Doha/Al-Chaur. Wer sind eigentlich die wenigen Fans, die all den Negativnachrichten trotzen und nach Katar zur WM gereist sind? Ein Ortsbesuch in Doha.

Der Einpeitscher mit dem Deutschlandtrikot versucht kurz vor dem Spiel gegen Spanien in Al-Chaur noch einmal alles. Er nimmt das Mikrofon und schreit ein paar aufmunternde Sätze rein. Dann schaut er in die Kurve im Al-Bayt-Stadion, wo viele schwarz-rot-goldenen Fähnchen gewedelt werden und brüllt: „Deutschlaand! Deutschlaaand! Deutschlaaaand!“

Nur die Antwort der Fans, die üblicherweise in den wenig originellen, aber für jedermann einprägsamen Anfeuerungschor einstimmen, bleibt aus. „Die Stimmung hier ist unterirdisch“, sagt Christoph. Der 53-Jährige sitzt im künstlichen Park vor dem künstlichen Al-Bayt-Stadion bei dieser künstlichen WM. Der Bargteheider aus Schleswig-Holstein war bei 15 Fußball-Großturnieren dabei. Er war in Russland und Frankreich, war seit 1988 bei jeder Europameisterschaft und ist 1990 und 2014 vor Ort als Fan Weltmeister geworden. „Aber Katar ist anders als alle Weltmeisterschaften“, sagt Christoph. „Ein echtes WM-Feeling kommt nicht auf. Im Fanblock im Stadion sind zwei Drittel Inder mit Deutschlandfähnchen.“ Doch warum ist er dann nach Katar gereist?

Teure Unterkünfte in Doha

Der Chemie-Ingenieur zuckt mit den Schultern. Er sei fußballverrückt. Direkt vor dem Start der WM war er noch mit dem HSV im Trainingslager in den USA, direkt danach flog er weiter. Hamburg, Istanbul, Beirut, Doha. In der Millionenmetropole wohnt er bei einem philippinischen Gastarbeiter. Nahe der Metrostation Oqba Ibn Nafie. Ein Einzimmerapartment, rund 30 Quadratmeter groß. Christophs Bett ist auf der einen Seite des Apartments, das Bett seiner Gastgeber auf der anderen. Dazwischen ist ein Raumteiler. 260 Riyal, knapp 70 Euro pro Nacht, kostet die Unterkunft, die ihm über Freunde vermittelt wurde. Günstiger kann man als Fan in Doha nicht wohnen. „Nach all den Berichten wollte ich selbst einen Eindruck von Katar gewinnen“, sagt Christoph, der auch am Donnerstag (20 Uhr/ARD) gegen Costa Rica im Stadion sein wird.

Deutsche Fans im Stadion in Katar.
Deutsche Fans im Stadion in Katar. © Imago

In der weit entfernten Heimat scheint sich der Eindruck längst verfestigt zu haben. Deutschland hat keine Lust auf die Katar-WM. Die Einschaltquoten sind genauso mies wie die Stimmung in den Stadien. Nicht einmal zehn Millionen Deutsche haben das 1:2 gegen Japan verfolgt, immerhin 17 Millionen schalteten beim 1:1 gegen Spanien ein. Zum Vergleich: Bei der WM in Russland gab es kein deutsches Gruppenspiel mit einer TV-Quote von unter 25 Millionen.

