Yanqing . Johannes Ludwig feiert den größten Erfolg seiner Karriere. Der 35-Jährige ließ sich seine Führung im Rodel-Rennen nicht mehr nehmen.
Als er den „chinesischen Drachen“ zum vierten Mal gezähmt hatte, schlug Johannes Ludwig die Hände über dem Helm zusammen und schüttelte lächelnd den Kopf. Es schien, als könne er gar nicht glauben, dass ihm der ganz große Wurf in der sich ins Tal schlängelnden Eisrinne tatsächlich gelungen war. Trotz eines beeindruckenden Winters mit fünf Saisonsiegen, trotz des erstmaligen Gewinns des Gesamtweltcups und trotz vorheriger dreier starker „Fuhren“ im „Yanqing Sliding Center“: Rodler Ludwig musste sich erst einmal sammeln, um seinen Triumph zu realisieren.
Vier konstant gute Läufe
„Ich bin irgendwie ziemlich glücklich“, sagte er nach der ersten Goldmedaille für das deutsche Team in Peking und musste – sichtlich angefasst – ein paar Tränen verdrücken. Dank vier konstant guter Läufe ließ der Oberhofer dem Österreicher Wolfgang Kindl und Dominik Fischnaller aus Italien keine Chance – und trat gleichzeitig aus dem Schatten des langjährigen Goldgaranten Felix Loch. Der Berchtesgadener wurde Vierter. Der dritte deutsche Starter Max Langenhan (Friedrichroda) belegte bei seiner Olympia-Premiere einen guten sechsten Rang.
Im Ziel stürmten er und Loch sowie Ludwigs Heimtrainer Jan Eichhorn als erste auf den neuen Olympiasieger zu, herzten ihn und klopften ihm immer wieder auf die Schulter. Ein paar Tausend Kilometer entfernt, im Thüringer Wald, flossen indes die Freudentränen. Rund 40 Familienmitglieder, Freunde und Weggefährten der beiden Thüringer hatten sich im „Lotto Thüringen Haus“ an der Oberhofer Bob- und Rodelbahn versammelt und an der Großbildleinwand die Daumen gedrückt.
Gruß an die Familie aus dem fernen China
Als der Coup vollbracht war, kannte der Jubel keine Grenzen. Mittendrin: Ludwigs Ehefrau Katharina sowie die beiden Kinder Winnie und Carlson. Auf sie hatte der 35-Jährige während der Saison wochenlang schweren Herzens verzichten müssen, um dem Risiko einer Corona-Ansteckung möglichst aus dem Weg zu gehen. Deshalb galt auch sein erster Gruß aus Fernost der Familie, die ihn „immer bedingungslos unterstützt“ hätte. Auch ohne Eichhorn und seinen Oberhofer Mechaniker Robert Eschrich wäre „dies alles nicht möglich gewesen“.
Thomas Weikert verfolgte die Rodel-Entscheidung live als Zuschauer mit. Der Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes hofft nun auf weitere Erfolge: „Das ist ein super Gefühl“, sagte er: „Wir haben mit einer Medaille gerechnet, aber nicht unbedingt mit Gold. Jetzt kann es aufwärts gehen. Das ist eine Initialzündung für das ganze Team.“ Auch Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow gratulierte via Twitter: „Gold und Bahnrekord. Das war phänomenal!“
"Lass es laufen"
Tatsächlich präsentierte sich Ludwig als ältester Teilnehmer an den Rodelwettbewerben in der Form seines Lebens. Er pulverisierte dank enormer Explosivität beim „Paddeln“ die Startrekorde und raste nahezu fehlerlos die anspruchsvolle Bahn hinunter. „Lass es laufen“, war sein Motto. Und Nervosität schien er nicht zu spüren: „Ich war heute noch relaxter als gestern und habe auch relativ gut geschlafen“, sagte der Modellathlet am zweiten Wettkampftag. Diese Gelassenheit hatte ihm vielleicht der Plüsch-Koala vermittelt, der ihm von seiner Familie als Glücksbringer ins Gepäck gesteckt worden war.
Spätestens, nachdem er das Siegerpodest bestiegen und mit geschlossenen Augen die Goldmedaille geküsst hatte, hatte Ludwig seinen Frieden mit Olympia geschlossen. Die Spiele 2010 in Vancouver und 2014 in Sotschi musste er einst traurig vor dem Fernseher verfolgen. Beide Male war er in der internen Qualifikation gescheitert und fragte sich anschließend nicht nur einmal: Warum soll ich mir das weiter antun? Sogar das Karriereende zog er 2015 in Betracht. Doch die Neuformierung seines Oberhofer Teams brachte den Spaß zurück und die sich einstellenden Erfolge sorgten für Lust aufs Weitermachen. Zum Glück für die deutsche Rodelfamilie.
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Vor vier Jahren in Südkorea profitierte Ludwig noch von einem Fahrfehler Lochs im finalen Lauf und holte überraschend Olympia-Bronze sowie später mit der Teamstaffel sogar Gold. Diesmal war es eine Demonstration der eigenen Stärke – und das übrigens auf jenem bewährten Pyeongchang-Schlitten. Von Beginn an ließ der Routinier keinen Zweifel am Ausgang des Wettkampfes aufkommen, setzte gleich im ersten Durchgang die Bestzeit und baute seinen Halbzeitvorsprung nach Tag eins in den Rennen drei und vier weiter aus.
Lob von der Konkurrenz
Die verdiente Anerkennung gab es von den Teamkollegen. Der aufgrund einer Corona-Infektion im Dezember gehandicapte Loch haderte zwar mit dem vierten Platz („Das hat zur Saison gepasst“), freute sich aber dennoch für den Sieger: „Hansi hat riesig gekämpft, er hat sich das verdient. Hut ab! Er hat das klasse durchgezogen.“ Langenhan freute sich indes auf die Gold-Party: „Es gibt ein bisschen Corona, aber wenn wir in der Unterkunft sind, dann wird das vergessen. Hoffentlich gibt es ein paar Bier, sonst stoßen wir mit Cola an oder Wasser.“
Ob Ludwig nach der Krönung seiner Karriere „abdanken“ oder die Heim-WM 2023 in Oberhof in Angriff nehmen wird, ist noch offen. Zunächst will er seinen großen Erfolg genießen. Und dann steht am Donnerstag in Yanqing ja noch die Teamstaffel an – und damit die nächste Chance auf Gold.
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