Gelsenkirchen. Die Finisher-Medaille baumelt am Hals unseres Laufbloggers. Er hat den Vivawest-Marathon erfolgreich hinter sich gebracht. Ein persönliches Fazit.

Es ist vollbracht! Ich habe meinen vierten Marathon gefinished – und das mehr oder weniger ohne richtige Vorbereitung. Dennoch habe ich den Vivawest-Marathon in Angriff genommen und bin heil ins Ziel gekommen. Die Zeit von 4:31:37 Stunden ist nebensächlich. Das geht natürlich deutlich schneller.

Am Start waren die Bedingungen perfekt. Es war nicht zu warm und nicht zu kalt. Auch die Organisatoren hatten sich ins Zeug gelegt und beste Voraussetzungen für einen schönen Marathon geschaffen. Dazu noch die Ankündigung, der Lauf führe durch das Herz des Reviers – dann kann ja nichts schief gehen.

Gute Stimmung am Weltkulturerbe Zollverein

Zunächst stimmte das auch. Vom Start näherten sich die rund 1000 Marathonis sehr bald der Essener Stadtgrenze und dem Weltkulturerbe Zeche Zollverein. Die kannte ich noch vom Herz-Kreislauf, nur dass der Kurs diesmal in entgegengesetzter Richtung über das Gelände führte. Hier war auch die Stimmung hervorragend, das Ambiente tat sein Übriges.

Doch speziell in Bezug auf die Stimmung an der Strecke muss ich Wasser in den Wein gießen. Über weite Strecken entpuppte sich das „Herz des Reviers“ als menschenleere Knüste. Natürlich ist das Ruhrgebiet nicht das städtebauliche Highlight Deutschlands. Aber muss ein Marathon wirklich Kilometer um Kilometer durch öde Industrie- und Gewerbegebiete führen? Stimmung war eigentlich immer nur dort, wo auch ohne Marathon etwas los ist – oder an den Wechselpunkten der Staffeln sowie dort, wo andere Läufe im Rahmen des Vivawest-Marathons ihren Startpunkt hatten.

Am besten war die Atmosphäre an der Essener Rathaus-Galerie, durch die der Läufer-Tross geführt wurde. Hier fand parallel der Essener Citylauf statt, und so standen Massen am Streckenrand und heizten uns Läufern ordentlich ein.

Anfeuerung an der Essener Rathaus-Galerie

Ausgerechnet an der Rathaus-Galerie kam mir der Stimmungsschub eher ungelegen. Dafür können aber die Organisatoren des Laufs nun wirklich nichts. Hintergrund ist mein Plan, beim Vivawest-Marathon nach der Galloway-Methode zu laufen, die ich so abwandelte, dass ich jeweils drei Kilometer laufen und dann eine Minute gehen wollte. Die Drei-Kilometer-Etappen hatte ich gewählt, weil in diesem Abstand die Verpflegungsstände am Streckenrand postiert waren. Tja, und ausgerechnet am Stimmungs-Höhepunkt Rathaus-Galerie hätte ich eine Gehpause machen sollen. Ich wollte aber den Schwung des Publikums mitnehmen und ließ mich antreiben. Die Gehpause verlegte ich um einen Kilometer.

Hatte Galloway bis dahin sehr gut funktioniert, war ich ab jetzt irgendwie aus dem Tritt, fand ihn aber schnell wieder. Den nächsten Verpflegungsstand nutzte ich wieder für eine Gehpause. Das klappte bis zur Halbmarathonmarke eigentlich ganz gut. Allerdings merkte ich allmählich, dass ich das Rennen viel zu schnell angegangen war. Zu allem Überfluss kam auch noch die Sonne raus.

