Eugene/Essen. Leichtathletik-Legende Usain Bolt über Sprints ans Kinderbett, seinen Weltrekord und das 100-Meter-Rennen bei der WM in Eugene.

Jetzt ist Usain Bolt auch noch ein Doktor. Zumindest auf dem Briefbogen. Die Brunel Universität in London verlieh ihm den Titel dieser Tage ehrenhalber, weil der 35-Jährige sich unter anderem auch 2012 für drei seiner insgesamt acht Olympiasiege auf dem Campus im äußersten Westen der englischen Hauptstadt vorbereitet hatte. Für die Zeremonie ließ sich Usain Bolt digital zuschalten. Wenn in der Nacht von Samstag auf Sonntag (4.50 Uhr deutscher Zeit/ZDF) in Eugene der schnellste Mann der Welt im 100-Meter-Sprint ermittelt wird, sitzt der elfmalige Weltmeister auch nur in seiner jamaikanischen Heimat vor dem Fernseher. Also höchstwahrscheinlich, eben aus Interesse an der Leichtathletik. Angst, dass er als schnellster Mensch der Geschichte abgelöst werden könnte, muss der dreifache Familienvater und Superstar im Ruhestand allerdings nicht haben.

Herr Bolt, weiterhin war nie eine andere Person schneller als Sie über 100 Meter. Wenn eines Ihrer drei Kinder nachts aufwacht, wer ist dann flotter am Bettchen von Olympia Lightning, Thunder und Saint Leo – Sie oder Ihre Lebensgefährtin Kasi?

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Usain Bolt: Ich glaube, da ist Kasi inzwischen sogar schneller (lacht). Im Ernst, wir teilen uns die Aufgaben. Ich bin mehr eine Nachteule und gehe erst spät ins Bett. Hin und wieder unterstützen uns aber auch unsere Eltern.

Usain Bolt treibt die gleiche Motivation an - früher als Sprinter, heute als Familienvater

Ihre Tochter ist zwei Jahre alt, die Zwillingssöhne sind im vergangenen Jahr geboren. Wie hat sich Ihr Leben durch den Familienzuwachs verändert?

Usain Bolt: Wir genießen unser neues Leben als Familie in vollen Zügen, aber natürlich ist es etwas völlig anderes, jetzt der Vater dreier Kinder zu sein. Es macht so viel Spaß, ihnen zuzuschauen, wie sie größer werden, die Welt entdecken. Ich verbringe so viel Zeit wie möglich mit ihnen.

Als Athlet mussten Sie immer den Ehrgeiz haben, die Besten der Welt zu besiegen. Empfinden Sie als Familienvater heute mehr Leichtigkeit?

Usain Bolt: Ich habe noch immer die gleiche Motivation, die mich durch mein Leben begleitet hat. Ich will immer der Beste sein – früher als Sprinter, heute als Vater. Ich habe aber auch noch darüber hinaus die Musik, die ich mache. Ich betreibe auf Jamaika viel Wohltätigkeitsarbeit. Was auch immer ich tue – ich mache es vor allem mit Spaß und um es zu genießen.

Usain Bolt widmet sich nach acht Olympiasiegen nun der Reggae-Musik

Um Gold bei Olympischen Spielen oder Weltmeisterschaften zu holen, benötigt es Leidenschaft und harte Arbeit. Gibt es heute ein anderes Ziel in Ihrem Leben, dem Sie sich mit gleicher Energie widmen?

Usain Bolt: Mein Sport, das Laufen wird immer bleiben, was mich berühmt gemacht hat. In den vergangenen Jahren habe ich mich aber auch der Musikproduktion intensiv gewidmet. Im Oktober habe ich ein Album herausgebracht mit einem Musikmix aus Reggae und Hip-Hop. Dieser Lebensabschnitt gefällt mir genauso wie ein 100-Meter-Sprint – deswegen gehe ich da mit der gleichen Leidenschaft ran und versuche, mich immer zu verbessern.

