Peking. Die Olympischen Winterspiele in Peking sind im Nationalstadion auf irritierende Weise eröffnet worden. Show und Realität widersprechen sich.
Wie jetzt, wo denn? Ein Moment der Unachtsamkeit bei einem der zentralen Bestandteile olympischer Eröffnungsfeiern genügte, und es herrschte Konfusion. Dieses kümmerliche Flämmchen als olympisches Feuer? Das konnte doch nicht sein. Aber irgendwie war es dann doch Realität. Kaum zu sehen, eines der wichtigsten Symbole, zu dem sich die Jugend der Welt während der Spiele versammelt. Gefangen im Pekinger Vogelnest inmitten einer riesigen Schneeflocke, die zu schmelzen das kleine lodernde Etwas mit der von ihm ausgehenden Wärme kaum imstande wäre.
Die fehlende Imposanz des Feuers war nicht das einzig Merkwürdige am Freitag im Pekinger Nationalstadion, als die 24. Olympischen Winterspiele eröffnet wurden. Die Shows dienen ja einer Art höheren Erzählung, mit der sich das Gastgeberland den Athletinnen und Athleten aus aller Welt, den sportbegeisterten Besuchern vorstellen möchte. Ganz viel Pathos wird der Aufführung beigemischt, an Stolz und Stärke darf es nie mangeln; die Eröffnungsfeier als Eigendoping für die bevorstehenden Wettkämpfe.
Eröffnung der Winterspiele: Die Fackel in einer Schneeflocke
Ob man nun bei minus fünf Grad im Vogelnest mitgebibbert hat oder vor dem Fernseher saß: Selten zuvor hat eine Eröffnungsfeier mehr irritiert, indem Show und Realität sich widersprachen, das Dargebotene mit echtem Leben wenig bis gar nichts gemeinsam hatte. Es grenzte an Zynismus, dass ausgerechnet die uigurische Skilangläuferin Dinigeer Yilamujiang gemeinsam mit dem Nordischen Kombinierer Zhao Jiawen (21) die Fackel mit der Flamme in die Schneeflocke steckte, nachdem Staatspräsident Xi Jinping (68) um 21.51 Uhr Ortszeit die ersten Winterspiele auf chinesischem Boden für eröffnet erklärt hatte. Die 20 Jahre alte Yilamujiang gehört der Minderheit an, die in ihrer Heimat verfolgt und in Umerziehungslagern kaserniert wird.
IOC Präsident Thomas Bach wiederholt sich
Die Menschenrechtsproblematik ist nur ein Grund für internationale Kritik am Gastgeberland. Der Gigantismus des Fünf-Ringe-Ordens kommt dazu, die fehlende Nachhaltigkeit und die fehlende Wintersportaffinität im Reich der Mitte, die auch dadurch nicht zunimmt, je häufiger Thomas Bach von 300 Millionen neuen Schnee- und Eissport-Fans fabuliert. Der deutsche IOC-Präsident betont gebetsmühlenartig die politische Neutralität des Sports, mischte seiner mitunter unterwürfig anmutenden Dankesrede an China dann aber doch politische Botschaften bei: Während in der Welt Konflikte und Misstrauen herrschten, zeige der Sport, „dass es möglich ist, dass Menschen erbittert miteinander ringen und doch gleichzeitig friedfertig und in gegenseitiger Achtung zusammenleben“.
Die Rede des 68-Jährigen war staatstragend und reich an Worthülsen wie dieser: „Im olympischen Geist appelliere ich an alle politischen Stellen dieser Welt: Haltet euch an diese Verpflichtung und diese olympische Waffenruhe, die ihr eingegangen seid, und gebt dem Frieden eine Chance.“ Angesprochen hätte sich Wladimir Putin (69) in der Ehrenloge fühlen dürfen: Der russische Präsident könnte sich bis zum 20. Februar, so lange kämpfen rund 2900 Athletinnen und Athleten um 109 Goldmedaillen, zum dritten Mal nach 2008 (Georgien) und 2014 (Ukraine) nicht um den olympischen Frieden scheren und in der Ukraine einen Krieg anfangen.
Ein paar hübsche Ideen von Star-Regisseur Zhang Yimou
„Together for a shared future“ ist das Motto der zweiten aufeinanderfolgenden Winterspiele in Asien. Für die Eröffnungszeremonie hatte der chinesische Star-Regisseur Zhang Yimou (71) das Programm geschrieben. Ein paar hübsche Ideen waren dabei für die rund 3000 Darsteller in der etwa zur Hälfte besetzten 80.000-Zuschauer-Arena. Perfekt synchronisiert tanzten und sangen sie während der mehr als zweistündigen Show, dazu gab es visuelle Effekte en masse, den obligatorischen Kinderchor und Feuerwerke. Es mangelte nicht an Hinweisen auf den Frühling, schließlich wird das drei Tage zuvor eingeläutete Neujahrsfest ja auch Frühlingsfest genannt.
Die bereits genannte Schneeflocke – zusammengesetzt aus 91 kleinen, eine für jede teilnehmende Nation – sollte zudem die Unterschiedlichkeit der Menschen symbolisieren, andererseits aber ein gemeinsames globales Zuhause schaffen. Nett, aber steril, nichts machte rührig.
Corona lässt den Wettbewerb zu einer Partie Bingo werden
All das hat auch ein von den Fahnenträgern Claudia Pechstein (49) und Francesco Friedrich (31) angeführter kleiner Teil des 149-köpfigen Teams Deutschland über sich ergehen lassen, das beim Einlauf der Nationen durch das Tor von China das Vogelnest betrat. Für die Athletinnen und Athleten wird es verhältnismäßig leicht, in den nächsten Tagen über die Schattenseiten Chinas hinwegzusehen. Corona lässt die sportlichen Vergleiche zu einer Partie Bingo werden. Nur einen Sieger haben die Propagandaspiele von Peking bereits gefunden: Staatspräsident Xi Jinping, der die Welt glauben machen möchte, dass doch alles gar nicht so schlimm sei. Es ist zum Glück der unbedeutendste Titel in den nächsten 16 Tagen.