Peking. Als DOSB-Präsident ist Thomas Weikert in Peking. Im Interview spricht er über Corona-Sorgen, Medaillenhoffnungen und den Gastgeber.

Als Tischtennisspieler hat es Thomas Weikert gut. Wenn es draußen kalt und ungemütlich ist, kann der 60-Jährige, der in Limburg an der Lahn als Rechtsanwalt arbeitet, seinem Sport in trockenen Hallen nachgehen. Bei den Olympischen Winterspielen in Peking wird es in jeder Hinsicht zugiger zugehen. Es sind äußerst umstrittene Spiele, die Weikert erstmals als Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) begleitet.

Herr Weikert, Ihre Passion ist das Tischtennis. Haben Sie auch eine Affinität zum Wintersport?

Thomas Weikert: Ich schaue es sehr gerne an den Wochenenden im Fernsehen. Ab und zu fahre ich auch selbst gerne Ski, habe jetzt aber auch schon ein paar Jahre ausgesetzt.

Sind Sie dann lieber alpin oder im Langlauf unterwegs?

Beides eigentlich. Ich war erst im Langlauf unterwegs, habe dann zum alpinen Ski gewechselt. Wegen der Verletzungsgefahr dürfte es jetzt aber wieder besser sein, nur Langlauf zu machen.

Dazu würde sich ja der Thüringer Wald anbieten.

Da war ich tatsächlich noch nicht, leider. Es war vermehrt im Taunus natürlich, aber mich hat es auch ins Allgäu und nach Kärnten verschlagen.

Ihre erste große Dienstreise als DOSB-Präsident hat Sie nun zu den Olympischen Winterspielen nach China geführt. Echten Schnee werden Sie dort vermutlich nicht zu sehen bekommen.

Ja, das ist wohl so, weil die Wettkampfstätten außerhalb von Peking in sehr trockenen Gegenden liegen. Dann müssen wir uns mit künstlichem Schnee zufriedengeben.

Als langjähriger Präsident des Tischtennis-Weltverbandes kennen Sie Großveranstaltungen in China, nun aber betreten Sie neues Terrain. Sind Sie ein bisschen aufgeregt vor Ihren ersten Olympischen Spielen?

Ich war schon fünf Tage zu Gast bei den letzten Winterspielen in Pyeongchang, aber das zählt in dem Zusammenhang ja nicht. Als positiv aufgeregt würde ich mich bezeichnen, vielleicht auch ein bisschen nervös. Was aber vor allem an der Aufgabe als Delegationsleiter liegt und natürlich an der herausfordernden Pandemielage. Ich habe in Dirk Schimmelpfennig aber einen erfahrenen Chef de Mission dabei, genauso Miriam Welte, meine Vize-Präsidentin. Ein bisschen Spannung tut aber auch gut, um die Aufgaben vernünftig erledigen zu können.

Woran denken Sie zuerst bei diesen speziellen Winterspielen?

Gesund hinkommen und wieder gesund zurückkommen – das ist das Wichtigste. Durch die Omikron-Variante kommen die Einschläge näher. Als zweites denke ich dann daran, dass die Mannschaft ein echtes Team ist – davon bin ich auch überzeugt – und gute Leistungen abliefert.

Dann fallen wir doch mal direkt mit der Tür in Haus und fragen: Wie sind denn die sportlichen Erwartungen?

Unser Chef de Mission hat das Ziel ausgegeben, am Ende irgendwo zwischen Sotschi und Pyeongchang zu liegen. Also zwischen den Plätzen sechs und zwei im Medaillenspiegel. Damit wäre ich sehr zufrieden.

So wie Sie sich äußern, scheint wahre Freude nur bei den wenigsten Peking-Reisenden aufzukommen.

