Eugene. Kein Leichtathlet sammelte so viele Titel wie Allyson Felix. Nun lief die US-Sprinterin bei der Heim-WM in Eugene zum letzten Mal.

Als die Arbeit getan war, wich der angespannte Gesichtsausdruck einem erleichterten Lächeln. Die erste Enttäuschung war schnell überwunden, Allyson Felix gratulierte den Kollegen und blickte glücklich ins Publikum. Laut wurde immer wieder ihr Name gerufen, die Zuschauer reckten Plakate mit ihrem Konterfei in die Höhe. Bronze in der 400-Meter-Mixed-Staffel – es war der finale Auftritt der erfolgreichsten Leichtathletin der Welt. Das letzte Rennen. Amerika verabschiedete sich bei der Heim-WM von einer der Größten dieses Sports. Schluss, Aus, vorbei.

Lange schallte der Applaus des Publikums noch durch das Stadion in Eugene/Oregon, während Allyson Felix mit der US-Fahne um die Schultern das Bad in der Menge genoss. Ihr letztes großes Rennen war der Höhepunkt des Eröffnungstags und das Ende einer großen Karriere. Selbst die Internetsuchmaschine Google hatte den großen Moment im Blick, wer in den vergangenen Tagen ihren Namen suchte, wurde von einer animierten Allyson Felix begrüßt, geschmückt mit Goldmedaillen und Tochter Camryn auf dem Arm.

Höhen, Tiefen und gebrochene Herzen

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Am Freitagabend war dann aber erst einmal alles so wie immer: An zweiter Position war Allyson Felix in der Mixed-Staffel gelaufen. Mit ihren raumgreifenden Schritten jagte die 1,68 Meter-große Sprinterin auf der roten Tartanbahn entlang. Ein Laufstil voller Ästhetik. Schnell und wunderschön. So hatte sie die 200 und 400 Meter fast zwei Jahrzehnte lang bestritten, hatte sie 13 WM-Titel und sieben Olympiasiege gefeiert, dazu sechs weitere WM- und vier Olympia-Medaillen geholt. Keine Frau in der Leichtathletik war je erfolgreicher, kein Mann der Leichtathletik holte so viele Titel wie Allyson Felix. „Es war eine unglaubliche Reise“, hatte sie schon vor dem Rennen im Pressezelt auf dem Campus der Universität von Oregon auf ihre Karriere zurückgeblickt. „Es gab viele Höhen und Tiefen, viele Erfolge und Herzensbrüche. Aber ich liebe diesen Sport und könnte mir keinen schöneren Abschluss vorstellen als die Heim-WM.“

Nur Tochter Camryn sieht das anders. Die Dreijährige wartet darauf, dass ihre Mutter endlich das Rennen läuft, in dem sie über den Wassergraben springen muss. Camryn, sagt Allyson Felix lachend, ist einfach fasziniert vom 3000-Meter-Hindernislauf. Doch Allyson Felix bleibt hart: „Das ist mir dann doch zu anstrengend.“ Selbst die 400 Meter, diese enorm quälende Stadionrunde mit der so schwer zu dosierenden Mischung aus Geschwindigkeit und Ausdauer, hat sie nie so geliebt wie die 200 Meter, auf denen sie zu Beginn ihrer Karriere die großen Erfolge feierte. „Es ist schwer, die 400 Meter wirklich zu genießen“, hatte sie einmal gesagt. Und deshalb bleibt sie auch dabei: Das war‘s mit der Leichtathletik. Mit 36 Jahren lodert das Feuer für den quälenden Endspurt auf den letzten Metern nicht mehr so stark in ihr, die Geschwindigkeit lässt nach. Bei den US-Meisterschaften wurde sie nur Sechste über die 400 Meter, es reichte als Sololäuferin nicht mehr für die Heim-WM. Nun, im letzten Rennen, wurde sie trotz anfänglichem Vorsprung auf den letzten Metern fast noch eingeholt, wie auch Schlussläuferin Kennedy Simon, die auf den finalen 20 Metern noch von den Niederlanden und Gewinner Dominikanische Republik überholt wurde. Allyson Felix hatte das aber schnell abgehakt: Künftig wird sie Tochter Camryn zum Fußballtraining bringen, einfach nur eine Mama sein. „Manche mögen das langweilig finden – aber ich freue mich darauf, einfach normale Dinge zu tun“, sagt Felix.

Im Kampf mit Nike

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Sie wird eine große Lücke in der US-Leichtathletik hinterlassen. Medial, denn auf der Eröffnungs-Pressekonferenz des US-Teams in Eugene war sie eine der wenigen Athleten, die mehr als zwei Sätze herausbrachten. Aber vor allem sportlich. 2004 hatte sie in Athen ihre erste olympische Medaille gewonnen, Silber über 200 Meter im Alter von 18 Jahren. Vergangenen Sommer in Tokio kamen zum Olympia-Abschied noch einmal Bronze im Einzel und Gold in der 400-Meter-Staffel hinzu. Doch Allyson Felix nur auf ihre stattliche Medaillensammlung zu reduzieren, würde ihr nicht gerecht werden. „Sie ist eine Inspiration“, sagt beispielsweise Abby Steiner, mit 22 Jahren eine der nächsten kommenden Sprintstars des US-Teams. „Sie hat für die Rechte der Frauen gekämpft und für Veränderungen gesorgt. Wenn man über Allyson Felix spricht, geht es ums große Ganze!”

Auch Allyson Felix sagt, dass es in ihrem Leben größere Kämpfe als die auf der Laufbahn um Medaillen gab. Die Schwangerschaft mit Tochter Camryn war keine einfache, hinzu kamen der große Kampf mit Sponsor Nike. Der Sportartikelhersteller wollte seiner Starathletin die Zuwendungen um 70 Prozent kürzen, als diese schwanger wurde. Allyson Felix wehrte sich, ging an die Öffentlichkeit. Die Botschaft: Athletinnen sollten nicht dafür bestraft werden, weil sie eine Familie gründen. Die öffentliche Empörung zwang Nike, die Richtlinien zum Mutterschutz zu ändern. Allyson Felix aber verzichtete auf eine weitere Zusammenarbeit, sie gründete ihre eigene Firma speziell für sporttreibende Frauen, rannte seitdem im eigenen Schuh. Lautstark spricht sie sich immer wieder gegen Diskriminierung aus und engagiert sich für kostenfreie Kinderbetreuung für Athleten. Aus der einst das Rampenlicht meidenden, eher schüchtern wirkenden Sprinterin wurde eine Kämpferin für Frauenrechte. Es hatte also auch etwas Ironisches, als Felix ausgerechnet im Nike-Geburtsort Eugene ihre „Saysh“-Schuhe nach dem Staffelrennen auf der Bahn ließ. Ein letztes Statement. Ein Abschiedsgruß einer der Größten ihres Sports.