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Thomas und Marci sind diese Zahlen egal. Sie würden den Fernseher einschalten, wenn sie könnten. Können sie aber nicht, weil sie vor Ort sind. „Der Eindruck ist super, die Spiele überragend, die Atmosphäre top“, sagt Papa Thomas, der gleich mit seinem Sohn Marci ins 974-Stadion geht, um das Brasilienspiel gegen die Schweiz zu schauen. Mit Ausnahme der Heim-WM 2006 waren Vater und Sohn aus der Nähe von Augsburg noch nie bei einem großen Turnier. Nun sind sie sieben Tage in Doha, schauen sieben Spiele. „Wo kann man sonst jeden Tag ein WM-Spiel gucken?“, fragt der 52-Jährige, der mit 4000 Euro Reisekosten und nochmal 600 Euro für die Tickets kalkuliert hat. „Die ganze Welt ist hier.“

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Philipp Beitzel hat beide Fan-Meinungen in den vergangenen Tagen oft gehört. Die einen, die das Turnier besser als erwartet finden. Und die anderen, die immer dabei, diesmal aber enttäuscht sind. „Es ist keine WM für die Fans. Die Hotels sind teuer, die Einreise ist schwierig und die politischen Begleitumstände sind so, wie sie sind“, sagt der Mitarbeiter der Koordinationsstelle Fanprojekte (KOS). „Man muss es so sagen: Das Turnier gehört hier nicht her.“

Ein traditionelles Gewand in leicht abgewandelter Form.
Ein traditionelles Gewand in leicht abgewandelter Form. © Imago

Beitzel und seine Kollegen betreuen eine Fanbotschaft am Einkaufszentrum The Gate Mall, wo Anhänger mit ihren Sorgen und Nöten hinkommen können. Mit einem vergleichbaren Angebot können sonst nur noch der englische und der walisische Verband dienen. Beitzel kennt die deutschen Fans wie sonst kaum einer – und er hat auch eine Ahnung davon, wie viele in Katar sind: weniger als die Fifa sagt, aber mehr als man denkt. So seien laut der Fifa 35.000 Tickets nach Deutschland verkauft worden. Allerdings haben sich viele wie Thomas und Marci aus Augsburg mit Vorrundentickets eingedeckt. Beitzel geht davon aus, dass über das Turnier 7000 bis 9000 Deutsche in der Region sind. Manche in Doha, andere in Dubai, Oman, Bahrain. Sie kommen morgens zu den Deutschlandspielen, nachts geht es zurück. Gegen Japan waren rund 1500 Anhänger aus Deutschland im Stadion, gegen Spanien sollen es 3000 gewesen sein. Dazu kommen noch zahlreiche Asiaten, die das nötige Kleingeld haben. Inder, Chinesen, Araber. Die meisten mit schwarz-rot-golden bemalten Gesichtern und Fahnen.

„Wir freuen uns schon, wenn wir unterstützt werden“, sagt Stürmer Niclas Füllkrug am Dienstagmittag. Er habe beim Surfen im Internet nach dem Japanspiel das Gefühl bekommen, dass der eine oder andere in der Heimat sich darüber gefreut habe, wenn die deutsche Mannschaft Misserfolg hat. Nach dem Spanienspiel und seinem Tor sei das anders gewesen. „Vielleicht haben wir ein bisschen Aufbruchstimmung hinbekommen“, sagt der Bremer.

ARD, ZDF und MagentaTV haben gute Streamingquoten

Und wirklich. Die TV-Quoten sind noch immer schwach, aber zur Wahrheit gehört auch, dass die Streamingquoten von ARD, ZDF und MagentaTV noch nicht eingerechnet sind. Die sind so hoch wie nie. Auch die Nachfrage von Online-Angeboten ist groß. Bei „Bild“ werden die WM-Artikel rauf und runter geklickt – und auch die Zahlen bei der Funke Mediengruppe, zu der auch diese Zeitung gehört, sind gut.

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„Die, die sich ohnehin nicht für Fußball interessieren, die schauen eben diesmal nicht zu“, sagt Thomas aus Augsburg. „Und die anderen, die werden schon reinschauen, wenn die deutsche Mannschaft ins Rollen kommt.“ Er gehört zu den anderen. Gegen Costa Rica wird er wieder im Stadion sein. Mit seinem Sohn, Trikot, Deutschlandflagge und voller Zuversicht. Sein Tipp: „Wir kommen ins Halbfinale. Mindestens.“