Elisa Mevius (20) gelungen ist: die deutsche Olympia-Sensation und kein bisschen weniger.

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    Frau Greinacher, konnten Sie schon verarbeiten, was da in Paris passiert ist?

    Sonja Greinacher: Das fängt gerade so langsam an. Es hat echt ein paar Tage gedauert, an denen man gar nicht wusste, was los ist – aber langsam kommt es an.

    Sie sind nach einer schweren Qualifikation als krasser Außenseiter in das Olympische Turnier gestartet. Am Ende hing um Ihren Hals eine Goldmedaille. Nehmen Sie uns doch einmal mit auf diese Reise.

    Es ist einfach verrückt, wenn man so zurückdenkt. Wir haben 2021 dieses Projekt gestartet, um die Olympia-Quali zu schaffen. Das war das Hauptziel. Dafür sind wir damals alle nach Hannover gezogen, um am Stützpunkt gemeinsam dafür hart zu arbeiten und zu trainieren. Wir wussten, dass der Weg nach Paris schwer wird. Nur acht Mannschaften starten bei Olympia – in welchem anderen Mannschaftssport ist das schon so? Und dann ist es uns im Mai tatsächlich im zweiten Versuch gelungen.

    Doch dann ging es erst richtig los mit der Vorbereitung.

    Genau, die war dann auch ziemlich wechselhaft und geprägt von der schweren Verletzung von Luana Rodefeld. Dann habe ich mir drei Wochen vor dem ersten Spiel den Mittelhandknochen gebrochen. Das war kurz ein Schockmoment: Ich hatte noch nie irgendwas komplett gebrochen und wusste nicht, ob ich damit spielen kann.

    Sie haben mit einer gebrochenen Hand Olympiagold gewonnen?

    (lacht) Ja, für mich war einfach schnell klar: Das ist ein kleiner Knochen in der Hand, und es kann einfach nicht sein, dass er der Grund ist, warum ich nicht Olympia spielen kann. Das wäre schwierig gewesen. Ich hatte dann Gespräche mit Spezialisten, Handchirurgen, habe mich beraten lassen, dass eine Operation vorher keinen Sinn ergibt, weil es einfach zu kurzfristig gewesen wäre. Im Spiel ging es dann auch.

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    Mit was für einer Einstellung sind Sie in das Turnier gestartet?

    Wir haben uns gesagt: Wir haben als Außenseiter eine mega Rolle. Wir können einfach rausgehen, spielen und Bock haben. Uns war schon klar, dass wir Akzente setzen können. Wir sind einfach ein richtig gut eingespieltes Team. Wir dachten, wenn wir ein paar Spiele, in denen wir auf dem Papier schlechter sind, trotzdem gewinnen, vielleicht können wir dann im Mittelfeld richtig gut mitspielen. Ja, und dann haben wir uns einfach von Tag eins an in einen Rausch gespielt.

    Und Sie haben die ganze Bandbreite an Emotionen geliefert: In Rückstand geraten, ausgeglichen, in letzter Sekunde gewonnen. So eine Intensität erlebt man auch nicht alle Tage, oder?

    Nein, absolut nicht, da muss viel zusammenkommen. Dieser Wille, dieser Glaube an das eigene Können, die Fähigkeit, die Ruhe zu bewahren und dann halt voller Überzeugung die Dinger reinzumachen – mit dieser Kombination ist das jedes Mal wieder gelungen.

    Sie schlugen gleich zum Auftakt die USA, kurz darauf Kanada – zwei Schwergewichte. Was machen solche Siege mit einem?

    Bei den USA war es so, dass sie 2021 bei Olympia die Übermannschaft hatten, diesmal aber nicht mehr mit diesen Riesennamen angetreten sind. Ich hatte vorher schon so ein Gefühl, dass wir sie schlagen können, wenn wir früh auf sie treffen. Dann waren sie unser erster Gegner und es hat tatsächlich geklappt. Das hat dann einen riesigen Boost gegeben, aber für mich war das Spiel gegen Kanada viel wichtiger. Die sind in den letzten Jahren immer größer geworden, sie gewinnen fast immer auf de Welttour, wir hatten sie zuletzt 2021 geschlagen. Und dann kommen wir da so krass raus, drehen ein 1:7, gewinnen am Ende. Das war für mich das Spiel, bei dem ich dachte: Wenn wir das so gewinnen können, dann können wir hier wirklich jeden schlagen – und so kam es dann ja auch.

