Niclas Füllkrug bewahrt gegen Spanien Deutschlands Achtelfinal-Chance. Ob er gegen Costa Rica spielt, ist aber offen. Eine DFB-Analyse.
Thomas Müller machte nicht viele Worte, was äußerst untypisch ist für Thomas Müller. Aber hinter ihm lief gerade Niclas Füllkrug vorbei, aus der Mannschaftskabine im Al-Bayt-Stadion in Richtung Ausgang. Und dieser Füllkrug war an diesem Abend der gefragte Mann, das wusste auch Müller. Und so trat er einen Schritt zurück von den Mikrofonen und beorderte seinen Sturmkollegen nach vorne: „Fülle, übernimm du.“ Der Bremer grinste sein schiefes Zahnlückengrinsen und antwortete: „Wenn du das sagst, dann mache ich das.“
Mit ähnlichem Selbstverständnis betrat Füllkrug im vorangegangenen Spiel gegen Spanien in der 70. Minute den Platz – nur acht Minuten, nachdem Alvaro Morata die Spanier in diesem intensiven zweiten Gruppenspiel 1:0 in Führung gebracht hatte. Füllkrug brauchte nur 13 Minuten, da kam er im Strafraum an den Ball und jagte ihn unhaltbar zum 1:1 (0:0)-Endstand unter die Latte. Nicht viel nachdenken, den direkten Weg in Richtung Tor suchen und bei erster Gelegenheit abziehen, so wie es ein Mittelstürmer eben macht.
Spanien gegen Deutschland: Dem Spiel fehlten Chancen
Das ganze Spiel war ein einziges Plädoyer für den Stoßstürmer, für die echte Neun. Eine Stunde lang hatten sich die Teams auf taktisch hohem Niveau bespielt. Erst ließen die Spanier die Deutschen dank ihres überlegenen Positionsspiels laufen, dann fand die DFB-Auswahl mit Biss und immer besserem Pressing hinein in diese Partie. Es war eines der stärkeren Spiele des bisherigen Turniers – aber es war bei aller Klasse eine Begegnung ohne Zuspitzung, ohne viele Großchancen.
Auch die Spanier waren zunächst ohne echten Stürmer angetreten, vorne versuchte sich meist der technisch starke Wuseler Marco Asensio. Die sogenannte falsche Neun gehört zum Markenkern des spanischen Fußballs, hier sind genaues Passspiel und Ballsicherheit wichtiger als Wucht und Zweikampfstärke. Doch nach 54 Minuten kam Alvaro Morata ins Spiel, seines Zeichens 1,89 Meter groß gewachsener und damit echter Mittelstürmer. Und Morata drückte schon nach sechs Minuten eine Hereingabe von Jordi Alba über die Linie.
Kommentar: Deutschland hat einen Knipser wie Niclas Füllkrug gebraucht
Aber Deutschland hatte noch Füllkrug, der die 9 ja auch auf dem Trikot trägt. Und der sich nach dem Spiel vor Lob kaum retten konnte. „Er ist als Typ super und als Spieler auch“, schwärmte Kapitän Manuel Neuer. „Er ist ein absoluter Teamleader“, lobte Co-Trainer Danny Röhl. „Er geht voran, obwohl er erstmals dabei ist, er ist kommunikativ, er pusht die anderen, und er bringt seine Überlegungen ein.“ Abwehrchef Antonio Rüdiger urteilte: „Niclas gibt uns da vorne etwas, was wir sonst nicht haben.“
Und Füllkrug selbst? Der hatte zwar gerade die gesamte deutsche Fußballnation mit seinem Treffer aus der aufkommenden Depression befreit, hatte die Chancen aufs Weiterkommen wieder signifikant erhöht – sprach aber derart nüchtern, als habe er gerade einen Treffer im Vorbereitungsspiel von Werder gegen den Blumenthaler SV erzielt. „Man braucht jetzt keine Riesenfreudensprünge zu machen über ein 1:1 gegen Spanien“, sagte er. Es sei ja auch nicht sein erstes Tor gewesen, auch nicht sein erstes wichtiges.
Niclas Füllkrug hat sich immer wieder zurückgekämpft
Der 29-Jährige weiß, wie schnell es gehen kann im Fußball, das erdet: Auf den Tag genau ein Jahr vor seinem WM-Treffer hatte er auch ein Tor geschossen: für den damaligen Zweitligazehnten Werder Bremen beim 1:2 gegen Holstein Kiel. Kurz zuvor war er nach einer heftigen Auseinandersetzung mit Teammanager Clemens Fritz noch suspendiert worden. Der damalige Trainer Markus Anfang wusste nicht viel mit dem Stürmer anzufangen, hätte ihn am liebsten rausgeworfen, flog dann aber selbst wegen eines gefälschten Impfpasses. Es kam Ole Werner – und der Aufstieg der Bremer und ihres Stürmers begann. 19 Zweitligatore machte Füllkrug, aktuell sind es in der Bundesliga zehn Treffer nach 15 Spielen. Er hatte sich mal wieder durchgebissen. Wie damals, als ihn der Körper im Stich zu lassen drohte. Drei Knorpelschäden, ein Kreuzbandriss, verteilt auf zwei Knie – das hat schon so manche Karriere beendet. Füllkrug hat sich wieder herangekämpft. Wegbegleiter loben seinen enormen Arbeitseifer und Trainingsfleiß.
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Thomas Müller ist der verlängerte Arm von Hansi Flick
Braucht es so einen Stürmer nun nicht auch im entscheidenden Gruppenspiel gegen Costa Rica am Donnerstag (20 Uhr/ARD)? Es könnte ja sein, dass man einen echten Kantersieg, ein 7:0 benötigt, um weiterzukommen. Eine Umfrage im deutschen Fußballvolk brächte vermutlich wohl an die 120 Prozent Zustimmung für Füllkrug – nur im Trainerteam klingt bei allem Lob auch Skepsis durch. „Natürlich gibt uns ein zentraler Stoßstürmer, der die Bälle gut halten kann, einige Optionen“, sagt Assistenztrainer Marcus Sorg. „Aber er ist kein Allheilmittel. Wir müssen als Mannschaft daran arbeiten, die Anzahl der Chancen hochzuhalten und ihre Qualität zu erhöhen.“ Subtext: Das geht auch mit einer falschen Neun, mit einem wie Müller. Den betrachtet Bundestrainer Hansi Flick ohnehin als seinen verlängerten Arm auf dem Platz, der soll möglichst immer spielen – und dazu würde er auch gerne Joshua Kimmich, Ilkay Gündogan und Leon Goretzka in seiner Startelf unterbringen. Das geht leichter, wenn Füllkrug zunächst auf der Bank sitzt.