Stuttgart. Der Traum vom Titel im eigenen Land ist geplatzt. Deutschland unterliegt Spanien auf denkbar bitterste Weise mit 1:2.

Toni Kroos versuchte bei seiner Runde durch das Stuttgarter Stadion die Contenance zu wahren. Ilkay Gündogan sprach dem 34-Jährigen Trost zu, auch Spaniens Torwart Unai Simon versuchte den deutschen Nationalspieler aufzumuntern, doch das gelang ihm genauso wenig wie den Fans. Weder denen, die der DFB-Elf die Daumen drückten, die Toni-Kroos-Sprechchöre ansetzten. Noch den Anhängern der Furia Roja, die dem deutschen Spielermacher, der viele Jahre Pässe für Real Madrid spielte, huldigten.

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    Toni Kroos, Weltmeister 2014, sechsmaliger Champions-League-Sieger und angetreten, seine Karriere mit dem EM-Titel zu vollenden, muss nun auf denkbar bittere Art und Weise abtreten. Deutschland ist beim Turnier im eigenen Land in einem dramatischen Viertelfinale an Spanien gescheitert, 1:2 hieß es nach Verlängerung. Nur wenige Minuten, bevor Kroos mit leerem Blick über den Stuttgarter Rasen trottete, hatte Dani Olmo aus dem Halbfeld geflankt, hatte sich Mikel Merino im Sechzehner in die Luft geschraubt – und unhaltbar für Manuel Neuer in die linke Ecke des Tores geköpft. Das Sommermärchen endete in der 119. Minute einer denkwürdigen Partie, bevor es so richtig beginnen konnte. „Unsere Mannschaft“, sagte Bundeskanzler Olaf Scholz, „ist erhobenen Hauptes aus dem Turnier ausgeschieden.“

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    „Es war ein Spiel, in das wir alle alles reingelegt haben“, meinte Kroos. „Wir waren ganz nah dran, umso bitterer ist es.“ Denn alle, Spanier wie Deutsche, hatten sich schon auf ein Elfmeterschießen um den Halbfinal-Einzug vorbereitet. Es wäre die Krönung eines Nervenkitzels geworden, hatte die Partie doch eine besondere Dramaturgie. Lange sah es aus, als würden die Spanier in der regulären Spielzeit weiterkommen. Dani Olmo brachte die Iberer in der 52. Minute in Führung. Deutschland warf alles nach vorne, kurz vor Ende Spiels bescherte der eingewechselte Florian Wirtz (89.) mit dem Ausgleich einen Gänsehaut-Moment.

    Spaniens Held: Mikel Merino.
    Spaniens Held: Mikel Merino. © AFP | Tobias Schwarz

    Doch dieses Gefühl währte nicht mal eine Stunde. In den 30 Verlängerungs-Minuten hatten beide Teams gute Chancen, den Deutschen fehlte auch ein wenig die Kaltschnäuzigkeit, um Spanien aus dem Wettbewerb zu werfen. „Wir hatten alle ein großes Ziel“, meinte Kroos. „Dieser Traum ist ein Stück weit geplatzt. In den nächsten Tagen werden wir realisieren, dass wir ein gutes Turnier gespielt haben. Wenn man so nah dran ist, ist es bitter.“

    Was bleibt von der EM? Eine klare Verbesserung nach drei schlechten bis desaströsen Turniere. „Wir können alle stolz sein, weil wir alle eine Schippe draufgelegt haben“, so Kroos. „Ich bin froh, dass ich dazu beitragen könnte, dass wir alle wieder den Anspruch und die Hoffnung haben, weiterzukommen.“ Nun muss Bundestrainer Julian Nagelsmann ohne den Chefstrategen ein schlagkräftiges Team für die Weltmeisterschaft in zwei Jahren aufbauen.

    +++ Deutsche Mannschaft ist auf einem guten Weg +++

    Schon weit vor dem ultimativen Nervenkitzel kribbelte es nicht nur in Stuttgart, sondern im gesamten Land. „Es ist Gott sei Dank ein 18-Uhr-Spiel, nicht 21 Uhr. Ich bin angespannt, aber nicht nervös“, sagte Nagelsmann, der überraschend Emre Can anstelle von Robert Andrich aufbot und erneut David Raum und Leroy Sané für Maximilian Mittelstädt und Florian Wirtz in die Startelf beorderte. Jonathan Tah kehrte zudem nach Gelb-Sperre in die Innenverteidigung zurück.

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    Gefragt war in der ersten Halbzeit eher Intensität statt Feingeist. Kroos langte gleich mehrfach im Zentrum zu, ohne Gelb zu sehen. Sein Foul an Pedri allerdings hatte Folgen für den spanischen Spielmacher des FC Barcelona, der nach sieben Minuten ausgewechselt werden musste – wohl dem, der in so einer Situation Olmo von der Bank bringen kann. Antonio Rüdiger warf seinen Körper in den Schuss Olmos und sah von Schiedsrichter Anthony Taylor, der bis dahin eine Laissez-faire-Strategie pflegte, die erste Verwarnung.

    Fußball gespielt wurde auch, meist von den Spaniern, die bis zur Pause acht Torschüsse abgaben, die Deutschen nur drei. Nagelsmanns Team fehlte Präzision, es beging zwar keine großen Fehler, aber dafür zu viele kleine. Fünf Minuten nach der Pause wurde die deutsche Abwehr geknackt. Raum ließ Yamal zum ersten Mal gewähren, Olmo spurtete aus dem Rückraum in der Mitte hinterher – und setzte die Hereingabe platziert zum 1:0 ins linke Eck.

    Ein Schock für die deutsche Elf, der zweite Rückstand im Turnierverlauf nach dem Gruppenfinale gegen die Schweiz. Konnte Deutschland wie vor zwei Wochen in Frankfurt kontern? Last-Minute-Held Niclas Füllkrug kam in die Partie, die Fans waren nun voll da. Chancen kamen erst spät, aber sie kamen: Füllkrug traf den Pfosten (77.), Havertz lupfte auf das Tordach (86.). Dann schoss Wirtz den Ball in die lange Ecke (89.). Der EM-Traum, der schon geplatzt schien, lebte wieder. Zumindest vorerst. In der Verlängerung noch einmal Aufregung, als Jamal Musialas Schuss im Strafraum an Marc Cucurellas Arm klatschte (106.). Kein Elfmeter, entschied Taylor, die Deutschen protestierten vehement, der Video-Assistent hatte keine Einwände. Und so konnte wenig später Merino springen, köpfen – und jubeln.

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