Was ist Ihre Inspiration?

Usain Bolt: Ganz klar: meine Familie. Es ist eine wundervolle Erfahrung, all das zu erleben. Auch wenn es manchmal viel Geduld erfordert – die mich in meiner Sportlerkarriere nicht gerade ausgezeichnet hat (lacht). Ich habe immer hart gearbeitet und nie aufgegeben, bin mit Menschen respektvoll umgegangen. Das will ich auch meinen Kindern vermitteln.

Und vielleicht auch schnell laufen zu können. Ganz nebenbei: Wie schnell wären Sie denn heute über 100 Meter?

Usain Bolt: Puh, ehrlich gesagt, habe ich keine Ahnung. Ich habe ja tatsächlich 2019, zwei Jahre nach meinem Rücktritt, mal an ein Comeback gedacht. Mein Trainer hat mir allerdings schnell klar gemacht, dass er das für keine gute Idee hält und wir das sein lassen sollten. Also bin ich jetzt glücklich in Rente und genieße, was um mich herum passiert.

So kennt man ihn: Usain Bolt in Siegerpose bei den Olympischen Spielen 2012 in London.
So kennt man ihn: Usain Bolt in Siegerpose bei den Olympischen Spielen 2012 in London. © DPA

Wie sorgen Sie denn sportlich für einen Ausgleich? Vor vier Jahren haben Sie mal eine Karriere als Profifußballer angestrebt und auch bei Borussia Dortmund mittrainiert.

Usain Bolt: Oh ja, auch noch mit ein wenig Fußball. Aber mir macht es Spaß, mich in vielen Sportarten auszuprobieren. Ich gehe täglich in den Kraftraum und laufe auch noch gerne über die Tartanbahn. Das hält mich körperlich und mental fit. Ich kann sagen: Ich fühle mich sehr wohl.

Usain Bolt glaubt, dass sein Weltrekord nicht bei der WM in Eugene gebrochen wird

Ihr sportliches Vermächtnis ist der Weltrekord, gelaufen 2009 bei der WM in Berlin. Ihr damaliger Konkurrent und Landsmann Asafa Powell hat mal anerkennend gesagt: Es gibt Einstein, Newton, Beethoven – und dann noch Bolt. Glauben Sie, dass nochmal ein Mensch schneller rennen wird als Sie?

Usain Bolt: Das ist nur sehr schwierig zu beantworten. Für mich persönlich ging es nie um den Weltrekord. Ich habe mich darauf fokussiert, mich mit den Besten zu messen und Goldmedaillen bei den Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen zu gewinnen. Man sagt nicht umsonst: Rekorde sind da, um gebrochen zu werden. Aber ob das eines Tages passiert? Ich weiß es nicht. Generell sind viele Athleten heute dank der Technikentwicklung viel schneller als noch vor ein paar Jahren.

Was glauben Sie denn, welche Zeit irgendwann mal realistisch erscheint?

Usain Bolt: Das lässt sich nicht vorhersagen, am Ende genügt ja eine Hundertstelsekunde, um meine Weltrekorde von 9,58 Sekunden über 100 Meter und 19,19 Sekunden über 200 Meter zu knacken. Aktuell laufen die Schnellsten Zeiten um 9,7 und 9,8 Sekunden über die kürzere und 19,4 oder 19,5 Sekunden über die längere Sprintdistanz. Ich glaube, in Eugene werden wir keinen Weltrekord sehen.

Erlauben Sie mir, etwas frech zu sein: Es gibt doch schon einen Teenager, der schneller ist als Sie.

Usain Bolt: Sie sprechen von Erriyon Knighton?

Genau, 18 Jahre alt und der junge Mann, der Ihre Bestzeiten in dem jeweiligen Alter unterboten hat. Freuen Sie sich, ihn laufen zu sehen?

