Stuttgart. Fast auf den Tag 18 Jahre nach Völlers Wutrede wollen Goretzka und Co. die Geister von damals vertreiben. Island hat eigene Sorgen

Kurz vor dem Abflug der deutschen Nationalmannschaft nach Reykjavik am Dienstagnachmittag muss Leon Goretzka ein Geständnis loswerden. Mit seinem früheren Schalke-Mitspieler Max Meyer habe er oft stundenlang im Hotel auf dem Zimmer gelegen und via Youtube sämtliche Best-of-Videos von den „alten, rosigen Zeiten“ gesehen. Und natürlich hätten sie auch Rudi Völlers sogenannte „Wut-Rede nach dem letzten Ausflug nach Island im Netz gefunden – und genossen. „Wir sollten nur zusehen“, witzelt Goretzka am Vortag der Neuauflage (Mi., 20.45 Uhr/RTL), „dass wir Hansi Flick nicht in eine ähnliche Situation bringen.“

Völlers Aufreger ist bis heute ein Youtube-Hit

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Fast auf den Tag 18 Jahre ist das Interview mit dem damaligen ARD-Reporter Waldemar Hartmann und Völler nun schon her. Goretzka war damals acht Jahre alt. Doch das Gespräch ist auch heute noch bei Youtube ein Hit und hat mittlerweile mehr als 1,6 Millionen Aufrufe. Im Kern ging es darum, dass Völler seinerzeit die Kritik der ARD-Experten Gerd Delling und Günter Netzer nach dem enttäuschenden 0:0 („Das war ein Tiefpunkt“) nicht unkommentiert stehen lassen wollte. „Ich kann diesen Käse nicht mehr hören“, grantelte „Tante Käthe“ live im Fernsehen – und benutzte anschließend noch ein halbes Dutzend von Kraftausdrücken. Legendär auch seine Verbalattacke auf Hartmann: „Du sitzt hier locker und in aller Ruhe und hast schon drei Weizenbier getrunken…“

Knapp zwei Jahrzehnte später gibt es noch immer kein Weizenbier auf der „Insel aus Feuer und Eis“ – doch „Rudi in Rage“ ist auch kurz vor der Neuauflage noch ein kleines Gesprächsthema bei der Nationalmannschaft (Goretzka: „Natürlich reden wir darüber“) und ein großes Gesprächsthema in Reykjavik. Wer in den Tagen vor dem WM-Qualifikationsspiel in der Flaniermeile Laugavegur im Zentrum Reykjaviks spazieren geht, der hört in den zahlreichen Bars und Cafés immer wieder die Namen Völler, Hartmann und Delling. Zahlreiche deutsche Touristen in Funktionskleidung haben das Zentrum der 130.000-Einwohner-Hauptstadt okkupiert und sprechen neben dem letzten Ausflug zur Blauen Lagune oder zum Wasserfall Gollfuss natürlich auch über das Spiel der Spiele.

Missbrauchsvorwürfe erschüttern Islands Verband

Erstaunlicherweise ist unter den Fußballanhängern von Island, die bei einer Einwohnerzahl von 356.991 auf 356.991 geschätzt wird, die Partie dagegen nur am Rande interessant. Die Skandinavier haben ihre eigenen Sorgen. Zum einen sportliche: Nach fünf Qualifikationsspielen liegt der EM-Viertelfinalist von 2016 auf einem enttäuschenden fünften Platz, hätte bei einer erneuten Niederlage an diesem Mittwochabend kaum noch Chancen auf eine WM-Teilnahme in Katar. Doch viel schwerer wiegen die atmosphärischen Sorgen: Ein Missbrauchs-Skandal um den suspendierten Nationalspieler Kolbeinn Sigthorsson erschüttert die Insel. Es laufen Ermittlungen, nachdem zwei Frauen bereits 2017 in einem Nachtclub belästigt worden sein sollen. Eine der beiden Frauen hat den Vorfall nun dem TV-Sender „RUV“ detailliert erzählt. Verbandspräsident Gundi Bergsson soll versucht haben, den Vorfall zu vertuschen, was nun zu einem kollektiven Rücktritt der Verbandsspitze führte.

Flick schließt Ausbruch aus

Trotzdem ist die schwere Krise des isländischen Fußballs bei der deutschen Nationalmannschaft am Tag vor dem Spiel kein Thema. „Ich habe davon noch nichts mitbekommen“, versichert Goretzka am Dienstag. Und auch Trainer Hansi Flick sprach mehr über Pressing, den Ausfall von Marco Reus („leichte Knieprobleme“) und das Ziel, auch sein drittes Länderspiel gewinnen zu wollen. Und wenn nicht? Könnte ihm ähnliches wie einst Rudi-Wüterich passieren? „Das ist nicht vorstellbar“, antwortet Flick – und hat auch den Hauptgrund parat: Statt der ARD überträgt RTL. „Der Lothar ist ja da“, scherzt Flick, der sich bei einem erneuten 0:0 aber wohl auch der einen oder anderen Matthäus-Kritik stellen muss.

Voraussichtliche Aufstellungen:

Island: Runarsson – Saevarsson, Arnason, Bjarnason, Thorainsson – Baldursson, B. Bjarnason, Johannesson – Anderson, Kjartansson, Gudmundsson

Deutschland: Neuer – Kehrer, Süle, Rüdiger, Gosens – Kimmich, Goretzka – Gnabry, Gündogan, Sané – Werner.