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    Nur gegen Australien war es einmal anders, da kassierten sie in der Schlusssekunde eine Niederlage. Warum hat das keinen Knacks gegeben?

    Es war ein wirklich enges Spiel, auch ein gutes, nur am Ende haben wir es in der Verteidigung etwas verschlafen. Es war aber nicht so, dass uns das Spiel wieder auf den Boden geholt hat. Zumal wir direkt am nächsten Morgen gegen Kanada spielen mussten. Wir hatten gar nicht die Gelegenheit, uns runterziehen zu lassen.

    Wie war das als Team zwischen den Spielen: Merkt man da, dass da was Großes passiert?

    Wir haben alle relativ schnell das Gefühl gehabt, dass der Vibe stimmt, wir gar nicht unbedingt einen Sahnetag brauchen, sondern einfach jede nur das abrufen muss, was sie kann. Auch unseren jüngeren Kolleginnen habe ich immer wieder gesagt, dass sie einfach ihr Ding machen sollen. Das hat allen unglaublich viel Vertrauen gegeben, dass alle wussten, sie müssen keinen Michael-Jordan-Tag haben, um hier zu überzeugen.

    Sonja Greinacher gegen Spanien im 3x3-Finale bei den Olympischen Spielen in Paris.
    Sonja Greinacher gegen Spanien im 3x3-Finale bei den Olympischen Spielen in Paris. © firo Sportphoto/dppi | Michael Baucher

    Sie und Svenja Brunckhorst sind die erfahrenen Spielerinnen im Team gewesen. War es dann auch Ihre Rolle, die beiden Jüngeren mitzuziehen, ihnen gut zuzureden?

    Ja, das denke ich schon. Aber es war auch super einfach mit den beiden. Wenn man ihnen etwas gesagt hat, dann haben sie einen in die Augen geguckt und gesagt: „Alles klar, mache ich so.“ Die haben einfach alles aufgesogen. Das war ganz entscheidend, denn es nützt nichts, wenn du zwei erfahrene Leute hast, aber die anderen beiden keinen Bock haben zu folgen.

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    Plötzlich standen Sie dann im Finale gegen Spanien. Können Sie sich überhaupt noch an irgendwas erinnern?

    An die Kulisse erinnere ich mich natürlich, an Momente aus dem Spiel eigentlich nicht. Ich habe hinterher einige Ausschnitte gesehen und gedacht: Ach, so war das. (lacht) Aber gerade dieses Frankreichspiel war einmalig. 6000 Leute im Stadion, 1000 drumherum. Eine unglaublich positive Atmosphäre. Das hat uns unglaublich gepusht und getragen. Selbst morgens war das Stadion ja voll. Es war schon ein Privileg, dort gespielt zu haben.

    Was ist in Ihnen vorgegangen, als die Schlusssirene erklang und Sie als Olympiasiegerin feststanden?

    Das war im ersten Moment einfach nur ein Schock. Da war irgendwie eine Leere, weil man gar nicht realisiert, was da gerade passiert ist. Im Halbfinale war das anders. Da sind wir alle zu Boden gesunken, weil es so anstrengend war und wir wussten: Wir haben jetzt auf jeden Fall eine Medaille sicher. Das war so krass emotional, wir hatten Tränen in den Augen. Im Finale war dann alles irgendwie unwirklich. Wir lagen so lange zurück. Dann war es vorbei, wir mit einem Punkt vorne. Da realisierst du erstmal gar nicht, dass du jetzt Olympiasiegerin bist.

    Sie haben eine Sensation, wenn nicht die größte dieser Spiele aus deutscher Sicht geschafft. Wie haben Sie die Tage danach erlebt?