Die Athletinnen und Athleten bringen zunächst ihre nachvollziehbaren Sorgen zum Ausdruck, wie es mit Corona wird, ob sie gegebenenfalls in Quarantäne müssen. Insgesamt habe ich aber den Eindruck aus den Besprechungen mit dem Team – wir haben zuletzt alle drei bis vier Wochen mit Athletinnen und Athleten sowie Betreuern den Team-D-Video-Call gemacht –, dass sich der Großteil auf Olympia freut. Alle wissen mit der besonderen Situation umzugehen, was auch schon in Tokio der Fall war. Für die Athleten ist und bleibt Olympia das Highlight – sogar bei derartigen Schwierigkeiten.

Hilft da nur die Sichtweise: auf den eigenen Wettbewerb konzentrieren, irgendwie heil bei den PCR-Tests durchkommen und dann nix wie weg?

Wir als DOSB empfehlen das nicht unbedingt, das muss jeder selbst entscheiden – aber die überwiegende Mehrheit wird das genau so angehen.

Der DSV-Alpinchef Wolfgang Maier befürchtet ein Test-Fiasko, China könnte unliebsame Konkurrenten einfach mit einem positiven Ergebnis schon vorher aus dem Wettbewerb nehmen. Können dies überhaupt faire Spiele werden?

Bei aller verständlichen Sorge vor Ansteckung sollten wir uns nicht noch mit Spekulationen zusätzlich belasten. Ich bin überzeugt von fairen Spielen. Wir haben die Gewissheit, dass jeder positive Test von einem zweiten gegengecheckt wird, das gesamte Verfahren kann zusätzlich von einem internationalen Gremium überprüft werden. Zudem sind die CT-Werte, die angeben, wie ansteckend der Getestete ist, nach Diskussionen mit den Gastgebern herabgesetzt worden. Beim ersten Corona-Fall vor ein paar Tagen im Team Deutschland, als ein Betreuer positiv getestet wurde, war der deutsche Olympia-Arzt Bernd Wolfarth immer dabei. Dabei ist alles gut abgelaufen, das Quarantäne-Hotel ist auch in Ordnung. Die Chinesen bewegen sich, reagieren auf Anfragen und auf Problematiken. Aber auch wenn sich unsere Athleten sehr diszipliniert an alle Vorsichtsmaßnahmen halten: Sie können eine Infektion nicht ausschließen. Sie können nur im Anschluss alles tun, um die Ausbreitung zu verhindern.

China werden Verstöße gegen die Menschenrechte vorgeworfen, ebenso der Missbrauch der Olympischen Spiele für eine gigantische Propaganda-Show. Haben Sie sich mal damit beschäftigt, ob es moralisch verantwortlich ist, die Athletinnen und Athleten nach Peking zu schicken?

Die Athleten haben wir sehr gut vorbereitet auf die Situation in China. Wir wissen um die bestehenden Probleme um die Menschenrechte. In den Team-D-Calls waren auch Vertreter des Auswärtigen Amtes und von Human Rights Watch dabei. Es ist aber am Ende so: Der Sport muss sich auf den Sport konzentrieren und kann nicht die Probleme lösen, die die Politik nicht gelöst hat.

Glauben Sie, dass man sich in Peking an der internationalen Kritik stört?

Aus meinen Erfahrungen als Weltverbands-Präsident im Tischtennis weiß ich: China nimmt die internationale Kritik zur Kenntnis und stört sich auch an der Kritik. Inwiefern das zu Veränderungen führen kann, vermag ich nicht zu beurteilen. Ein aktuelles Beispiel: Bezüglich der Spiele in Peking ist es so, dass es vorab ja Probleme bei den Test-Events der Rodler gab. Wir hatten kurz nach Bekanntwerden ein Videogespräch mit dem chinesischen Sportminister Go auf dessen Wunsch. Ich habe in diesem Gespräch klar gemacht: Die Athleten müssen ordentliche Bedingungen haben, ansonsten riskiert China, dass diese Meinung weltweit zum Ausdruck gebracht wird. Ich habe den Eindruck, dass China aufgrund dieses Gesprächs und der weiteren Unterredungen mit dem IOC das Thema ernst nimmt und Abhilfe schafft.

