Duisburg. In der Vorbereitung auf den Halbmarathon ist unserem Laufblogger fast jedes Mittel recht. Nun hat er sich in der Kältekammer schockfrosten lassen.
Nicht mal mehr eine Woche bis zum Rhein-Ruhr-Marathon, bei dem ich über die halbe Distanz auf die Strecke gehen will. Allerdings steckte bis Anfang vergangener Woche noch der Vivawest-Marathon in meinen Beinen. Da ich die aber nun mal in frischem Zustand benötige, um in Duisburg eine akzeptable Zeit hinzulegen, muss ich die Balance zwischen Regeneration und Training finden. Da kam mir die Anzeige des St.-Johannes-Krankenhauses in Duisburg-Hamborn gerade recht: Dort steht eine Kältekammer, in der eigentlich Rheuma-Patienten bei minus 85 Grad behandelt werden. Doch auch Sportler sollen von der Kälte-Therapie profitieren. Das klang zu verlockend, um es nicht auszuprobieren.
Bei der Terminabsprache gibt mir Florian Männel, therapeutischer Leiter der Duisburger Helios-Kliniken, einen Tipp: "Absolvieren Sie am Abend vorher eine harte Trainingseinheit, damit die Muskeln richtig erschöpft sind." Gesagt - getan. Für Donnerstagabend schreibe ich mir einen Tempodauerlauf in den Kalender. Ziel: Zehn Kilometer mit einer Pace deutlichst unter sechs Minuten laufen, eher zwischen 5 und 5:20 Minuten. Das gelingt mir, nur der neunte Teilabschnitt gerät mit 6:08 Minuten zum Ausreißer. Aber das primäre Ziel habe ich erreicht: Die Beine brennen.
Mit müden Muskeln fahre ich nach Duisburg und frage mich, was mich wohl erwarten wird. Ich mag ja grundsätzlich Kälte und laufe auch gerne, wenn es kalt ist. Mein Wohlfühlbereich liegt bei minus zehn bis plus zehn Grad. Aber minus 85, noch dazu mit freiem Oberkörper? Irgendwie unvorstellbar.
Mit freiem Oberkörper bei minus 85 Grad
Die Kältekammer selbst sieht aus wie ein Mischung aus Sauna und Kühlschrank. Ich ziehe mich um und mache mich nur noch mit Socken, Schuhen, Handschuhen, kurzer Hose, Mundschutz und Mütze bekleidet bereit für den dreiminütigen Aufenthalt in der Kammer. Männel gibt letzte Anweisungen. In der Kammer soll ich mich bewegen, zum Beispiel auf der Stelle treten. Ab und an werde er Schilder hochhalten, um mir die Restdauer anzuzeigen. Sollte mir zu kalt werden, soll ich einfach die Tür öffnen und rausgehen. Der Therapeut öffnet die Tür, kalte Luft strömt heraus. Ohne groß nachzudenken, gehe ich hinein. Ein spitzes "Waaaah!" fährt aus meinen Mund. Die Kälte hüllt meinen Oberkörper ein. Aber ich friere nicht. Ich beginne, meine Beine zu bewegen und merke, wie der Körper innen heizt, um sich gegen die Kälte zur Wehr zu setzen.
Die erste Minute vergeht schnell. Ich trete mal langsamer, mal schneller auf der Stelle. Durch meine Körperwärme entsteht Feuchtigkeit in der Kammer, die als Schnee auf mich herabrieselt. Mein Oberkörper ist bald mit feinen, weißen Flöckchen bedeckt. Männel zeigt ein Schild: eine Minute noch. Weiter trampeln. Jetzt wird es doch kalt. Noch 30 Sekunden. Allmählich frieren meine Fingerspitzen. Ich freue mich auf den Moment, an dem ich die Tür öffnen werde und zähle die Sekunden runter. Drei, zwei, eins - Tür auf.
Sofort schießt Blut in meine Haut und in meine Muskeln. Es wird warm, ich habe das Gefühl, ich würde glühen. Die Kälte weicht mit einem Schlag einer wohligen Wärme. Ich ziehe mich wieder an. Die Muskeln sind aber immer noch müde.
Was bewirkt die Kältekammer im Körper?
Die schlagartig einsetzende Wärme ist der eigentliche Zweck der Kältekammer. Florian Männel erklärt: "In der Kältekammer ziehen sich die Blutgefäße zusammen, weil sich der Körper vorm Auskühlen schützen will." Denn dem Körper sind die inneren Organe im Zweifel wichtiger als Finger oder Zehen. Doch sobald der Patient wieder ins Warme tritt, öffnet der Körper die Schleusen. Die Blutgefäße weiten sich, Wärme breitet sich in den Muskeln aus. "Die Durchblutung steigt sprunghaft an", erklärt der gelernte Physiotherapeut. "Dadurch werden Schadstoffe aus den Muskeln gespült", fährt er fort. Insbesondere bei Entzündungen helfe das dem Körper. Darum sei die Therapie in der Kältekammer so gut für Rheuma-Patienten geeignet: "Die leiden quasi an einer Ganzkörperentzünung", so Männel.
Per Mertesacker und die Eistonne
Für Sportler ist die Kammer interessant, weil durch die starke Durchblutung nach dem Aufenthalt, Laktat aus den Muskeln gespült wird. Außerdem versorgt das Blut die durch das Training ermüdeten oder gar beschädigten Muskeln mit Nährstoffen. Durch den Kälteschock werden außerdem Stoffwechselprozesse im Muskel gestoppt, bei denen der Körper Gefahr läuft, an die eigene Substanz zu gehen und Muskelmasse abzubauen. Das ist auch der Grund, warum Per Mertesacker nach seinem legendären WM-Interview erst einmal "in die Eistonne" wollte. Nach starker Belastung ist es hilfreich, die Muskeln erst einmal zu kühlen und sie dann im Entmüdungsbecken oder unter der Dusche wieder aufzuwärmen.
Nicht nur zur Regeneration, sondern auch im Training soll die Kälte helfen. Männel empfiehlt die Anwendung unmittelbar vor Trainingseinheiten, in denen die Schnellkraft verbessert werden muss, also etwa vor Intervallen oder Übungen mit Gewichten.
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Theoretisch könnte man die Kältekammer auch zu Hause imitieren und sich nach dem Sport in eine mit Crushed Ice gefüllte Badewanne legen - analog zur Mertesackerschen Eistonne. Denn, so erklärt Männel, noch ist gar nicht klar, bei welcher Temperatur der beste Effekt erreicht wird. Die meisten Kältekammern arbeiten bei minus 85 Grad. "Das wurde so festgelegt", sagt Männel. Es gebe allerdings auch Versuche mit kälteren Modellen.
Fazit: Die Muskeln sind nicht mehr müde
Bleibt die Frage, ob der Aufenthalt in der Kältekammer bei mir etwas gebracht hat. Ganz klar: Ja. Denn nach dem Besuch in der Kammer folgte ein anstrengendes Wochenende mit einem 24-Stunden-Trip im Sonderzug zum Pokalfinale nach Berlin, inklusive sehr wenig Schlaf auf einer unbequemen Liegewagen-Pritsche. Entsprechend gerädert fühlen sich mein Geist und mein Körper - nur meinen Beinen geht's gut.