Berlin. Die deutschen Sportverbände haben für die Olympischen Spiele offizielle Medaillenvorgaben. Ein Gericht hatte Innenminister Hans-Peter Friedrich nach einer Klage der WAZ-Mediengruppe dazu verurteilt, diese Vorgaben zu nennen. Doch der Minister will dem Beschluss des Gerichtes nicht folgen. Journalistenverbände und Politiker protestieren.
Die deutschen Leichtathleten müssen in London acht Medaillen gewinnen, bei den Reitern sind es fünf und die Schwimmer sollten sechs Medaillen mit nach Hause bringen – sie holten keine einzige. Die offiziellen Vorgaben kommen vom Innenministerium und dem Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB). Wer seine Vorgabe nicht erfüllt, dem droht im schlimmsten Fall der Verlust von Fördergeld. Vier Jahre lang waren die Ziele geheim, selbst der Sportausschuss des Bundestages kannte die Vereinbarungen nicht. Am 31. Juli hat das Verwaltungsgericht Berlin nach einer Presserechts-Klage der WAZ-Mediengruppe entschieden, dass das Ministerium die Ziele veröffentlich muss. Doch bis heute ist das Ministerium dem Urteil nicht gefolgt.
Der Deutsche Journalisten Verband forderte das Friedrich-Ministerium heute auf, den gerichtlich festgesetzten Informationsanspruch zu erfüllen. „Das Bundesinnenministerium steht nicht über Gesetz und Recht“, sagte DJV-Bundesvorsitzender Michael Konken. „Nach der richterlichen Entscheidung darf es die Berichterstattung nicht weiter behindern – auch nicht durch den Versuch des Aussitzens.“ Die Journalisten-Vereinigung netzwerk recherche forderte schon am vergangenen Freitag, „die Medaillen-Zielvorgaben für die deutschen Athleten bei den Olympischen Spielen ohne weitere Verzögerung offenzulegen“. Der Vorsitzende des netzwerk recherche, Oliver Schröm, sagte: "Das Gericht hat zweifelsfrei erklärt, dass die Auskünfte jetzt erteilt werden müssen. Die Offenlegung hinauszuzögern, bis die Spiele in London vorbei sind, wäre in höchstem Maße unsportlich."
Minister Friedrich sieht das öffentliche Interesse nicht
Innenminister Hans-Peter
Friedrich (CSU) sagte dem Tagesspiegel,
er „sehe das öffentliche Interesse nicht“. Zudem dürfe das Ministerium
keine Informationen herausgeben, die Rechte und Interessen Dritter berühren,
also des Deutschen Olympischen Sportbundes. Die Aussagen verwundern, da
Friedrich mit der Herausgabe lediglich einen Gerichtsbeschluss befolgen würde.
Schadensersatzansprüche des DOSB wären damit höchst unwahrscheinlich.
Ulrich Burgard, Rechtsprofessor an
der Uni Magdeburg, hält die Aussagen von Friedrich für eine „eine völlig
haltlose Schutzbehauptung. Die Bundesrepublik wurd zu Recht zur Herausgabe der
Information verurteilt, und zwar nicht zuletzt deswegen, weil der DOSB und die
betroffenen Sportverbände keine schutzwürdigen Interessen an einer Geheimhaltung
haben. Deswegen drohen auch keine Schadensersatzansprüche; denn zum einen ist
die Herausgabe der Information, wie das Gericht entschieden hat, verpflichtend.
Und zum anderen ist eben kein Schaden ersichtlich, der jemandem durch die
Herausgabe entstehen könnte."
Hinzu kommt: Auch der DOSB scheint
die Ziele mittlerweile veröffentlichen zu wollen. Ingo Weiß, Präsidiumsmitglied
des DOSB, sagte dem ZDF am Dienstag: „Das Urteil ist da und aus meiner Sicht
auch umsetzbar. Und das BMI wird die Unterlagen dann auch zur Verfügung
stellen.“
Derweil beklagen sich die Mitglieder des Bundestags-Sportausschusses über das Innenministerium. „Das BMI wäre gut beraten, das Urteil zu akzeptieren. Wer dieses Urteil nicht akzeptiert, setzt sich dem Verdacht aus, dass er etwas zu verbergen hat”, sagte die Sportausschuss-Vorsitzende Dagmar Freitag. Dagmar Freitag spricht nicht für den gesamten Ausschuss, es mehren sich jedoch die Stimmen, die Innenminister Friedrich zur sofortigen Freigabe der Informationen auffordern.
“Der Innenminister sollte der Entscheidung des Gerichtes folgen und die Zielvereinbarungen offenlegen”, sagt der sportpolitische Sprecher der SPD, Martin Gerster. “Das BMI muss sich an Gerichtsentscheidungen halten, ich kann dem Innenminister nur davon abraten, hier Beschwerde einzulegen.”
Koalitionspartner FDP fordert Veröffentlichung der Medaillenziele
Als “Bauchlandung für das BMI” bezeichnet Viola von Cramon die Entscheidung des Verwaltungsgerichtes Berlin. “Der Innenminister sollte damit jetzt möglichst offensiv umgehen und nicht noch in die nächste Instanz gehen. Das würde den Gesichtsverlust nur noch größer machen.” Leider sei Minister Friedrich wohl “nur zum Gratulieren und Händeschütteln nach London gefahren”. Auch Lutz Knopek, sportolitischer Sprecher der FDP, fordert Innenminister Friedrich in einer Pressemitteilung auf, die Medaillenziele zu veröffentlichen.
„Ich fordere Bundesinnenminister Friedrich auf, schnellstmöglich dem Beschluss des Gerichts nachzukommen und volle Transparenz zu schaffen. Die Öffentlichkeit hat ein Anrecht noch während der Olympischen Spiele vollständig und umfassend über die Vereinbarungen zwischen den Sportverbänden und dem Ministerium aufgeklärt zu werden.“
Die WAZ Mediengruppe versucht seit 14 Monaten, Einblick in die Medaillenziele zu nehmen. Zunächst nach dem Informationsfreiheitsgesetz, mit dem jeder Bürger Dokumente der Behörden einsehen darf, seit Anfang Juli auch nach dem Pressegesetz. Warum veröffentlicht das Ministerium die Ziele bis heute nicht? Das Recherche-Ressort der WAZ hat die bisher öffentlich gewordenen Ziele von neun Verbänden zusammengetragen. Allein diese neun Verbände sollen in London 38 Medaillen gewinnen, obwohl die gleichen Verbände in Peking nur 19 Stück gewannen. Offenbar sind die gesteckten Ziele nicht zu erreichen.
Die gesamte Recherche zur deutschen Sportförderung gibt es im Rechercheblog.