Die größten Bedenken gibt es wegen der Menschenrechtslage in China. Würden Sie jemandem aus dem Team Deutschland dringend davon abraten, sich vor Ort politisch zu äußern?

Die Olympische Charta lässt Meinungsäußerung ausdrücklich zu, gleichzeitig wissen wir alle um die schwierige Situation. Wir haben dem Team D deshalb mit Hilfe der Menschenrechtler und der Politik eine breite Palette an Informationen bereitgestellt. Jede Athletin, jeder Athlet kann selbst entscheiden, ob sie oder er sich unter Einhaltung der Olympischen Charta äußern oder sich nur auf den Sport konzentrieren möchte.

Aber es sind ja schon Warnungen an die Sportler ergangen, besser den Mund zu halten.

Egal wie sich die Athleten entscheiden, wir werden uns vor das Team stellen.

Olympia zu Gast in Peking, dazu die Fußball-WM in Katar. Für den Sport ist es ein gruseliges Jahr.

All das wird ja zu Recht hinterfragt. Das IOC hat erkannt, wie man mit den Reaktionen auf die Vergabe an China umgeht. Mit Cortina d’Ampezzo im Winter sowie Paris, Los Angeles und Brisbane im Sommer als nächsten Gastgebern ist für das kommende Jahrzehnt ein deutlicher Wandel eingetreten.

Haben Nationale Olympische Komitees und Sportverbände überhaupt die Macht, dem IOC bei der Vergabe von Olympischen Spielen reinzureden?

Als einzelnes NOK ist es schwierig, auf das IOC einzuwirken. Natürlich kann ich mit Thomas Bach (IOC-Präsident, d. Red.) und den weiteren Mitgliedern sprechen, ihnen meine Meinung mitteilen. Aber selbst wenn wir als Deutschland international schon ein gewichtiges Wort haben, macht es die Sache nicht leichter. Ich werde aber auch in Peking mit anderen NOK im Austausch sein. Das möglicherweise beste Argument, das ein NOK hat, sind gut gemachte und nachhaltige Bewerbungen aus demokratischen Ländern, daran hat es ja 2022 gemangelt, bei der Vergabe 2015 fiel die Entscheidung zwischen China und Kasachstan. Traditionelle Wintersportländer wie Deutschland, Schweden, Norwegen und die Schweiz hatten sich zurückgezogen, weil alles nach den Spielregeln des IOC entschieden wird.

Wird man am IOC-Sitz Lausanne bei künftigen Gastgebern auch mehr die Bedürfnisse und Stimmen der Athleten mit einbeziehen?

Seine Spielregeln hat das IOC ja mittlerweile geändert. Auch das Thema Nachhaltigkeit spielte bei den letzten IOC-Sessions schon eine große Rolle, das wird auch bei künftigen Bewerbungen so der Fall sein. Genauso verhält es sich mit den Rechten der Athleten. Innerhalb des DOSB haben die Athleten schon immer eine starke Stimme. Wir sind jetzt auch mit dem neuen Präsidium auf den Verein Athleten Deutschland zugegangen, um ganz konkret nach Olympia an Abstimmungen zu arbeiten. Wir wollen nicht auf die Stimmen der Athleten verzichten.

Frankreich, Italien, USA und Australien – hat das IOC so gerade noch mal die Kurve bekommen, um noch als würdiger Veranstalter von Olympischen Spielen wahrgenommen zu werden?

Sowohl auf Seiten des IOC als auch bei den NOK hat sich da etwas verändert, sie haben bei den Bewerbungen mehr auf Nachhaltigkeit geachtet. Aus meiner Sicht wird sich die Wahrnehmung Olympischer Spiele durch die aktuellen Vergaben deutlich verbessern.

Rechnen Sie damit, dass es in Deutschland in absehbarer Zeit noch mal Olympische Spiele geben wird, geben kann? Die Zusammenarbeit mit der Privatinitiative Rhein-Ruhr City für die Bewerbung um die Sommerspiele 2032 schien ja nicht besonders fruchtbar gewesen zu sein.

