Pretoria. .
Der verletzte Routinier Michael Ballack besucht das deutsche WM-Team in Südafrika. Er kann nicht eingreifen, sondern nur Mut zusprechen. Nach der WM wird er zurückkehren - auch als Kapitän.
Michael Ballack hat angekündigt, er werde am Donnerstag in Pretoria eintreffen, nicht um die Nationalmannschaft vor der Viertelfinalpartie am Samstag gegen die Argentinier zu inspizieren und die eine oder andere Order zu erteilen, sondern einfach so, als Besucher mit guten Worten im Gepäck. Diese Rolle des lieben Onkels scheint dem alten Capitano zwar nicht auf den Leib geschrieben zu sein, aber er wird sie ausfüllen können. Den großen Auftritt auf der gewaltigen Bühne Weltmeisterschaft hat ja eine Verletzung verhindert, und so fügt sich Ballack eben in sein Schicksal und ist zumindest nebenbei dabei, wenn er schon nicht mittendrin sein kann.
Wenn er Fragen zulassen sollte, wird auch am Donnerstag wieder nachgehakt werden: Wie wird es weiter gehen mit Ihnen? Die Antwort ist natürlich schon bekannt. Ballack will weiter spielen, und weil er weiter spielen will, wird er auch weiterhin Kapitän der Nationalmannschaft sein. Es soll schließlich Friede herrschen in diesem deutschen Palast. Philipp Lahm, der Verteidiger, den der Bundestrainer für die Zeit der WM ins Amt hievte, gilt zwar seit der Europameisterschaft 2008 nicht mehr als Anhänger des rustikalen Anführerstils der langjährigen Spitzenkraft, doch bereits kurz nach seiner Inthronisierung im Trainingslager in Südtirol hat der Bayer betont: „Michael Ballack ist unumstritten unser Kapitän.“
Vielstimmige Führung
Die Welt um Michael Ballack herum aber hat sich verändert. Die Nationalmannschaft präsentierte sich bisher in Südafrika als jugendlich spielfreudiges Luxusensemble, das sogar über die Durchschlagskraft verfügte, mit allen Wässerchen des knallharten Profitums gewaschene Engländer aus dem Turnier zu katapultieren. Bastian Schweinsteiger, der ursprünglich an der Seite Ballacks auf der Sechser-Position wachsen sollte, ist ohne Hilfestellung Ballacks zu einem herausragenden Akteur der WM geworden. Und der Mannschaftsrat, dieses Gremium, dem Bundestrainer Joachim Löw bei der öffentlichen Verkündung der Lahm-Erhebung demonstrativ viel Gewicht beimaß, bringt dieses Gewicht tatsächlich auf die Waage.
Es vergeht überhaupt kein Tag ohne ein Lob für diesen Mannschaftsrat. Zuletzt war es Miroslav Klose, der 32-Jährige, der Stürmer aus der Ballack-Generation, der erklärte, dass die Fünferbande mit Lahm, Schweinsteiger, Per Mertesacker, Arne Friedrich und ihm selbst ihre Aufgaben wacker verrichte. Sollte Löw also mit der Verteilung „der Verantwortlichkeit auf mehrere Schultern“ versucht haben, einer möglichen Post-WM-Anführerdiskussion frühzeitig einen Riegel vorzuschieben, so muss nun festgehalten werden: Gerade diese vielstimmige Führung, diese hierarchisch flachere Führung kommt bei seinem Grüppchen von Individualisten, das dazu verpflichtet ist, im Team zum Erfolg zu gelangen, offenbar an.
Und im September wird Michael Ballack 34 Jahre alt. Das dürfte bereits das entscheidende Kriterium für den FC Chelsea gewesen sein, zukünftig auf seine Dienste zu verzichten. Die Karrieredämmerung ist angebrochen. Bei Bayer Leverkusen, seinem künftigen Arbeitgeber, drängt Ballack schon nicht mehr auf die Brücke. Simon Rolfes, der ebenfalls verletzt auf die WM verzichten musste, wird im Klub Kapitän bleiben. Und Rolfes wird auch weiterhin ein Konkurrent um den Strategenplatz in der Nationalelf sein. Der alternde Kollege Klose darf sich sicherer fühlen, weil Deutschland im Auge des Sturms der begabte Nachwuchs fehlt. In der Phalanx der Sechser dagegen herrscht eine Stimmung wie beim Schlussverkauf. An Schweinsteiger führt kein Weg vorbei. Und Sami Khedira, Rolfes, Christian Träsch, vielleicht doch irgendwann wieder Thomas Hitzlsperger, vielleicht irgendwann einmal Mats Hummels, sie alle warten darauf, zugreifen zu können.
Als Lahm in Abwesenheit Ballacks behauptet hat, er habe nie zuvor in einer Nationalmannschaft von dieser Qualität gespielt, konnte das als Dolchstoß interpretiert werden. Doch der Respekt ist noch vorhanden. Der 23-jährige Ex-Kapitän der U 21 und Nachwuchs-Anführertyp Khedira hat ihn stellvertretend geäußert: „Ich sehe Michael Ballack als Weltklassespieler.“ Bei der WM dürfte deshalb nur der Übergang von der absoluten zur konstitutionellen Monarchie eingeleitet worden sein. Gott schütze den lieben Onkel. So lange er nur gute Worte im Gepäck hat.