Dortmund. BVB-Boss Hans-Joachim Watzke gibt im Sommer die sportliche Gesamtverantwortung ab. So stellt sich der Klub nun für die Zukunft neu auf.

Es sind wieder einmal bewegte Tage, die hinter Hans-Joachim Watzke liegen: Am Dienstag standen in Frankfurt nacheinander Präsidiumssitzungen beim Deutschen Fußball-Bund und der Deutschen Fußball-Liga an, und dann war da ja noch das Länderspiel zwischen Deutschland und den Niederlanden, das Watzke als DFL-Aufsichtsratsvorsitzender besuchen musste. Wobei: Inzwischen macht es ja wieder Freude, Länderspiele zu besuchen, die Großbaustelle DFB scheint aktuell befriedet. Auch bei der DFL hat sich vieles beruhigt, obwohl der Ärger um den geplatzten Investoreneinstieg nachhallt. Bleibt Watzkes dritte Baustelle: Borussia Dortmund.

Schon vor einiger Zeit hat der Vorsitzende der Geschäftsführung erklärt, dass er seinen Ende 2025 auslaufenden Vertrag nicht verlängern wird – und dass er schon in diesem Sommer die sportliche Gesamtverantwortung abgeben will. Und seitdem wird gerätselt in und um Dortmund: Wer soll in die zweifellos gewaltigen Fußstapfen treten, die Watzke nach rund 20 Jahren als BVB-Boss hinterlassen wird?

BVB-Boss Hans-Joachim Watzke regelt seine Nachfolge

Noch aber ist der 64-Jährige ja da, noch hält er die Fäden in der Hand – und er ist gerade dabei, sein Erbe selbst zu regeln. Der Präsidialausschuss hat ihn beauftragt, eine Nachfolgeregelung zu erarbeiten die Watzke den Gremien im April präsentieren will. Zur Frage, wer der neue starke Mann werden soll, hält sich der aktuell starke Mann aber bedeckt, lässt sich nicht in die Karten schauen. Aus dem Klub ist zu hören, dass die Entscheidung noch gar nicht gefallen ist.

Sebastian Kehl ist Sportdirektor beim BVB – und daher ein logischer Kandidat als neuer Sport-Geschäftsführer.
Sebastian Kehl ist Sportdirektor beim BVB – und daher ein logischer Kandidat als neuer Sport-Geschäftsführer. © dpa | Swen Pförtner

Als natürlicher Favorit für den neuen Posten des Sport-Geschäftsführers gilt Sebastian Kehl, der aktuelle Sportdirektor, der seine Ambitionen schon mehrfach recht deutlich zum Ausdruck gebracht hat. „Ich habe mich aus unterschiedlichen Rollen in den letzten Jahren in diese Sportdirektoren-Position gearbeitet und mir macht das unglaublich viel Spaß“, sagte er im Sport1-Doppelpass. „Für mich wäre es nur ein logischer Schritt.“

In den BVB-Gremien gibt es Kritik an Sebastian Kehl

Dass es zu diesem Schritt kommt, ist aber längst nicht ausgemacht. Es gibt in den entscheidenden Gremien des Klubs auch Kritiker des langjährigen Borussen Kehl. Kritiker, die nicht nur mit der Transferbilanz im Sommer, sondern auch mit der Entscheidungsfindung des einstigen Kapitäns unzufrieden sind. Daneben aber gibt es andere, die positiv registrieren, wie gut der 44-Jährige den Klub nach außen vertritt, die ihm außerdem zugutehalten, dass nicht alle unglücklichen Entscheidungen im Transfersommer auf ihn zurückfallen – Kehl etwa hätte gerne Edson Alvarez fürs defensive Mittelfeld geholt, Trainer Edin Terzic aber bevorzugte Emre Can.

Ob Kehl sich durchsetzt, ist also in der Schwebe, ein logischer Alternativkandidat zeichnet sich allerdings auch nicht ab: Markus Krösche etwa, Sportvorstand von Eintracht Frankfurt, wird beim BVB zwar sehr geschätzt, war aber wegen seines Vertrags bei der Eintracht nie das ganz große Thema und steht nun sogar vor einer Verlängerung in Frankfurt. Sven Mislintat könnte nach Informationen dieser Redaktion eher ein Teil der Lösung sein – allerdings nicht als Sport-Geschäftsführer und auch nicht als Sportdirektor.

