Kopenhagen.

Erst Ballack, jetzt Neuer: Während Bundestrainer Joachim Löw sich in der Kapitänsfrage noch immer nicht festlegen will, stellt er nun auch den Status des Schalkers als Nummer eins im Tor infrage.

Auf Joachim Löw muss die Nation aufpassen. Wenn man ihn gewähren lässt, wird der Bundestrainer aus dem Badischen möglicherweise demnächst auch noch deutsche Eichen fällen und durch Zitronenbäumchen ersetzen. Bei der WM hat er bereits das teutonische Traditionselement aus dem Fußball der Nationalmannschaft verbannt. Dieser gewagte Akt jedoch wurde noch hocherfreut zur Kenntnis genommen. Dass Löw sich aber nicht zum langjährigen Kapitän seiner Elf bekennen mag, zumindest dass er den gestandenen Rudelführer Michael Ballack an der straffen Leine zappeln lässt wie einen ungehorsamen Welpen, sorgt für Irritationen. Und nun hat er sogar die Nummer eins ins Visier genommen. Manuel Neuer, der Schalker Keeper, der WM-Keeper, ist es gar nicht, so seine Botschaft.

Verkündet hat der Bundestrainer sie in überschaubarem Kreis, bei einem harmlos erscheinenden Ausflug nach Dänemark, in der Stunde nach dem 2:2 im Parken-Stadion von Kopenhagen. Im Tor hatte Tim Wiese gestanden, weil der Bremer trotz demonstrierter Gruppentauglichkeit bei der WM nicht eine Minute zum Einsatz gekommen war. Dass der letzte Test vor dem Einstieg in die EM-Qualifikation am 3. September gegen Belgien mit Bedeutung aufgeladen gewesen wäre, kann zwar nicht behauptet werden. Doch Wiese zeichnete sich aus. Er hielt tadellos. Lediglich beim Ausgleichstreffer von Mads Junker in der 87. Minute wirkte er ein wenig unschlüssig.

Die Tage der Unantastbaren sind vorbei

Zu diesem Zeitpunkt allerdings führte die deutsche Auswahl mit 2:1 durch Tore von Mario Gomez und Patrick Helmes bei einem Gegentreffer von Dennis Rommedahl. Es war also alles im Lot auf dem nationalen Dampfer, dessen Luxusklasse für diese eine Begegnung abgesperrt werden musste, weil die Bundesliga sich auf ihre Saison vorbereitet und die ganz wertvollen Beine nicht herausrücken wollte. Wiese wurde vom erleichterten Löw gelobt. Und überraschend wurde er vom Bundestrainer auch in das Rennen um das Trikot mit der Eins für die Monate der EM-Qualifikation geschickt. Ausgang offen: „Mit welcher Konstellation wir in das Spiel gehen, das werde ich vor dem Belgien-Termin bekannt geben.“

Zur Erinnerung: In den jüngeren Jahren unserer Republik wurden Kapitäne einer deutschen Nationalelf mit Hochwürden-Respekt behandelt. Und eine Nummer eins, die wie Neuer eine hervorragende WM gespielt hatte, wurde als Beamter im gehobenen Dienst geführt, als unantastbare Größe. Die Tage der Unantastbaren sind aber vorbei. „Von der WM“, hat der Bundestrainer verkündet, „müssen wir uns mental entfernen.“ Jeder, so der Umstürzler, müsse sich aufs Neue bewähren. Ins Wanken bringt er eherne deutsche Werte jedoch nicht, indem er den Maximen des Leistungssports folgt. Ins Wanken bringt er sie dadurch, dass er die Zeit zwischen dem 11. Juli, dem Tag des Abschieds von Südafrika, und dem 3. September, dem Tag, an dem es EM-ernst wird, in Blei gegossen hat.

Die Lage um Ballack wird immer komplizierter

Im Fall Ballack wird die Lage von Stunde zu Stunde komplizierter. Philipp Lahm, der WM-Ersatzkapitän, will die Binde nicht mehr abgeben, obwohl er während der WM-Vorbereitung noch verlautbart hatte, dass „Ballack unumstritten Kapitän“ sei. Das ist bekannt. Und bekannt ist auch, dass Löw die Veröffentlichung dieses Anspruchs vor dem WM-Halbfinale nicht verhindert hat. „Ich war über dieses Zitat und dieses Interview informiert“, ergänzte der Bundestrainer vor dem Abflug nach Dänemark die lückenlose Indizienkette.

Zur Folge hat die diffuse Situation, dass sich die Ballack-Unterstützer aus dem Mannschaftskreis outen (wichtig: Bastian Schweinsteiger) und die Vereine Bayern München (Lahm-Front) und Bayer Leverkusen (Ballack-Front) mittlerweile in Scharmützel verwickelt sind. Darüber hinaus wird der Immer-noch-Kapitän momentan auf dem Medienboulevard in ein düsteres Licht getaucht, weil er angeblich eine Affäre mit der Freundin des Ex-Bayern-Kollegen Christian Lell hatte. Und rein sportlich haben sich der Konkurrenz auf seiner Sechser-Position durch Schweinsteiger und Sami Khedira bei der Partie in Kopenhagen die Besten auf dem Parken-Rasen hinzugesellt. Thomas Hitzlsperger, der intelligent das 1:0 vorbereitete, und Christian Gentner, der Vorbereiter des 2:0.

Wie geordnet ist dagegen doch die Welt für den WM-Torhüter noch immer. Tim Wiese wird wie gehabt ein bisschen sein Kontrahent sein, und Rene Adler könnte es wieder ein bisschen werden, wenn sich Manuel Neuer den Ball öfter selbst ins Tor werfen sollte. Passiert das, drängt sich jetzt zur nervlichen Entlastung die traditionsreiche Frage auf: Hat Löw zu seiner Verunsicherung beigetragen?