Usain Bolt: Ja, um ehrlich zu sein: Ich habe ihn noch nicht live sprinten gesehen. Aber natürlich ist mir nicht entgangen, dass er in der frühen Phase der Saison sehr schnell auf der Bahn unterwegs war. Ich habe schon sehr viele gute Sachen über ihn gehört, über seine Anlagen. Er ist wirklich ein ganz spannendes und vielversprechendes Talent.

Die 100 Meter sind noch immer der bedeutendste Wettbewerb in der Leichtathletik. Sie alleine beziehungsweise Sie mit Ihren Landsleuten halten die Weltrekorde über 100, 200 und 4 x 100 Meter. Kann Jamaika auf Dauer die Angriffe aus den USA auf die Bestzeiten abwehren?

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Usain Bolt: Ich würde mich natürlich freuen, wenn die Rekorde in jamaikanischen Händen blieben. Aber das Schöne an der Leichtathletik ist ja, dass sich Menschen aus mehr als 200 Ländern miteinander vergleichen. Ein neuer schnellster Mensch der Welt könnte wirklich aus jedem Teil der Erde kommen.

Usain Bolt setzt eher auf Olympiasieger Jacobs als auf WM-Titelverteidiger Coleman

Aus Tokio 2020 wurde durch die Corona-Pandemie Tokio 2021, und durch die Olympischen Spiele im vergangenen Jahr weiß die Sportwelt nun, dass Italien nicht nur gute Fußballer, sondern auch gute Sprinter hat. Was erwarten Sie von Goldmedaillengewinner Lamont Marcell Jacobs in der Zukunft?

Usain Bolt: Marcell ist ein absolut großartiges Rennen in Tokio gelaufen. Danach hat er lange pausiert und war auch das eine oder andere Mal verletzt. Ich hoffe sehr, dass er jetzt mal gesund bleiben und sein unfassbares Talent über viele Jahre der Welt präsentieren kann.

Christian Coleman ist nach 18-monatiger Dopingsperre zurück und könnte seinen WM-Titel verteidigen. Immerhin waren in der Vergangenheit nur fünf andere Sprinter jemals schneller als er über 100 Meter – Tyson Gay, Yohan Blake, Asafa Powell, Justin Gatlin und Sie.

Usain Bolt: Wenn ich mir die persönlichen Bestzeiten der Athleten in diesem Jahr anschaue, würde ich für Eugene doch eher auf andere Sprinter setzen. Aber letztendlich kommt es bei einer Weltmeisterschaft nur auf dieses eine Rennen an. Ich bin sehr gespannt, wer sich am Ende in Eugene durchsetzen wird. Mich auf einen festlegen, möchte ich nicht.

Der Sport übt auf Kinder überall auf dem Planeten eine Faszination aus, wenn es Stars und Helden wie Sie gibt. Wer wird in den nächsten Jahren die größte Attraktion der Leichtathletik-Welt sein?

Usain Bolt: Ich finde es großartig, dass die Leichtathletik durch ihre Vielzahl an Disziplinen so viele Stars aus verschiedenen Ländern hervorbringen kann. Der Stabhochspringer Armand Duplantis und der 400-Meter-Hürdenläufer Karsten Warholm sind wahre Sportgrößen in Schweden beziehungsweise Norwegen. Auf Jamaika werden gerade Shelly-Ann Fraser-Pryce, Elaine Thompson-Herah und Shericka Jackson verehrt, weil sie die Sprint-Welt dominieren. Bei den Langstreckenläufern sind Kenianer und Äthiopier Helden in ihren Ländern. Aber wissen Sie, worauf es ankommt?

Nein, worauf?

Usain Bolt: Ich wurde geschätzt, ich wurde geliebt, weil ich schnell war. Dem Publikum in aller Welt gefiel aber auch meine lustige, meine lebensfrohe Art. Nur wer seine Persönlichkeit zeigt, kann auch ein internationaler Star werden.