Sven Mislintat spielt in den Dortmunder Gedankenspielen eine Rolle

Beim BVB hält man große Stücke auf die Fähigkeit des einstigen Dortmunder Chefscouts, hochtalentierte Spieler früh zu erkennen und ihr Potenzial einzuschätzen. Robert Lewandowski, Pierre-Emerick Aubameyang, Ousmane Dembélé – die Liste der Talente, die er entdeckte und die sportlich und meist auch wirtschaftich zu brillanten Transfers für den BVB wurden, ist lang. Auch beim VfB Stuttgart holte er viele jener Profis, die aktuell so herausragend aufspielen.

Sven Mislintat genießt beim BVB große Anerkennung – als Kaderplaner.
Sven Mislintat genießt beim BVB große Anerkennung – als Kaderplaner. © dpa | David Inderlied

Allerdings: Wenn der 51-Jährige eine Führungsposition innehatte, gab es auch Probleme, in Stuttgart wie bei Ajax Amsterdam. In Dortmund also kann man sich gut vorstellen, den Kaderplaner Mislintat zu verpflichten, als Ergänzung zu einem Sport-Geschäftsführer, der die großen Linien festlegt, und einem Sportdirektor, der das operative Geschäft betreibt und näher an der Mannschaft ist. Offen ist allerdings, ob Mislintat den Schritt zurück in die zweite Reihe gehen würde.

Das Verhältnis zwischen Sebastian Kehl und Sven Mislintat gilt als belastet

Ob allerdings Kehl und Mislintat gut miteinander können, daran gibt es Zweifel. Das Verhältnis der beiden gilt als belastet, obwohl sie bislang nie zusammen gearbeitet haben. Aber unter anderem rund um den geplatzten Alvarez-Deal gab es Missstimmungen zwischen dem damaligen Ajax-Sportchef Mislintat und Kehl auf der anderen Seite.

Nicht frei von Störungen ist auch die Beziehung zwischen Kehl und Trainer Edin Terzic. Die Wurzeln liegen schon im Sommer 2021, als der erfolgreiche Interimstrainer Terzic zum Technischen Direktor gemacht wurde – eine Lösung, der Kehl mit einigem Misstrauen begegnete, heißt es im Klub. Auch in der laufenden Saison gab es Verwunderung über fehlende Abstimmung, als etwa nach dem 0:0 beim 1. FC Heidenheim Terzic die Mannschaft deutlich kritisierte, während Kehl der öffentlichen Kritik ebenso deutlich entgegentrat.

Edin Terzic hätte es unter dem Sportvorstand Sebastian Kehl schwerer

Ein Trainer Terzic hätte es unter einem Sportvorstand Kehl deutlich schwerer, das ist klar. Wie groß aber wäre die Entscheidungsgewalt des Sportvorstands? Noch ist Watzke ja da, noch hätte er als Vorsitzender der Geschäftsführung dank seiner Richtlinienkompetenz die Möglichkeit, jede Entscheidung eines Sportvorstands einzukassieren. Aber er will die Verantwortung ja abgeben, will sich aus den sportlichen Fragen heraushalten, so hat er es selbst angekündigt.

Das Verhältnis zwischen BVB-Trainer Edin Terzic (l.) und Sportdirektor Sebastian Kehl ist nicht frei von Spannungen.
Das Verhältnis zwischen BVB-Trainer Edin Terzic (l.) und Sportdirektor Sebastian Kehl ist nicht frei von Spannungen. © Jürgen Fromme /firo Sportphoto | Jürgen Fromme

Und ob es nach Watzke noch einmal einen Vorsitzenden der Geschäftsführung gibt, ist offen, Tendenz unwahrscheinlich. Im Klub kursiert das Denkmodell dreier gleichberechtigter Geschäftsführer – neben dem Mann für den Sport bleiben Thomas Treß für die Finanzen und Carsten Cramer für Vertrieb und Marketing – mit einem Sprecher. Für diese Rolle wäre Cramer der große Favorit.