Berlin.. Schon im Frühjahr 2011 führte unser Kooperationspartner 11 Freunde ein Interview mit Amr Fahmy, dem Sprecher der “UItras Ahlawy“. Seine Vereinigung gehörten damals zu den aktivsten Kämpfern der ägyptischen Revolution.

Hintergrund: Dieses Interview wurde bereits im Frühjahr 2011 geführt und erschien in der 11Freunde Nummer 114 . Die "Ultras Ahlawy" gehörten damals zu den aktivsten Kämpfern der ägyptischen Revolution. Nach der Katastrophe beim Spiel Al-Masri gegen Al-Ahly in Port Said, bei der offenbar mehr als 70 Menschen getötet und mehr als 1000 Menschen verletzt wurden – viele von ihnen Ultras von Al-Ahly – werden die ersten Vorwürfe laut, die Ausschreitungen hätten einen politischen Hintergrund gehabt. 11Freunde sprach mit Amr Fahmy, Sprecher der "UItras Ahlawy", der größten Ultra-Gruppierung des ägyptischen Traditionsvereins.

Amr Fahmy, der bekannte Blogger Alaa Abd El-Fattah hat im arabischen Fernsehsender "Al-Dschasira" behauptet: "Die Ultras von Al-Ahly haben bei der ägyptischen Revolution eine wichtigere Rolle gespielt als alle anderen politischen Parteien." Stimmt das?

Fahmy: Nur teilweise, denn die Aussage geht von einem falschen Punkt aus: In Mubaraks Ägypten existierten andere Parteien als seine Nationaldemokratische Partei nur auf dem Papier. Für den Westen sah das nach Demokratie aus, aber die Realität war eine andere, wie inzwischen wohl allen klargeworden ist. Während der Revolution waren wir Ultras wie alle anderen jungen Ägypter auf der Straße – mit dem Unterschied, dass wir organisiert sind. Das ist auch der Grund dafür, dass wir während der Mubarak-Diktatur quasi die einzige wirklich existierende Opposition junger Ägypter waren.

Wie ist Ihre Gruppierung organisiert?

Fahmy: Die "Ultras Ahlawy" sind die größte Fangruppe des Klubs, unsere Mitglieder stammen alle aus Kairo. Gemeinsam mit den "Ultras Devils", einer Gruppe aus Alexandria, kontrollieren wir heute die Talta Chimal, die Nordkurve mit fast 40 000 Zuschauern. Diese beiden großen Gruppen sind in verschiedene kleine Sektionen unterteilt, die von jeweils zwei Anführern repräsentiert werden. Wir treffen uns jede Woche und planen gemeinsam das nächste Spiel: Wie viele Pyros brauchen wir? Wie viel Material für die Choreografie? Wer hat seinen monatlichen Beitrag noch nicht bezahlt? Aber wir haben kein Klubhaus und keinen festen Treffpunkt – das hätte es der Polizei in der Vergangenheit zu einfach gemacht, gegen uns vorzugehen. Vielleicht holen wir das jetzt nach.

Das amerikanische Magazin "Sports Illustrated" schreibt, dass Al-Ahly nicht nur der größte afrikanische Klub sei, sondern auch "die politischsten Fans" des Kontinents habe.

Fahmy: Unser Verein hat eine klar nationalistische Vergangenheit ("Al-Ahly" bedeutet übersetzt "national", d. Red.). Er war der erste rein ägyptische Klub während der englischen Kolonialzeit, und die Revolution gegen die Briten 1919 wurde angeführt von Saad Zaghlul – der später Vereinspräsident von Al-Ahly wurde. Wir als Gruppe sind aber unpolitisch und haben sowohl Kommunisten als auch Liberale, Anarchisten oder Islamisten in unseren Reihen. Nur Mubarak-Sympathisanten wird man bei uns nicht finden.

Wie hat sich die Opposition gegen Mubarak dargestellt?

Fahmy: Wir haben uns seit unserer Gründung 2007 gegen seine Polizisten gewehrt und wurden dafür in den Medien als Terroristen und Gewalttäter dargestellt. Wobei ich zugeben muss, dass wir nicht mit Pusteblumen geworfen haben.

Der Fußballjournalist Davy Lane schreibt, dass bei den Kämpfen mit Mubarak-Anhängern vor allem »Ultra-Taktiken« zum Einsatz gekommen seien: "Es gab zugewiesene Steinewerfer, Spezialisten für das Umwerfen und Abfackeln von Fahrzeugen und Versorgungscrews, die wie am Fließband Munition nachlieferten." Treffen seine Beobachtungen zu?

Fahmy: Diese Beschreibungen passen eher auf Anhänger der Muslimbrüder, die zu Beginn der Revolution auf der Straße keine Rolle spielten, aber später bei den Kämpfen gegen die Pro-Mubarak-Fraktion mitgeholfen haben. Wir sind in den Straßenkämpfen eher wie bei den Auseinandersetzungen im Stadion aufgetreten: geschlossen auf die Polizisten los, als sie ihre Knüppel auspackten. Und Sie können mir glauben, dass wir mit prügelnden  Polizisten in den vergangenen Jahren sehr viele Erfahrungen gemacht haben. Das war ein Krieg, und wir haben ihn gewonnen.