    Ich hätte niemals erwartet oder mir vorstellen können, was für Wellen so eine olympische Goldmedaille schlägt. Man hat das natürlich schon oft bei anderen Sportlern erlebt, aber es ist einfach krass, wenn man dann selbst drinsteckt. Die ganzen Medientermine, der Empfang im deutschen Haus, überall Fotos, Autogramme – einfach überwältigend. Das war auf jeden Fall keine von uns gewöhnt. Es war aber unglaublich schön, diesen Erfolg mit so vielen Leuten teilen zu können. Und diese Euphorie zu spüren – das war unbeschreiblich schön.

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    Welche Gedanken hat man dann selbst im Kopf?

    Diese Olympischen Spiele waren so emotional und irgendwann wird einem dann klar: Krass, hier sind so viele tolle deutsche Athletinnen und Athleten im deutschen Team. Von denen so viel Zuspruch zu bekommen und zu erleben, wie man sie emotional bewegt hat – das macht einfach nur stolz.

    Das Postfach ist wahrscheinlich auch vollgelaufen mit Gratulationen.

    Ja, zum Glück waren meine Familie und Freunde vor Ort. Als wir nachts um halb zwei mit allem durch war, war es super schön, dass mit ihnen zu feiern. Dann ging das los mit den Nachrichten – ich wurde überflutet. Egal, ob das Kolleginnen aus meinem Team in Polen waren, ehemalige College- oder mein Jugendtrainer waren – das waren alles sehr emotionale Nachrichten, die mich wirklich sehr berührt haben. Sie hatten ja auch alle ihren Anteil an meinem Weg.

    Wenn Sie zurückschauen auf Ihre Karriere: Angefangen in Essen, Bundesliga-Debüt für Oberhausen, gespielt in Herne, eine paar Jahre am College. Hätten Sie jemals gedacht, dass Sie einmal Olympiasiegerin werden?

    Nein, niemals, wirklich niemals! Olympia hatte ich wirklich sehr, sehr lange nicht auf dem Schirm, weil wir mit dem Fünf-gegen-fünf-Team ja auch meilenweit davon entfernt waren. Aber die Faszination war natürlich immer da. Als dann das 3x3-Projekt gestartet wurde, wurde der Traum dann konkreter – und eine Teilnahme realistischer. Ich wollte es dann unbedingt zu den Spielen schaffen, ich wollte Olympionikin werden. Aber eine Goldmedaille? Das hätte ich nie zu träumen gewagt.

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    Was ist diese Medaille denn jetzt wert?

    Für mich persönlich ist sie die Krönung am Ende meiner Karriere. Aber ich finde es Wahnsinn, was sie für Elisa und Marie bedeutet. Sie können jetzt den ganzen Schwung fürs 3x3 mitnehmen. Nicht nur wegen unseres Erfolgs, sondern auch weil es so extrem gut ankam. Unheimlich viele Leute haben das verfolgt. Ich glaube, das wird der Disziplin einen riesigen Push geben. Das war immer meine Hoffnung. Für mich ist es die schönste Sportart – und hoffentlich bleibt sie noch lange olympisch.

    Glücksbringer: Dirk Nowitzki feiert mit die Goldmedaillengewinnerinnen Svenja Brunckhorst, Marie Reichert, Sonja Greinacher und Elisa Mevius (von links).
    Glücksbringer: Dirk Nowitzki feiert mit die Goldmedaillengewinnerinnen Svenja Brunckhorst, Marie Reichert, Sonja Greinacher und Elisa Mevius (von links). © dpa | Maximilian Specht

    Nun haben Sie nicht nur ein Signal für 3x3, sondern auch für Frauenbasketball gesetzt.

    Absolut. Ich bin mega stolz darauf, dass wir als Frauenteam die erste olympische Medaille für Deutschland im Basketball gewonnen haben. Es ist super lange nicht anerkannt worden und es ist auch immer noch nicht so weit, wie es sein sollte. Dabei ist der Trend doch klar: Es waren die ersten Spiele, bei denen gleich viele Männer wie Frauen angetreten sind. So sollte es doch sein. Es ist unglaublich schön, jetzt mal so viele erfolgreiche Sportlerinnen in den Medien zu sehen, weil wir genauso hart trainieren wie die Männer. Über finanzielle Anerkennung möchte ich jetzt gar nicht sprechen, aber allein, dass man gesehen hat, dass die Leute zuschauen, ist schon ein Erfolg. Ich glaube, das Finale haben sieben Millionen Menschen gesehen. Wir haben bewiesen, dass Frauenbasketball kein Stück weniger spannend oder attraktiv ist als der der Männer.