Zermürbendes Laufen in industrieller Einöde

Den letzten Rest gaben mir aber die endlos erscheinenden Passagen auf dem groben und damit unangenehm zu laufenden Asphalt verschiedener Essener Gewerbegebiete. Wenn am Straßenrand die Stimmung brodelt und die Zuschauer sich sogar die Mühe machen, nach dem Namen unter der Startnummer zu schauen und so ihre Anfeuerungsrufe persönlich an die einzelnen Läufer richten, gibt das richtig Auftrieb. Da finden sich plötzlich immer noch ein paar Körnchen in den Muskeln. Das glatte Gegenteil haben die zuschauer- und stimmungslosen Abschnitte im Niemandsland zwischen Essen und Bottrop bei mir bewirkt.

Da muss der Veranstalter ran und unbedingt eine andere Streckenführung finden und nach stimmungsvolleren Ecken suchen. In der Bahn zurück zum Parkplatz konnte ich auch einige Teilnehmer belauschen, die sich über diese schwierigen und zermürbenden Passagen beschwerten.

Schade ist auch, dass die Bewohner der vielen Wohngebiete, durch die der Marathon zurecht führt, nicht überall gewillt waren, die Läufer anzufeuern. Das kann ich allerdings verstehen. Ich glaube, als Nichtläufer würde ich mir auch keine verschwitzten, wildfremden Menschen ansehen, die noch dazu ab Kilometer 25 keinen wahnsinnig ästhetischen Eindruck mehr machen. Vielleicht muss der Vivawest-Marathon sich erst noch in den Köpfen der Menschen festsetzen.

Stimmungsorkan in Gladbeck gab Rückenwind

Am Start des Zehners in Gladbeck peitschte uns wieder ein Stimmungsorkan nach vorne. Das war bei Marathon-Kilometer 32, als meine Beine schon längst nicht mehr konnten und ich die Galloway-Methode ins Gegenteil verkehrt hatte: Geh-Passagen wurden durch kurze Laufintervalle aufgelockert. Glücklicherweise hatte sich ein Mitläufer zu mir gesellt. Mein herzlicher Dank gilt Patrick aus Hattingen, mit dem ich ab ungefähr Kilometer 25 gehen, laufen und plaudern konnte. Gute Stimmung gab es dann noch einmal am Nordsternpark. Die wurde allerdings durch das dort verlegte Kopfsteinpflaster getrübt. Das gehört wahrlich nicht zu dem, was sich ein Marathonläufer wünscht, wenn er schon rund 35 Kilometer harten Asphalt unter den Füßen hatte.

Beim Laufen suche ich mir gerne einen Tunnel und versuche, nicht allzu viel von der Umgebung mitzubekommen. Vor allem, wenn die Beine schmerzen und sich die Füße einfach nur platt anfühlen. Diesen Tunnel fand ich erst rund vier Kilometer vor dem Ziel. Plötzlich liefen meine Beine von alleine. Endlich! Ich tappte mit relativ schnellem Schritt Richtung Ziel, musste allerdings an einem kleinen, fiesen Anstieg kurz vor der Zielgeraden noch einmal eine Gehpassage einbauen. Doch es lief wieder bei mir - soweit man zu diesem fortgeschrittenen Zeitpunkt noch von "laufen" sprechen kann.

Kleine Dosis Endorphin als Belohnung

42 Kilometer lang hatte ich mich gefragt, warum ich mir das antue – auf den letzten 195 Metern wusste ich es dann wieder. Es ist einfach ein wahnsinniges Gefühl, durch dieses Spalier jubelnder Menschen zu laufen, zu spüren, dass der Körper plötzlich noch irgendwo Reserven gefunden hat. Das ist dieser kleine Endorphinschub, für den sich die Plackerei dann doch gelohnt hat.

Die Quittung bekomme ich beim Schreiben dieser Zeilen. Die Muskeln wollen endlich Ruhe und Nahrung. Beides sollen sie jetzt bekommen. Morgen habe ich Physio. Die Praxis liegt im dritten Stock. Vermutlich nehme ich den Aufzug.