Hatte Ihre Gruppe dabei Opfer zu beklagen?

Fahmy: Zwei Ultras sind bei den Straßenkämpfen ums Leben gekommen, am 25. und 28. Februar wurden sie von Polizisten erschossen. Wie viele von uns leicht oder schwerer verletzt wurden, kann ich nicht genau sagen. Es waren jedenfalls sehr viele.

Ultras sollen nicht nur an gewaltsamen Auseinandersetzungen beteiligt gewesen sein, sondern wurden auch wegen ihres organisierten Auftretens als wichtig während der Revolution gepriesen. Wie muss man das verstehen?

Fahmy: Mir ist das, ehrlich gesagt, etwas zu viel der Heldenverehrung. Wir wollten keine Märtyrer sein, aber Ultras sind nun einmal anders als viele der anderen jungen wütenden Ägypter: Wir haben keine Angst vor der Polizei, denn schwingende Knüppel und Tränengas sind für uns nichts Neues. Es war ganz selbstverständlich, dass wir ganz vorne mit dabei waren, als die Menschen auf der Straße kämpften.

Waren Sie auch dabei, als eine Bürgerwehr die Plünderung des Ägyptischen Museums verhinderte?

Fahmy: Ja, ein paar von uns waren dort. Aber den Widerstand hatten wir nicht exklusiv. Jeder Ägypter kennt die Bedeutung des Museums, und wir alle wollten verhindern, dass ein paar Idioten das Chaos nutzen und die ägyptische Vergangenheit zerstören. Das haben wir geschafft, obwohl sich in der ganzen Zeit nicht ein Polizist hat blicken lassen.

Es gab Gerüchte, dass die Ultras Ihres großen Konkurrenten Zamalek SC auf der Seite Mubaraks gekämpft haben. Können Sie das bestätigen?

Fahmy: Über unsere Rivalen verliere ich grundsätzlich kein Wort.

Die Revolutionen in Nordafrika haben ihren Ursprung in Tunesien genommen. Waren auch dort Fußballfans aktiv?

Fahmy: Tatsächlich haben unsere Freunde, die Ultras von Espérance Tunis, bei der Revolution eine ähnliche Rolle gespielt wie wir in Ägypten. Das sind Brüder im Geiste, sie haben einen ähnlichen sozialen Background wie wir und haben ebenfalls seit Jahren gegen die Polizei gekämpft. Der Kontakt zwischen uns besteht schon länger, wir haben uns schon mehrfach gegenseitig besucht. Und natürlich sprechen wir auf den Rängen über die Politik. Daran kommt man nicht vorbei, wenn man Tunesier oder Ägypter ist.

Fußballspiele wurden zu Beginn der Revolution verboten, inzwischen läuft der Spielbetrieb wieder. Was hat sich geändert?

Fahmy: Normalerweise standen die Spiele unter Kontrolle der Polizei. Wir haben schon häufig erlebt, dass einen Tag vor dem Spiel plötzlich Polizisten vor unseren Türen standen und uns ins Gefängnis geworfen haben. Die Polizei hat uns wie Dreck behandelt. Jetzt ist sie verschwunden und die Vereinsführung hat uns die Sicherheit des Stadions anvertraut. Nach all den Jahren der Repression war das ein historischer Moment!

Wie war beim ersten Mal danach die Atmosphäre im Stadion?

Fahmy: Das zu beschreiben ist eigentlich unmöglich, es war so atemberaubend! Als wir am 18. März das Spiel in der afrikanischen Champions-League-Qualifikation bestritten haben und sich die Talta Chimal ins Rot der Pyros färbte, als alle anfingen zu singen, da spürte man einfach zum ersten Mal das völlige Gefühl der Freiheit. Man konnte es auf den Gesichtern der Fans lesen: Hier stehen freie Ägypter, die keine Angst mehr haben müssen, dass jeden Moment eine Gummikugel in die Menge geschossen wird. Es war magisch.

Wird sich durch die Revolution auch in den Fankurven etwas ändern?

Fahmy: Auf jeden Fall. Dem Mubarak-Regime waren organisierte junge Fußballfans schon immer ein Dorn im Auge. Fankultur, ganz besonders Ultra-Kultur, wurde in Ägypten jahrzehntelang unterdrückt, dabei sind wir ein fußballverrücktes Volk. Mubarak wollte bescheidene Sklaven, dagegen hat sich das Land endlich gewehrt.

Wie fühlt es sich an, plötzlich nicht mehr als "Abschaum" beschimpft, sondern als Freiheitskämpfer gefeiert zu werden?

Fahmy: Abschaum waren wir nur für die Polizei und Mubarak, Respekt hat man uns schon vorher entgegengebracht. Nach den erfolgreichen Finalspielen in der Champions League 2008 gegen Coton Sport Garoua aus Kamerun hat deren Trainer bei der Pressekonferenz gesagt: "Al-Ahly hatte heute einen Mann mehr auf dem Platz, und das waren die Ultras." Die "Gazetta dello Sport" nannte uns die "Curva infernale". Und als wir 2009 für zwei Monate in den Boykott traten, schrieben uns sogar die Spieler, wir sollten doch bitte wieder ins Stadion kommen. (11 Freunde)