Sotschi.. Bis zu 3000 Fans verwandeln die Curling-Halle in Sotschi regelmäßig in ein Tollhaus. Mit dabei auch das deutsche Team um Skip Johnny Jahr, das im Gegensatz zu den Konkurrenten nicht aus Vollprofis besteht. Doch auch sie haben ihre Ernährung umgestellt, denn beim Curling muss man fit sein.
Es ist laut im Eiswürfel, wie die olympische Curling-Halle in Sotschi genannt wird. Gut 2000 der 3000 Plätze sind meist besetzt, wenn acht Mannschaften gleichzeitig auf den vier weißen Bahnen auf himmelblauem Grund Schach auf dem Eis spielen. Curling ist ein Sport mit Raffinesse, ein Strategiespiel höchster Qualität. Hier gewinnt, wer sportlich topfit ist und das Spiel mit den 19,1 Kilo schweren Steinen bis in die kleinste Kleinigkeit versteht.
Von der Tribüne aus sieht es für Curling-Anfänger ein wenig wie auf einer Bowling-Bahn aus. Aber hier sitzen fast nur Experten. Hier wird geschrien und gejubelt, wenn Granit auf Granit klickt, wenn erwachsene Männer mit Schrubbern über das Eis fegen, wenn sie auf ihren Spezialschuhen blitzschnell über das Eis schlittern, ohne aus dem Gleichgewicht zu geraten. „Eine Wahnsinnsstimmung. So etwas habe ich noch nicht erlebt, und ich habe in meinem Curling-Leben schon in vielen Arenen gespielt“, sagt Johnny Jahr, der Chef im deutschen Team. „Ich verstehe oft mein eigenes Wort nicht.“ Jahr führt als Boss, als Skip, seine Hamburger Jungs an. So sehr sie sich bisher auch mühten, so schwer sie es ihren Gegnern bisher machten: Nach vier Spielen haben sie noch keinen Sieg auf ihrem Konto. Die Chancen auf das Erreichen des Halbfinals sind nur noch theoretischer Natur, aber in den verbleibenden fünf Partien wollen sie alles geben. So wie am Freitag erst gegen die USA und dann gegen Europameister Schweiz.
Alle Nationen außer Deutschland sind mit Vollprofis am Start
Die Hamburger sind als Nordlichter nicht nur die Exoten der deutschen Mannschaft. Auch im olympischen Curling-Turnier sind sie extravagant. Schließlich führen sie noch ein normales Leben abseits von Granitsteinen und Eiswischern. Alle anderen Nationen sind mit Vollprofis am Start. Anders als in Deutschland genießen Curler beispielsweise in Kanada oder England eine große Popularität.
Auch interessant
Aber in den vergangenen Wochen haben sich auch die Deutschen Christopher Bartsch (34), Felix Schulze (33), Peter Rickmers (34), Sven Goldemann (44) und Skip Jahr (48) unter professionellen Bedingungen vorbereitet. Der Curling-Verband hat ihnen einen Ernährungsberater, einen Physiotherapeuten und einen Mentalcoach zur Seite stellte. Früher haben sie sich nach den Spielen spätabends noch den Magen vollgestopft, heute tut es ein frischer Salat. Zweimal drei Stunden stehen sie an einigen olympischen Tagen auf dem Eis. Und auch wenn es auf den ersten Blick anders aussieht: Beim Curlen muss man fit sein. Wenn die Wischer mit ihrem Besen den Lauf der Steine entscheidend zu beeinflussen suchen, geht der Puls locker über 180 hoch. Kurz darauf müssen sie mit ruhiger Hand wieder einen Stein setzen. Das ist eine abwechselnde Belastung wie beim Biathlon, wenn man aus vollem Lauf an den Schießstand kommt.
Rituale des Überlegens
Nur Johnny Jahr ist vom Wischen befreit. Die Aufgabe des Skips ist es, seine Steine exakt zu setzen und dann mit Kommandos seine Jungs zu den richtigen Aktionen zu führen. Immer wieder fährt er sich mit seinen Händen durch das lange blonde Haar, zieht die Handschuhe aus. Rituale des Überlegens. Dann hebt er den Arm, winkt mit den Händen, um die Richtung der Steine vorzugeben. Manchmal schreit er auch, obwohl die Rufe meist vom Lärmpegel der Zuschauer verschluckt werden.
Johnny Jahr ist der nicht gerade arme Enkel des gleichnamigen Verlegers von Gruner + Jahr. Er hält Anteile des Milliarden-Unternehmens, ist Gesellschafter der Spielkasinos in Hamburg und Wiesbaden und hat auch noch eine Immobilienfirma gegründet. Doch als er vor vier Jahren im Fernsehen die olympischen Curling-Übertragungen im Fernsehen sah, entschloss er sich, ein Projekt der ganz anderen Art anzugehen.
Den Geschäftsmann juckte es noch einmal in den Fingern. Noch einmal zurück ins Curling-Leben lautete sein Plan. Ende der Achtziger Jahre gewann er den EM-Titel, wurde dann Vize-Weltmeister. Im Jahr 2000 beendete er seine Karriere, widmete sich den Geschäften und der Familie.
Olympia-BilderNach dem Turnier ist Schluss
Den Entschluss zum Comeback hat er nicht bereut, auch wenn es hier in Sotschi wohl nicht zum Halbfinale reichen wird. „Für uns war die Teilnahme schon ein riesiger Erfolg“, sagt Jahr. Nach dem olympischen Turnier will er dann aber endgültig seine Curling-Schuhe in die Ecke stellen. Statt Granitsteine auf dem Eis wird er dann wieder Millionen auf dem Konto bewegen.