Peking. Die positiv auf Doping getestete Russin Kamila Walijewa darf im Eiskunstlauf-Einzel starten – eine Siegerehrung gäbe es für sie nicht.

Die neue Eiskunstlauf-Olympiasiegerin wird am Donnerstag gekürt, doch sie wird vielleicht vielleicht ohne ihr Gold abreisen müssen. Weder eine Blumen- noch eine Medaillenzeremonie werde es im Anschluss an die Kür geben, erklärte das Internationale Olympische Komitee am Montag – wenn Kamila Walijewa einen der ersten drei Plätze belegen sollte. Das ganze Tamtam wäre „unfair allen Athletinnen gegenüber, wenn eine Geehrte auf der einen Seite einen positiven Dopingbefund hat, aber noch nicht geklärt ist, ob sie gegen die Anti-Doping-Regeln verstoßen hat“.

Das IOC, so konnte man das Kommuniqué durchaus verstehen, rechnet schon damit, dass Kamila Walijewa in Peking unter die ersten Drei kommen wird. Ihrem Start am heutigen Dienstag im Kurzprogramm steht jedenfalls nichts mehr im Wege, auch wenn ihre noch junge Karriere gerade eine schwindelerregende Wende erfährt.

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Es ist nicht auszumalen, wie sich die 15 Jahre alte Russin um 14.52 Uhr deutscher Zeit (ZDF) fühlen wird, wenn sie gemäß Ablaufplan über das Eis gleiten soll und das National Capitol Stadium wegen ihr zum russischen Staatszirkus mutieren wird. Alle Augen werden auf Walijewa gerichtet sein, die am Montag vom Internationalen Sportgerichtshof Cas das Okay bekam, ihre außergewöhnlichen Künste unter Vorbehalt präsentieren zu dürfen – obwohl sie unter dringendem Dopingverdacht steht.

Verbotenes Herzmittel bei Dopingprobe gefunden

Davon sprach die Ad-hoc-Kommission das Eiskunstlauf-Wunderkind in dem Eilverfahren nicht frei. Sie kam jedoch zu dem Entschluss, Walijewa erst einmal die Schlittschuhe schnüren zu lassen – im Sinne einer jungen, besonders schutzbedürftigen Sportlerin.

Die Sportjuristen wiesen den Einspruch des IOC, der Welt-Anti-Doping-Agentur Wada und des Eiskunstlauf-Weltverbandes Isu gegen die Rücknahme einer provisorischen Sperre zurück, mit der die russische Anti-Doping-Agentur Rusada Walijewa in der vergangenen Woche für nicht einmal 24 Stunden belegt hatte. Ein Stockholmer Labor hatte in einer am 25. Dezember entnommenen Probe der Europameisterin das verbotene Herzmittel Trimetazidin gefunden.

Cas sieht unklare Beweislage

Die Begründung des Cas: Walijewa ist gemäß Wada-Code als Minderjährige nicht dem üblichen Strafenkatalog ausgesetzt. Cas-Generadirektor Matthieu Reeb betonte, ein Startverbot könnte ihr „einen irreparablen Schaden zuführen“. Zudem sei die Beweislage unklar, warum das Ergebnis die Rusada erst am 8. Februar, an dem Tag nach dem Olympiasieg der russischen Mannschaft mit Walijewa erreichte. Reeb: „Wir wären alle nicht hier, wenn es wie üblich eine Woche oder zehn Tage gedauert hätte.“

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IOC und Isu akzeptierten das Resultat, auch wenn immer noch nicht feststeht, ob Walijewa nun eiskalte Betrügerin oder Opfer eines kriminellen Umfelds ist. Das wird später noch geklärt, die Cas-Kammer beschäftigte sich nun erst einmal mit dem Einspruch gegen die zurückgenommene Sperre.

Kamila Walijewas Umfeld rückt in den Fokus

Was aus dem Team-Gold wird, ob es Sperren für den Trainer- und Betreuerstab gibt, entscheidet sich erst nach den Peking-Spielen. Den das IOC will nun Walijewas Umfeld ausleuchten: „Wir haben die Entourage-Kommission“, so Sprecher Mark Adams, „und wir wollen, dass die Wada das Team in diesem Fall untersucht.“

Damit rücken zwei Personen in den Fokus: Walijewas Trainerin Eteri Tutberidse und der Mannschaftsarzt Filipp Schwezki. Letzter soll russischen Ruderern bereits 2008 bei den Sommerspielen in Peking unerlaubte Mittel verabreicht haben. Tutberidse ist berüchtigt für ihre Methoden, mit denen sie die Moskauer Akademie Sambo 70 führt. Die frühere Eiskunstläuferin Kiira Korpi nannte die Kaderschmiede einmal „Kinderfabrik“.

Enormer Verschleiß unter den jungen Eiskunstläuferinnen

Die 47 Jahre alte Tutberidse lässt ihre Schülerinnen sehr früh schwierige Drei- und Vierfachsprünge einstudieren, die dafür zierlich und sprungkräftig sein müssen. Der Verschleiß ist enorm; es wird ausgereizt, was der Menschenkörper hergibt. Tutberidses System spuckt die Kufenkinder reihenweise früher aus, als diese das Wort Weltkarriere schreiben können. Alina Sagitowa hat seit zwei Jahren keinen Wettkampf mehr bestritten, sie war bei ihrem Olympiasieg 2018 erst 15 Jahre alt. Genau wie Kamila Walijewa jetzt.

Absolut denkbar, dass Walijewa zu Kindsdopingversuchen missbraucht wurde, dass sie von denjenigen betrogen wurde, die sie schützen sollten: von ihrem Umfeld, von ihrem Verband, – und auch vom IOC, das Russland 2014 nach den spektakulären Doping-Enthüllungen um staatlich orchestrierte Vertuschung nach Ansicht vieler nur halbherzig bestraft hat.

Wird Russlands Strafe verlängert?

Bis Ende des Jahres darf für die Abordnung des Russischen Olympischen Komitees bei Siegerehrungen nicht die Fahne gezeigt, nicht die Hymne gespielt werden. DOSB-Präsident Thomas Weikert erklärte, dass das Auslaufen der Sperre einzelnen Verbänden nicht gerecht werde, „eine Einzelfallbetrachtung jeder Sportart wäre möglicherweise angemessener im Sinne eines konsequenten Anti-Doping-Kampfes“.

Dick Pound, ein erfahrener IOC-Mann, sprach sogar davon, dass ein „unbelehrbares“ Sportsystem vielleicht doch eine kollektive „olympische Auszeit“ nehmen müsse, vielleicht für „ein, zwei, drei Olympische Spiele“. Bis darüber aber entschieden sein dürfte, werden sogar die drei Medaillengewinnerinnen von Peking mit Sicherheit ihr Gold, Silber und Bronze bekommen haben.