Wir haben beim DOSB zunächst einmal beschlossen, dass der Vorstand aufarbeitet und dem Präsidium mitteilt, warum Bewerbungen in der Vergangenheit gescheitert sind und was stattdessen zu tun ist. Der Wille ist da, sich neu zu bewerben in absehbarer Zeit. Klar ist auch, dass das nur mit Bevölkerung, mit Politik und mit Wirtschaft gehen kann. Mit welchem Ort und für welche Spiele, ist aber noch unklar. Das kann 2030 und 2034 im Winter sein, aber auch 2036 im Sommer. Eine Priorität werden wir erst im Laufe des Jahres festlegen.

Bei den Sommerspielen in Tokio im vergangenen Sommer gab es die schlechteste Medaillenausbeute seit der Wiedervereinigung. Wird es für deutsche Athletinnen und Athleten immer schwieriger, international mithalten zu können, wenn es um Podestplätze geht?

Winter und Sommer sind bei uns in den letzten Jahren zwei paar Sportschuhe. Mir wird gesagt, dass die Athleten für Peking sehr gut vorbereitet sind, ich weiß, dass die Trainingsbedingungen auch gut sind. Und dass anderseits die Konkurrenz immer größer wird. Und natürlich gibt es insgesamt definitiv Verbesserungsmöglichkeiten, die die Konzentration auf den Sport fördern.

Wollen Sie da etwas konkreter werden?

Wir wollen unsere Wertschätzung für die Trainer auch bei der Bezahlung zum Ausdruck bringen. Das Thema ist akut und war schon eines, als ich noch Vorsitzender der Trainer-Akademie war. Wir sind in Gesprächen mit dem Bundesinnenministerium, dafür mehr Geld zur Verfügung zu stellen. Wichtig ist auch, die Kettenverträge abzustellen, die sonst immer nur für einen Olympia-Zyklus gelten. Das würde den Verbänden die Planungen erleichtern und dem Trainer, der vernünftig entlohnt werden möchte, eine bessere Perspektive geben. Wir sollten unseren Bundestrainern doch zumindest mal die Sicherheit geben können, die die Bundesländer ihren Sportlehrerinnen und -lehrern geben.

Das Potenzial-Analysesystem Potas wird nun genau analysieren, wo sich Fördergelder besonders lohnen, um die Plätze eins, zwei und drei in Angriff nehmen zu können. Wird Deutschland zu einem Land von Sportspezialisten, in dem einige Disziplinen auf der Strecke bleiben?

Wir verfolgen beim DOSB das Ziel, dass alle Sportarten gefördert werden. Komplett werden wir da niemanden außen vor lassen.

Das Thema Olympia nimmt zu Beginn Ihrer Amtszeit den Großteil Ihrer Arbeit ein. Worin sehen Sie sonst als Nächstes Handlungsbedarf für den deutschen Sport?

Wir müssen schnell unsere internen Hausaufgaben machen: Wir haben einen neuen Vorstandsvorsitzenden eingestellt, wir suchen einen Vorstand Sportentwicklung, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind motiviert und ziehen alle mit. Am Ende müssen wir uns so aufstellen, dass wir die großen Aufgaben stemmen können. Wir haben viel über Leistungssport und Olympia gesprochen, hinzu kommt – mindestens gleichwertig – vor allem, dass die Sportentwicklung, die Situation von Vereinen und Breitensport gerade in der Pandemie verbessert werden muss. Der Schulsport ist da nur ein Stichwort, genauso wie Vereinshilfen, mit denen verloren gegangene Mitglieder zurückgewonnen werden können. Auch der soziale und gesellschaftliche Schutz von Spitzen- und Breitensportlern ist eine Riesenaufgabe, die nachhaltige Sanierung der Sportstätten und Schwimmbäder – es mangelt nicht an Herausforderungen.