    Im deutschen Team gab es viele Frauen, die für Furore gesorgt haben: Dressurreiterin Isabell Werth wurde Rekordolympionikin, Darja Varfolomeev gewann das erste Gold in der Rhythmischen Sportgymnastik, Kugelstoßerin Yemisi Ogunleye gewann Überraschungsgold – und Tennis-Star Angelique Kerber legte einen beeindruckenden letzten Tanz hin. Kein schlechter Auftritt.

    Ja, absolut, es sind alles Powerfrauen. Sie verdienen diese Wertschätzung. Wir vertreten im Basketball zudem eine Spate, in der wir genauso erfolgreich sein können wie die Männer. Das gilt ja auch in vielen Berufen, was aber längst nicht in allen Köpfen angekommen ist. Wenn wir dieses Bewusstsein pushen können, dann ist das ein Erfolg.

    Olympia: Der Triumph der besten Freundinnen Brunckhorst und Greinacher

    Für Sie und Svenja Brunckhorst geht die Karriere zu Ende. Sie sind beste Freundinnen – was bedeutet es Ihnen, diesen Erfolg miteinander geteilt zu haben?

    Ja, wir haben unsere ganze Karriere zusammen verbracht, sind schon lange sehr, sehr gut befreundet. Als wir uns mit 3x3 und Fünf-gegen-fünf für die Spiele qualifiziert hatten, haben wir uns natürlich zuerst gefreut. Doch die Tage danach waren sehr schwierig. Ich war mir sicher, dass Svenja sich für Fünf-gegen-fünf entscheiden wird. Wir haben in den Tagen ziemlich viel geheult. Diese Vorstellung, dass wir Olympia nicht zusammenspielen und genießen können, war für mich so super, super traurig. Sie hat sich dann – zumindest sagt sie das – auch teilweise wegen mir für 3x3 entschieden. Dass das jetzt so aufgegangen ist, dass das die richtige Entscheidung für uns beide war und dass wir jetzt zusammen da mit der Goldmedaille rauskommen – das ist der Wahnsinn!

    Man spürt, dass das noch viele Emotionen sind.

    (lacht) Definitiv, ja.

    Sonja Greinacher: Was die Zukunft bringt, steht noch nicht fest

    Wie weit geht ihr Blick denn dann jetzt schon nach vorne – können Sie die Medaille auch noch für sich persönlich vergolden?

    Das ist noch ein bisschen ungewiss. Ich bin körperlich sehr angeschlagen – mit meiner Hand, aber auch die Knie machen Probleme. Ich bin daher mit meinen Trainern in Gesprächen, wie es weitergeht, welche Turniere ich noch spielen werde.

    Ihre Karriere befindet sich auf der Zielgeraden: Was stellen Sie sich denn für Ihre Zukunft vor?

    Ich habe klinische Psychologie studiert und werde auf jeden Fall auch die Ausbildung zur Psychotherapeutin beginnen. Ich bin aber auch in Gesprächen mit dem Verband, um dem Sport weiter erhalten bleiben zu können. Ich würde gerne den Frauenbasketball weiter unterstützen.

    Hat Ihnen Ihr Studium, der Blick über den Tellerrand in Ihrer Karriere geholfen?

    Ich glaube schon. Zwar bin ich nicht in dem sportpsychologischen Bereich ausgebildet, aber natürlich kennt man ein paar Techniken. Was mir aber immer am meisten geholfen hat, war die Arbeit in Praktika, wenn man in den Kliniken viele tragische Geschichten erfährt. Dieser Perspektivwechsel war mir sehr wichtig. Das hilft einem, die Dinge besser einordnen zu können. Man lernt, dass es weitaus Schlimmeres im Leben gibt, als ein Basketballspiel zu verlieren – egal auf welcher Bühne.

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